EU-Marinemission Nicht nur Italien hintergeht "Sophia"
Viele EU-Staaten beschuldigen Italien, die EU-Mission im Mittelmeer zu gefährden. Doch damit machen sie es sich zu einfach. Das Grundproblem ist die fehlende europäische Migrationspolitik.
Sophia ist ein Mädchen, das im Sommer 2015 zur Welt kam. Auf dem Mittelmeer, an Bord der Bundeswehr-Fregatte "Schleswig-Holstein". Ihre Mutter war aus Somalia über Libyen auf das Meer geflohen, wurde von deutschen Soldaten nach Italien gebracht und landete schließlich in Gelsenkirchen. Beide haben überlebt. Nach Sophia hat die EU später ihre Marinemission benannt, die den Menschenschmuggel und das Sterben auf dem Mittelmeer eindämmen sollte.
Inzwischen droht der Operation "Sophia" ein wenig ruhmreiches Ende unter einem Haufen politischer Schuldzuweisung. Doch einen einzelnen Schuldigen auszumachen ist zu wenig, denn "Sophia" ist gleich dreifach betrogen worden.
Italien profitiert von der Mission
Da ist zunächst die italienische Regierung. Sie hat nicht nur das Kommando über die gemeinsame Mission, ohne Rom hätte es "Sophia" sogar niemals gegeben. Denn die Mission sollte Italien entlasten, als immer mehr Menschen dort ankamen: politisch, organisatorisch und finanziell. Doch die neue rechte Regierung dreht die Geschichte nun um. Sie inszeniert Italien als gleichzeitig allein gelassen und fremdbestimmt.
Als hätte Rom den Regeln der Operation nicht von Anfang an zugestimmt. Als hätte das Land nicht auch von "Sophia" profitiert. Als ginge es tatsächlich um Fairness statt um den schnellen innenpolitischen Erfolg. Als würde die italienische Einsatzleitung die Operation nicht ohnehin längst sabotieren, indem sie Menschen wie die Mutter des Mädchens Sophia auf hoher See heute lieber der wenig zimperlichen libyschen Küstenwache meldet, als den sicheren Schiffen der EU-Mission.
Keine Migration, kein Problem?
Aber auch für die übrigen EU-Länder war "Sophia" vor allem Mittel zum Zweck, ein politisches Manöver. Für die Staats- und Regierungschefs sollte der Einsatz auf dem Mittelmeer aus einer humanitären Krise einen militärischen Antagonisten machen, der sich auch militärisch bekämpfen ließe. Keine Schlepper, keine Migration, kein Problem - so lautete die Gleichung. Statt eine gemeinsame europäische Antwort zu finden, sollte vor allem die Frage nach der Lösung des Problems verschwinden.
Und schließlich haben es sich auch die Verteidigungsminister und Militärs einfach gemacht und die Schattenseiten ihrer Mission nicht eingestehen wollen. Ihre Kriegsschiffe sind für die Seenotrettung kaum geeignet. Ihre Strategie, Schmugglerboote zu zerstören - 463 sind es seit Beginn der Mission gewesen - ist eine Ursache dafür, dass viele Migranten seither in seeuntüchtigen, aber leichter ersetzbaren Gummibooten stecken. Schließlich sind trotz der Mission allein in diesem Jahr mehr als 1400 Menschen ertrunken.
Gemeinsame Migrationspolitik fehlt
Selbst wenn es der EU gelingen sollte, die italienische Regierung umzustimmen und die Mission zu verlängern: Sie ersetzt keine umfassende europäische Migrationspolitik. Diese müsste regeln: Die Rettung auf dem Mittelmeer, die geregelte Ankunft sowie die einheitliche Bearbeitung von Asylanträgen und Verteilung anerkannter Flüchtlinge. Sie müsste aber auch regeln: die Abschiebung Abgelehnter bei Umverteilung aller entstehenden Kosten zwischen den EU-Staaten.
Für all diese Probleme haben das Europaparlament und Think Tanks - von progressiv bis konservativ - längst fertige Konzepte ausgearbeitet. Doch immer weniger europäische Regierungen sind bereit den politischen Preis für ihre Umsetzung zu zahlen.
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