Europäischer Asylstreit Europa ist kein Nullsummenspiel
Im Streit um Europas Asylpolitik zeigt eine Nation auf die andere. Dabei liegt eine gemeinsame europäische Lösung längst auf dem Tisch. Dafür müssten die Länder aber statt dem Menschenrecht auf Asyl den eigenen Stolz begraben.
Wann immer Politiker einen Satz mit "entweder oder“ formulieren, sollten wir skeptisch sein. Weil der implizierte Dualismus in den meisten Fällen gar keiner ist, sondern fehlende Kompromissbereitschaft auf der eigenen Seite verdecken soll. So wie im Streit um Europas Asyl-Regeln: nationale Narrative, wohin man auch schaut.
Widersprüche blenden die Regierungen aus
Italiens neue rechte Regierung zum Beispiel macht ihre Häfen dicht für das Flüchtlingsschiff "Aquarius“, um ein Wahlversprechen einzulösen und die eigene Erzählung der wiedergewonnenen Wehrhaftigkeit zu illustrieren. Dass in Italien längst weniger Menschen ankommen als in den Jahren zuvor, bleibt ebenso unerwähnt wie der Profit moderner Sklaventreiber auf kalabrischen Tomatenfeldern.
In Spanien durfte die "Aquarius“ dann schließlich einlaufen, vor einer extra errichteten Pressetribüne im Hafen von Valencia. Als humanistisches Signal will das der neue sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez verstanden wissen. Dass die allermeisten Ankommenden ohnehin nicht in Spanien Asyl beantragen, sondern nach Frankreich und Deutschland weiterziehen wollen, verschweigt er.
Österreich und Dänemark wollen "Asylzentren“ deshalb gleich außerhalb der EU errichten. Während schnelle und korrekte Asylverfahren noch nicht einmal diesseits der Grenze auf Idomeni oder Lampedusa gelingen, sollen sich Flüchtlinge auf halbseidene Drittstaaten verlassen, in denen sich europäische Beamte kaum ohne Geleitschutz vor die Tür trauen.
Und Deutschland? Anstatt als europäische Moderatorin einen Ausgleich zwischen den Interessen zu suchen, beharrt die Bundesregierung auf der Rücknahme aller zuerst dort Gestrandeten in Italien. Ohne zu erklären, warum Italien dann überhaupt noch Flüchtlinge registrieren und an der Weiterreise hindern sollte, wenn Österreich und Bayern sie ihnen genau deshalb wieder vor die Tür setzen.
Europäische Lösung existiert längst
Eine europäische Lösung kann keine nationale sein, so wie eine deutsche keine allein bayerische. Europa lebt von Zugeständnissen, die muss man allerdings auch finden wollen.
Wie das gehen kann, zeigt das Europäische Parlament. Das hat sich bereits im vergangenen Herbst mit Zweidrittelmehrheit auf neue Asyl-Verfahrensregeln verständigt - übrigens auch mit den Stimmen von CDU und CSU. Demnach wären die Ersteinreiseländer nicht länger allein verantwortlich für die Bearbeitung der Asylanträge - ein Zugeständnis an Italien und Griechenland. Anerkannte Flüchtlinge würden nach dynamischem Schlüssel umverteilt, so wie es Deutschland wollte. Aber eben nicht allein nach Bevölkerungsgröße sondern auch nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eines Landes – aus Rücksicht auf Polen und Ungarn.
EU ist per Definition ein Kompromiss
Statt diesen Kompromiss durch den Europäischen Rat zu treiben, beharren die Staats- und Regierungschefs von Malta bis Helsinki auf dem Mythos der fehlenden europäischen Lösung. Dabei meinen sie nichts anderes als: "Die anderen sind nicht alle meiner Meinung, deshalb verweigere ich den Dialog“. Aber so funktioniert Europa nicht. Die EU ist per Definition ein Kompromiss und der braucht Zugeständnisse, das ist nun wirklich nicht erst seit gestern so.
Mit nationaler Symbolpolitik kann man vielleicht eine bayerische Landtagswahl retten. Aber man sollte nicht gleichzeitig Europas Dysfunktionalität anprangern. Wer nach kontinentalem Aufbruch ruft und ihn gleichzeitig blockiert, der handelt bigott.
Kompromisse sind mühsam und politisch mitunter kostspielig. Aber es gibt in der EU kein einziges Land, das von Europa unterm Strich nicht profitiert hätte - weil sich nationalstaatliches Interesse und europäische Einigung eben nicht ausschließen. Europa ist kein Nullsummenspiel. Auf dieses Gegensatzgerede sollten wir nicht hereinfallen.
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