#MeToo-Debatte auf der Berlinale "Von Gleichberechtigung weit entfernt"
Auf der Berlinale wird es auch um die #MeToo-Debatte gehen. "Das wurde höchste Zeit", sagt Schauspielerin Gesine Cukrowski. Mit tagesschau.de spricht sie über strukturellen Sexismus und was sich verändert hat.
tagesschau.de: Bei der Berlinale wird es diesmal etwas ernster zugehen als sonst. Es soll Podiumsdiskussionen und Beratungsangebote zur #MeToo-Debatte geben. Wie denken Sie darüber?
Gesine Cukrowski: Ich finde das großartig, ich freu' mich darauf und es ist längst an der Zeit, diese Debatten auch öffentlich zu führen. Ich unterstütze alles, was dazu beiträgt, die Augen für eine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau zu öffnen. Denn davon sind wir leider noch sehr weit entfernt.
tagesschau.de: Warum steht gerade die Filmbranche so im Fokus der Debatte?
Cukrowski: Benachteiligung von Frauen und auch sexuelle Diskriminierung kommen überall in der Gesellschaft vor. Da sticht die Film- und Fernsehbranche nicht besonders heraus. Aber in der Branche hat sich beispielsweise erst sehr spät eine Gewerkschaft gegründet. Hier sind alle Einzelkämpfer. Dass man sich zusammenschließt und gemeinsam Rechte einfordert, das gibt es noch nicht so lange. In anderen Branchen, wo es einen Betriebsrat gibt, kann man sich ganz anders gegen Benachteiligung wehren.
"Stempel der Zicke"
tagesschau.de: Es soll jetzt eine überbetriebliche Anlaufstelle für sexuelle Belästigung, Gewalt und Diskriminierung in der Branche geben. Hilft das weiter?
Cukrowski: Ja, ich finde es ganz wichtig, dass es überparteiliche Stellen gibt, an die man sich wenden kann. Manchmal hilft es ja auch schon, wenn einem jemand rät, wie man mit so etwas umgeht.
tagesschau.de: Wenn man die #MeToo-Debatte verfolgt, ist es erschütternd, wie verbreitet sexuelle Belästigung in der Branche gewesen ist. Warum haben alle so lange geschwiegen?
Cukrowski: Das hat wohl unter anderem damit zu tun, dass man bei jedem neuen Filmprojekt von Null anfängt. Man muss sich neu bewerben und konkurriert mit allen anderen Schauspielerinnen oder Filmschaffenden auf dem Markt. Wenn ich mich unbeliebt mache, habe ich zu befürchten, dass ich beim nächsten Mal eben nicht mehr für eine Rolle oder eine Produktion beschäftigt werde. Da ist es relativ egal, was ich vorher gemacht habe. Da gibt's immer wieder das Risiko, dass einer sagt: Ach, die ist mir zu anstrengend. Und wenn ich nicht mehr besetzt werde, kann ich meine Miete nicht mehr zahlen.
Und hinzu kommt: Man bekommt als Frau gleich den Stempel der Zicke. Wenn ein Mann sich am Set aufregt, dann ist der mutig und toll und wenn eine Frau sich aufregt, ist sie kompliziert und anstrengend. Das begegnet mir, seit ich in diesem Beruf arbeite und das hat sich bis heute nicht geändert.
Einiges habe die #MeToo-Debatte bereits bewirkt, meint Cukrowski - einige Muster seien aber gleich geblieben.
"Gesine, pass' auf, wie du dich benimmst!"
tagesschau.de: Haben Sie selbst sexuelle Belästigung erlebt?
Cukrowski: Bei einer meiner ersten Fernsehproduktionen vor 25 Jahren hat der Produzent mehrfach versucht, mich ins Bett zu bekommen und ich hab ihn jedes Mal abgewiesen. Und irgendwann war er so beleidigt, dass er bei meiner Agentur anrief und sagte, er werde dafür sorgen, dass ich in der Branche keinen Fuß mehr auf den Boden kriege. Und anstatt mich zu unterstützen, hat meine Agentin mir dann gesagt: Gesine, du musst schon ein bisschen aufpassen, wie du dich benimmst.
tagesschau.de: Das könnte so heute aber nicht mehr vorkommen, oder?
