Kommentar

Nach dem EU-Gipfel zur Kaukaus-Krise "Wir brauchen Russland"

Stand: 01.09.2008 21:27 Uhr

Mit einem müden Lächeln wird die russische Führung auf den Beschluss des EU-Gipfels reagieren, die Gespräche über ein Partnerschaftsabkommen vorerst auszusetzen. Echte Sanktionen sehen anders aus. Und dennoch ist die Entscheidung richtig, meint Michael Becker.

Von Michael Becker, MDR-Hörfunkstudio Brüssel

Das Ergebnis sieht auf den ersten Blick mager aus: Die EU kritisiert Russland für das unangemessene Verhalten Georgien gegenüber und für die Anerkennung der beiden abtrünnigen georgischen Provinzen.

Außerdem friert die EU ihre Verhandlungen mit dem Kreml über ein neues Partnerschaftsabkommen ein, so lange die Russen sich nicht ganz aus Georgien zurückgezogen haben. Im Kreml wird man das mit einem müden Lächeln kommentieren. Das sind Gespräche auf Expertenebene, die weichste aller denkbaren Sanktionen, ein Druckmittel, das die Russen kaum beeindrucken wird. Nicht viel mehr als ein Symbol, um zu zeigen, dass man es ernst meint – und um diejenigen in der EU zufrieden zu stellen, die Sanktionen gefordert haben. Keine Frage: Echte Sanktionen sehen anders aus. Dass die EU sich Russland gegenüber zurückhält, ist dennoch richtig.

Wer mehr als das fordert, worauf man sich in Brüssel geeinigt hat, der fragt sich nicht, was dabei eigentlich herauskommen soll. Natürlich kann man Sanktionen gegen Russland beschließen, die die Russen empfindlicher treffen würden - so wie es viele EU-Länder in Osteuropa wollen. Das kann man alles tun - aber mit welchem Ziel?

Angela Merkel hat Recht, wenn sie sagt: Wir haben eine Interessengemeinschaft mit Russland. Es macht wirklich keinen Sinn, Gesprächsfäden abreißen zu lassen, wie Merkel es formuliert hat. Wir können nämlich nicht ohne Russland, ob uns das nun passt oder nicht. Dass die EU-Länder in Osteuropa eine härtere Gangart gegenüber dem Kreml fordern, ist kein Wunder. Sie haben noch viele Rechnungen mit den Russen offen. Die Wunden aus der Zeit, als sie noch Vasallen Moskaus waren, sind noch längst nicht verheilt.

Das aber kann nicht der Maßstab dafür sein, wie die EU mit Russland umgeht. Wir können uns einen Bruch in den Beziehungen zu Russland nicht leisten - davon hat niemand etwas. Wie brauchen Russland, wenn es darum geht, internationale Konflikte zu meistern. Wir wollen, dass die Russen sich am Kampf gegen den Klimawandel beteiligen. Wir wollen, dass sie gemeinsam mit uns Iran und sein Atomprogramm in Schach halten. Wir wollen, dass sie uns helfen, den Nachschub für unsere Truppen in Afghanistan ins Land zu bringen. Und vor allem: Wir brauchen ihre Energie - ihr Gas und Öl.

Wir sind in vielerlei Hinsicht abhängig von Russland - daran kommt man nicht vorbei. Kritik an Russland ist berechtigt - keine Frage - und man sollte sie auch klar und deutlich aussprechen. Den Russen die Tür vor der Nase zuzuschlagen bringt dagegen gar nichts. Wenn jemand in diesem Konflikt vermitteln kann, dann ist es die EU. Und diese Rolle sollte sie auch nicht verspielen.

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