Kommentar

Kommentar Etappensieg für Merkel

Stand: 29.10.2010 05:03 Uhr

Angela Merkel kann sich freuen: Der Lissabon-Vertrag wird wohl so verändert, dass es einen permanenten Krisenmechanismus gibt. Das war ihre Forderung. Das mag auch an Merkels neuer Basta-Politik liegen. Die funktioniert - aber Vertrauen schafft sie nicht, meint Birgit Schmeitzner.

Ein Kommentar von Birgit Schmeitzner, ARD Berlin

Von Birgit Schmeitzner, SWR-Hörfunkstudio Brüssel

Es ist ein Etappensieg, den Angela Merkel feiern kann. Die Bundeskanzlerin war zum EU-Gipfel gekommen mit der klaren Ansage: Ich will einen permanenten Krisenmechanismus für Pleiteländer, der private Gläubiger einbezieht. Auch, wenn dafür der Lissabon-Vertrag verändert werden muss. Und: Ich will erreichen, dass chronischen Defizitsündern das Stimmrecht entzogen werden kann.

Den ersten Punkt hat Merkel durchgebracht, hat alle anderen 26 Staats- und Regierungschefs überzeugt. Hilfreich waren da sicher die immer wiederkehrenden Beschwichtigungen: "Wir wollen doch nicht den gesamten Vertrag aufmachen, es geht nur um zwei Zeilen, keine Angst vor neuerlichen Volksbefragungen." Mit dem Arbeitsauftrag an Ratspräsident Herman van Rompuy, bis Dezember die Details auszuarbeiten, ist dieses Projekt auf die Schiene gesetzt.

Ganz anders sieht es beim zweiten Punkt aus, den Entzug des Stimmrechts. Der wurde vertagt - wenn es nach Staatsmännern wie dem luxemburgischen Premier und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker geht, bis zum Sanktnimmerleinstag. Van Rompuy soll diese Forderung prüfen können, nach dem Dezember-Gipfel - unverbindlicher geht es kaum. Aber es hilft, dass Merkel ihr Gesicht wahren kann. Und dass sie eine Drohung nicht wahr machen musste - nämlich den Gipfel platzen zu lassen. So aber konnte sie sagen: ich habe meine wesentlichen Punkte weit vorangebracht.

Ihre Zustimmung für das Paket der van Rompuy-Gruppe, das dem Stabilitätspakt mehr Biss verleihen soll, war da nur noch eine Formsache. Es ist also etwas vorangegangen in dieser Nachtsitzung. Und doch bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Merkel hat viele Länder gegen sich aufgebracht. Ihr Vorpreschen mit dem französischen Präsidenten Sarkozy hat die anderen 25 EU-Partner vor den Kopf gestoßen. Die Sache mit dem Stimmrecht wurde als unverhältnismäßig, gar als erniedrigend bezeichnet. Der griechische Regierungschef soll in der hitzigen Diskussion gesagt haben: "Ich lasse mir doch dieses Recht nicht nehmen, lasse mich nicht zum Bürger zweiter Klasse machen."

Da schwingt die Sorge mit, dass die EU auf ein Zweiklassensystem hinsteuert: hier Deutschland und Frankreich, die großen, die viel zahlen und bestimmen wollen - dort der Rest. Merkels neue Taktik - weg vom Vermitteln, hin zur Basta-Politik á la Gerhard Schröder, mag effektiv sein. Und deutsche Interessen in Europa voranbringen. Vertrauen schafft sie nicht.

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