Scholz empfängt Netanyahu Freunde müssen sich kritisieren dürfen
Darf ein deutscher Kanzler einem israelischen Ministerpräsidenten auf deutschem Boden sagen, er sorge sich um die Demokratie in Israel? Er darf. Er muss sogar.
Die Sicherheit Israels ist und bleibt deutsche Staatsräson. Das Menschheitsverbrechen der Shoa eine immerwährende Verpflichtung. Nichts daran ändert sich. Auch eine Justizreform in Israel darf und wird das nicht schaffen. Aber: Zur Sicherheit Israels trägt bei, dass das Land ein Rechtsstaat ist und bleibt. Die einzige echte Demokratie in einer überwiegend undemokratischen Region.
Darf also ein deutscher Bundeskanzler einem israelischen Ministerpräsidenten auf deutschem Boden sagen: Wir machen uns Sorgen um die Demokratie bei Euch? Er darf. Er muss es sogar.
Dass Bundeskanzler Olaf Scholz es von sich aus tat - aller Ehren wert. Freunde dürfen und müssen einander kritisieren dürfen, um der Freundschaft Willen. Als demokratische Wertepartner und enge Freunde verfolge man die Diskussion um die Justizreform mit großer Sorge. Scholz wählte Klartext - wissend, wie schmal der Grat ist, wenn ausgerechnet Deutschland versucht, Israel Demokratie zu erklären.
Der Kritik der Justizreformgegner in Israel und auch hierzulande, die fürchteten, Netanyahu und seiner ultrarechten Regierung biete der unbedarfte Scholz eine willkommene Bühne, begegnete Scholz mit freundschaftlicher Sorge um die liberale Demokratie Israel.
Ein gutes Zeichen
Noch vor Jahren vermutlich undenkbar, dass Deutschland, das Land der Täter, Israel auf deutschem Boden Ratschläge zu innenpolitischen israelischen Kontroversen gibt. Dass es jetzt möglich war, ist ein gutes Zeichen.
Die Justizreform in Israel sehen viele, auch Hunderttausende Demonstranten, als eine Gefahr für die Demokratie. Dass ein israelischer Ministerpräsident den Großteil einer Pressekonferenz in Deutschland nutzen muss, um zu versichern, Israel war, ist und werde eine liberale Demokratie bleiben, ist ein ebenso ungewöhnliches wie gutes Zeichen. Partner erklären, streiten vielleicht, aber hören einander zu.
Netanyahu, der nicht den Ruf hat, irgendeinem Streit auch öffentlich aus dem Weg zu gehen, versuchte hier in Berlin zu erklären, was sogar dem deutschen Bundespräsidenten Sorgen macht: eine Justizreform, die die Gewaltenteilung aushebeln könnte.
Starke deutsch-israelische Partnerschaft
Bei aller Sorge darüber, bei aller berechtigten Kritik an der in Teilen rechtsextremen Regierung, die Netanyahu anführt: Der Besuch in Deutschland war gut. So stark ist offenbar die deutsch-israelische Partnerschaft, dass ein Kanzler von sich aus Sorge um die israelische Demokratie und Kritik am völkerrechtswidrigen Siedlungsbau Israels äußert. Von sich aus. Öffentlich und ohne Eklat.
Am Morgen noch standen Scholz und Netanyahu auf Gleis 17 im Grunewald. Tausende Juden fuhren damals von dort in den Tod in die Lager. Netanyahu beschrieb den weiten Weg, den beide Staaten seither gemeinsam gegangen sind, eindrücklich. Vor 78 Jahren seien die Juden lose Blätter im Wind gewesen, die in die Öfen der Zerstörung geschickt wurden. Keine 80 Jahre später stehe er in Deutschland als Repräsentant des jüdischen Staates und biete ein israelisches Raketenabwehrsystem an, um bald den Himmel über Deutschland zu schützen.
Über die Justizreform können und müssen sich Kanzler, Bundespräsident, die Außenministerin und alle Freunde Israels große Sorgen machen. Um die deutsch-israelische Partnerschaft als solche nicht.