ARD-Wahlarena Eine befreiende Europa-Diskussion
Endlich kamen mit Weber und Timmermans mal nicht die lauten EU-Gegner zu Wort, sondern zwei differenziert argumentierende Europäer. Es wäre ein demokratisches Signal, wenn einer von beiden Kommissionschef würde.
Es war eine befreiende Europa-Diskussion. Denn das TV-Duell des Spitzenkandidaten der Konservativen, Manfred Weber, und seines sozialdemokratischen Kontrahenten Frans Timmermans zeigte: Es lässt sich 90 Minuten lang intensiv, intelligent und fair über die Zukunft der EU diskutieren, ohne ein einziges Mal den Brexit zu erwähnen. Niemand aus dem gut vorbereiteten und klug fragenden Publikum wollte etwas zu diesem Dauerthema wissen, das in der Europaberichterstattung häufig einen viel zu dominanten Platz einnimmt.
Leidenschaftliche EU-Spitzenpolitiker
Befreiend war die Diskussion zur besten Sendezeit aber auch, weil sie zwei differenziert argumentierende EU-Spitzenpolitiker ins Rampenlicht stellte, die den meisten Wählern zu Unrecht noch völlig unbekannt sind. Endlich standen einmal nicht die marktschreierischen EU-Gegner im Vordergrund, die illiberalen Demokraten und populären Rechtspopulisten aus Italien, Frankreich, Deutschland, Ungarn und Österreich.
Da standen zwei nachdenklich und leidenschaftlich argumentierende EU-Spitzenpolitiker, ein Deutscher und ein Niederländer, die beide Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden möchten. Und die beide zeigten, dass sich die Lager der EU-Befürworter durchaus in zentralen Punkten unterscheiden. Dass die Wähler also nicht nur die Wahl haben zwischen fanatischen EU-Gegnern und Pro-Europäern und Pro-Europäern letztlich völlig egal ist, welche parteipolitische Richtung sie Vertretern.
Sie stehen für unterschiedliche Konzepte
Weber und Timmermans stehen für unterschiedliche Europakonzepte der Zukunft. Der Christsoziale Weber ist strikt gegen eine Sozialunion. Von einer Europäisierung der sozialen Sicherungssysteme und einem aus EU-Steuergeldern gespeisten Fonds für eine Arbeitslosen-Rückversicherung zum Beispiel in Griechenland oder Italien will er nichts wissen.
Der Sozialdemokrat Timmermans hingegen schon. Der perfekt Deutsch sprechende, angriffslustige und gewitzt argumentierende Niederländer setzte dem umständlicher und langatmiger argumentierenden Niederbayern Weber deutlich zu. Timmermans gab sich als äußerst engagierter Klimaschützer und plädierte für die CO2-Abgabe. Weber lehnt die CO2-Abgabe ab, wollte aber Timmermans als Klimaschützer nicht nachstehen. Als Ingenieur für Umwelttechnik setze auf technische Innovationen statt auf die Steuerkeule, lautet Webers Argument.
Webers "Ja, aber"-Argumentation
Weber verfing sich in dem "Ja, aber"-Argumentationsmuster. Klimaneutrale Produktion bis 2050 ja - aber bitte schön, ohne die Arbeitsplätze in der Autoindustrie zu ruinieren. Umweltschutz ja, aber ohne die Mallorca-Reisen für Geringverdiener teurer zu machen.
Timmermans setzte dieser "Ja, aber"-Schwerfälligkeit kurze knappe Thesen entgegen. CO2- Steuer ohne wenn und Aber, und ohne Geringverdiener zusätzlich zu belasten. Das klang pointiert und so, als gebe es tatsächlich unproblematische Lösungen der drängendsten europäischen Probleme.
Der eigentliche Start des Europawahlkampfes
Dieses TV-Duell war der eigentliche Start des Europawahlkampfes. Zwei sehr gut qualifizierte potenzielle Juncker-Nachfolger stehen bereit. Und vielleicht hat einer von ihnen tatsächlich eine Chance, der nächste Präsident der EU-Kommission zu werden. Vorausgesetzt das Parlament zieht mit und kann sich auf einen der beiden mit deutlicher Mehrheit einigen. Sonst werden Merkel und Macron versuchen, ihre eigenen Juncker-Nachfolgekandidaten aus dem Hut zaubern.
Diese TV-Debatte ist erst der Anfang eines langen Weges zur neuen EU-Kommission. Und ihr zukünftiger Präsident muss weder Timmermans noch Weber heißen. Aber es wäre schon ein demokratisches Signal für Europa, wenn einer von ihnen beiden es würde, und nicht die Regierungschefs die Weichen für die Juncker-Nachfolge stellen.
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