
Louis Armstrong in der DDR Es ging ihm nicht um Politik, sondern um Jazz
Vor 60 Jahren, mitten im Kalten Krieg, tourte erstmals ein US-Superstar durch die DDR: Louis Armstrong. Politisch hielt sich der Künstler zurück - und ebnete damit den Weg für Jazz in der DDR.
Als Karlheinz Drechsel im Februar 1965 gefragt wurde, ob er als Moderator und Reiseleiter die Tournee von Louis Armstrong durch die DDR begleiten wolle, hielt er das für einen schlechten Witz: Knapp vier Jahre teilte die Mauer nun schon Berlin und in Vietnam bahnte sich gerade ein Stellvertreterkrieg an. Mitten im Kalten Krieg sollte Drechsel den US-amerikanischen "King of Jazz" durch ein Land führen, in dem man noch nicht einmal dessen Platten offiziell kaufen konnte?
Als Musikjournalist wusste Drechsel genauestens, wie die DDR mit Jazz umging: Im Jugendsender DT64 lief er ab und an, doch die Beschimpfung als "imperialistische Affenkultur" durch Staats- und Parteichef Walter Ulbricht klang noch immer nach. Dass Armstrong trotzdem eingeladen wurde, gehörte zu den alltäglichen Widersprüchen der DDR-Kulturpolitik.
Die Anfrage der DDR-Künstleragentur war also ernst gemeint. Und Karlheinz Drechsel musste nicht lange darüber nachdenken: "Armstrong war sein Idol. Es war für ihn die Erfüllung eines Traums, ihm leibhaftig zu begegnen", sagt sein Sohn Ulf Drechsel, der wie sein 2020 verstorbener Vater Radiomoderator und Jazz-Spezialist geworden ist.

Louis Armstrong spielte in der DDR 17 Konzerte in acht Tagen.
Die DDR zahlte selbst
Am 19. März landeten Louis "Satchmo" Armstrong und seine Band, die All Stars, dann auf dem Flughafen in Schönefeld. Zur Begrüßung spielten die Berliner Jazz Optimisten mit "When It’s Sleepy Time Down South" einen von Armstrongs Lieblingssongs. Der Mann mit der einmaligen Stimme griff spontan zum Mikrofon und sang mit.
Bei der Pressekonferenz im Ost-Berliner Hotel Berolina rauchte Armstrong dann bestens gelaunt und ohne Unterlass, während offizielle Vertreter verdeutlichten, was sich die DDR von dem Besuch des Weltstars erhoffte: Anerkennung durch den Rest der Welt und ein bisschen Glanz.
Ihr Versuch, das Gastspiel dafür zu nutzen, um auf die Rassendiskriminierung in den USA aufmerksam zu machen, scheiterte. Armstrong, sonst ein klarer Fürsprecher der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, stellte klar, dass er für alle Amerikaner gleichermaßen spiele.
Mit Band und Trompete tourte Louis Armstrong damals durch verschiedene sozialistische Staaten. Bezahlt wurde das teilweise von den Vereinigten Staaten. Im Gegenzug sollten "Satchmo" und seine Musik für die westliche Demokratie werben dürfen. Die DDR lehnte das Angebot daher ab - und zahlte die Gage selbst.
"Vergessen Sie allen anderen Scheiß"
"Satchmos" Verehrer dürfte das alles nicht interessiert haben. Die 18.000 Konzertkarten für seine drei Berliner Konzerte waren nach einem Tag ausverkauft. In Magdeburg, Erfurt und Schwerin sah es ähnlich aus. Mit 17 über die DDR verteilten Auftritten in nur acht Tagen war der Konzertplan eng gestrickt.
Ein westdeutscher Journalist hatte bei der Pressekonferenz auch nach der Berliner Mauer gefragt. "Ich habe die Mauer gesehen", antwortete Armstrong lapidar und fügte hinzu: "Ich mache mir keinen Kopf um die Mauer, ich mache mir einen Kopf um das Publikum."
Kurz schien es so, als würde er trotz seines Appells, sich nur auf die Musik zu konzentrieren, zwischen die politischen Systeme geraten: "Ich kann nicht sagen, was ich eigentlich sagen will", meinte Armstrong und rettete sich mit einem Rat, den der Dolmetscher dann nicht wörtlich übersetzen mochte: "Vergessen Sie allen anderen Scheiß!"
Armstrongs Charme überzeugte
Mag diese Haltung auch naiv gewesen sein, so ermöglichte sie etwa 45.000 Menschen in der DDR immerhin Freiheit für jeweils knapp zwei Stunden bei guter Musik.
Karlheinz Drechsel, der seinem Idol während der Tour sehr nahe gekommen war, berichtete seinem Sohn allerdings auch, wie erschüttert er Armstrong beim Anblick der Mauer erlebt hatte. Umso wichtiger sei ihm gewesen, dem ostdeutschen Publikum Abend für Abend ein einzigartiges Konzert zu bieten.
Am Ende ließ Armstrongs Charme selbst die Hardliner weich werden: "Satchmo kam, blies und siegte", titelte am 21. März 1965 das Neue Deutschland. Auch das Zentralorgan der SED hatte den Jazz bis dahin verunglimpft oder totgeschwiegen. Nun berichtete man, dass der "sympathische amerikanische Künstler" ein abwechslungsreiches Programm vom traditionellen New-Orleans-Jazz bis zum "treuen Husaren" geboten habe. Im alten Friedrichstadtpalast habe am Vorabend Volksfeststimmung geherrscht, auch Armstrongs "eigenwillige Gesangskunst" blieb nicht unerwähnt.
Anlässlich der Tour im März 1965 nahm das DDR-Label Amiga einige von Armstrongs Platten ins Programm auf und schon bald kamen auch andere Jazz-Größen aus dem Westen für Konzerte in den Osten. Bis Ende der 60er-Jahre war Jazz als Bestandteil der Musikkultur in der DDR dann endgültig anerkannt.