Kommentar zum Roma-Streit beim EU-Gipfel Sarkozy hat den Bogen überspannt
Auf EU-Ebene pocht Frankreichs Präsident Sarkozy gerne auf Eigenständigkeit. Das macht Deutschland genauso. Dass Sarkozy aber beim Gipfel behauptete, Kanzlerin Merkel wolle ebenfalls Roma-Lager schließen, geht zu weit. Doch der Eklat hat ein Gutes, meint Birgit Schmeitzner: Das Thema ist zur Chefsache geworden.
Von Birgit Schmeitzner, SWR-Hörfunkstudio Brüssel
Nicolas Sarkozy war auf Krawall gebürstet. Sein Auftritt beim EU-Gipfel folgte dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Dabei ist der französische Präsident nicht gerade zimperlich vorgegangen, hat den Degen und nicht das Florett gewählt und sich jegliche Kritik der EU-Kommission an seiner Roma-Politik verbeten. Das mag daheim gut ankommen. Auf der europäischen Bühne wirkte es arrogant. Und es zeigt allzu deutlich, wie sehr die Mitgliedsländer auf ihre Eigenständigkeit pochen - EU hin oder her.
Auch Merkel pocht auf viel Eigenständigkeit
Paris spielt immer ganz vorne mit, wenn es darum geht, der Zentrale in Brüssel die Zähne zu zeigen. Und dass hier kein falscher Eindruck entsteht: Das macht unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel auch - auch Deutschland pocht auf viel Eigenständigkeit. Nicht umsonst heißt es: Ohne die deutsch-französische Achse geht in der EU nicht viel voran.
Dieses Mal hat Sarkozy allerdings den Bogen überspannt. Merkel pflichtet ihm zwar bei, dass die Brüsseler Kritik an Frankreich in Wortwahl und Tonfall daneben war. Aber dass er ihr in den Mund gelegt hat, dass sie nach französischem Vorbild vermeintliche Roma-Lager in Deutschland schließen will, das geht zu weit. Und wurde umgehend von der Bundesregierung dementiert.
Wird in Europa mit zweierlei Maß gemessen?
Sarkozy und seine Regierungsmannschaft haben zudem ganz nebenbei noch ein paar andere EU-Staaten verprellt. So kann man doch mit einem großen EU-Mitglied nicht umspringen, hatte Europaminister Lellouche getönt und in seiner Beleidigung ganz offenbar vergessen, dass man sich automatisch die Frage stellt: Wird in der EU mit zweierlei Maß gemessen? Darf man das mit einem kleinen Land schon machen? In diesem Fall vielleicht mit Luxemburg, das praktischerweise die Heimat von Justizkommissarin Reding ist.
Sie ist die streitbare Frau, die das rigide Vorgehen Frankreichs gegen die Roma ungewöhnlich scharf verurteilt hat, die Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot und das verbriefte Recht auf Freizügigkeit vermutet und mit rechtlichen Schritten droht. In der Sache hat sie wohl Recht. Doch dummerweise ist ihr ein fataler Fehler unterlaufen: Sie hat den Zweiten Weltkrieg erwähnt. Sie hat gesagt: So einen Umgang mit Minderheiten hätte sie nach 1945 nicht mehr erwartet. Geradezu eine Einladung an Sarkozy, sich genau auf diesen Satz einzuschießen, lauthals über einen Nazi-Vergleich zu schimpfen und alles andere in den Hintergrund zu drängen.
Thema wird nun nicht mehr totgeschwiegen
Damit ist die berechtigte Kritik aus Brüssel erst einmal verpufft - und man kann nur hoffen, dass auf dem nächsten EU-Gipfel im Oktober sachlich über die Roma und die schwierige Frage der Integration diskutiert wird. Denn ein Gutes hat der Eklat nämlich doch: Das Thema wird nicht mehr totgeschwiegen, es ist zur Chefsache geworden.