Johnsons Rückzug Ein unwürdiges Ende
Auch in den letzten Tagen als Parteichef hat Johnson es an Anstand vermissen lassen. Selbst als der Kampf schon verloren war, klammerte er sich noch an die Macht. Nun hinterlässt er ein Land in der Krise.
Was für ein trauriges Schauspiel. Boris Johnson hat sich an die Macht geklammert, einen Rücktritt abgelehnt, als längst klar war: Der Kampf ist verloren.
Nach zahlreichen Affären, Täuschungen des Parlaments und Lügen ist der Populist Johnson am Ende. Dem Rücktritt hat er zugestimmt, bevor ihn seine Parteifreunde aus dem Regierungssitz getragen hätten.
Es ist ein unwürdiges Ende, es fehlt der Anstand, den Johnson auch während der Enthüllungen zu "Partygate" vermissen ließ. Vielleicht fehlt sogar die Einsicht. Um die 50 Minister, Staatssekretäre und konservative Politiker mit wichtigen Regierungsfunktionen sind zurückgetreten. Loyale Minister sprachen auf ihn ein. Und Johnson konnte es offenbar nicht fassen - ein Trump-artiger Moment.
Der Brexit setzt dem Land zu
Was bleibt? Großbritannien in der Krise. Das Land steht wirtschaftlich vor der Rezession, die Inflation ist auf einem Allzeit-Hoch, die Lebenshaltungskosten setzen vielen Menschen im Vereinigten Königreich zu.
Vorbereitet ist das Land auf diese Situation überhaupt nicht. Im Gegenteil: Der Brexit setzt dem Land zu, mittlerweile ist klar, dass der Austritt aus dem EU-Binnemarkt den Handel hat einbrechen lassen, während der Premier immer noch von "world-leading", weltweit führend, faselte.
Demut und Aufrichtigkeit waren nie Johnsons Stärken, leider ließ er auch Kompetenz vermissen bei wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen und mogelte sich irgendwie durch.
Uneingelöste Versprechen
Weiteres Beispiel: Das Gesundheitssystem NHS in Großbritannien ist in der Krise, viele Menschen warten auf wichtige Operationen Monate oder gar Jahre. Johnson hat mit dem Antritt der Regierung versprochen, 40 neue Kliniken zu bauen. Bislang hat es gerade einmal sechs Erweiterungen bestehender Krankenhäuser gegeben, wie der Chef des NHS mitteilte.
Es sind uneingelöste Versprechen, die politische Kultur, der Populismus, mit dem der Premier gegen die Wand gefahren ist. "Get Brexit done" ist die Losung, mit der er in die Geschichtsbücher eingehen wollte. Einige in seiner Partei mögen es auch so sehen. Aber der Streit um das Nordirland-Protokoll zeigt: Er hat den Brexit eben nicht umgesetzt - eine der schwierigsten Fragen ist immer noch ungeklärt. Johnson glaubte auch hier, sich irgendwie durchwursteln zu können.
Wunsch nach mehr Nüchternheit
Ist das jetzt das Ende des Populismus in Großbritannien? Vielleicht wäre diese Erwartung zu groß. Aber der Wunsch, nun wieder nüchterner, weniger disruptiv regiert zu werden, lässt sich sogar wissenschaftlich nachweisen. Die Britinnen und Briten haben die Nase voll von einem Premier, der Fähnchen-schwenkend mit wuscheligen Haaren ein Drahtseil hinabgleitet.
Machen wir uns nichts vor: Der Nachfolger oder die Nachfolgerin wird den grundlegenden konservativen Kurs wahrscheinlich beibehalten: eine restriktive Asylpolitik, den Brexit. Doch es gibt die Chance auf eine bessere Wirtschaftspolitik und auf einen Partner, mit dem die Verhandlungen zum Nordirland-Protokoll möglicherweise einfacher zu führen sind. Langweilige Politiker sind manchmal gar nicht so schlecht.