Cukrowski: Nein, im derzeitigen Klima würde sich das kein Produzent mehr trauen. Das hat die #MeToo-Debatte bereits bewirkt. Aber es gibt andere Muster, die fortbestehen. Zum Beispiel muss man - um als Frau eine Rolle zu bekommen - einem bestimmten sexuellen Ideal entsprechen: Möglichst schlanke Figur, aber bloß nicht zu wenig Busen. Man muss 'fuckable' sein. Das ist tatsächlich eine Kategorie, die bei der Besetzung von Rollen abgefragt wird. Also sexy, aber auch wieder nicht zu sehr. Und so muss man sich dann auch präsentieren in der Öffentlichkeit und auf roten Teppichen.
Darunter leiden viele Kolleginnen, gerade wenn sie älter werden: Denn wenn man die 40 überschreitet, wird man ohnehin kaum noch für Rollen besetzt. Also versuchen alle, jünger auszusehen, möglichst keine Falten zu haben und gegebenenfalls nachzuhelfen. Das ist schrecklich.
tagesschau.de: Was hat sich durch die #MeToo-Debatte ansonsten schon getan?
Cukrowski: Die Stimmung hat sich verändert. Als sich beispielsweise vor vielen Jahren die Initiative Pro Quote Regie gegründet hat, haben selbst Frauen in der Branche gesagt: Ich weiß ja nicht, braucht es das wirklich? Es gibt ja ein Vorurteil gegenüber Feministinnen und die Angst, als illoyal zu gelten. Wenn man Farbe bekennt, riskiert man, dass andere das nicht gut finden, was man denkt. Man geht das Risiko ein, etwas zu verlieren, benachteiligt zu werden. Und davor hatten alle so viel Panik, dass keiner den Mund aufgemacht hat. Ich finde es großartig, dass sich das endlich viel mehr Leute trauen. Gerade auch, wenn es um strukturelle Benachteiligung jenseits der sexuellen Belästigung geht.
tagesschau.de: Was meinen Sie?
Cukrowski: Ich arbeite seit 30 Jahren als Schauspielerin und habe erst dreimal mit Regisseurinnen gearbeitet. Und das liegt sicher nicht daran, dass Männer die besseren Regisseure sind, sondern daran, dass dieses System schon immer so war und es den Beteiligten offenbar sehr schwer fällt, das zu durchbrechen. Erst ganz langsam kommt da etwas ins Rollen, wodurch die vielen fantastisch ausgebildeten und talentierten Regisseurinnen mehr ins Spiel kommen.
Und auch die Bezahlung ist sehr ungleich: Ein Mann in meinem Beruf - selbst wenn er die gleiche Erfahrung mitbringt, genauso lang im Geschäft ist und genauso bekannt - verdient bis zum Doppelten dessen, was eine Frau verdient. Bei genau der gleichen Arbeit. Und damit drückt man aus: Die Frau ist weniger wert.
"Thema hat uns flächendeckend betroffen"
tagesschau.de: Eine Studie hat vergangenes Jahr gezeigt, dass Frauen auch viel seltener Hauptrollen bekommen als Männer. Woran liegt das?
Cukrowski: Auch das ist eine alte Gewohnheit, die vielleicht noch vom Theater herrührt: In einem klassischen Stück gibt es ein Dutzend Männerrollen und vielleicht zwei Frauen: Eine Mutter und eine Geliebte. Und auch die Rollenverteilung in den großen Kinofilmen der vergangenen Jahrzehnte war klar männerdominiert.
Solche Muster und Gewohnheiten lassen sich nur schwer ändern. Aber auch hier merkt man: So langsam tut sich etwas, vielleicht nicht zuletzt durch diese Studie von Maria Furtwängler, die viele wohl erschreckt hat.
tagesschau.de: Die #MeToo-Debatte wird allerdings auch kritisiert: Es gibt den Vorwurf der öffentlichen Denunziation, des Rufmords, wenn doch eigentlich die Unschuldsvermutung gelten muss. Was denken Sie darüber?
Cukrowski: Man muss da differenzieren. Opfern von echter sexueller Gewalt muss man immer Gehör verschaffen. Und dann darf man auch Namen nennen. Das heißt aber nicht, dass ich jede beispielsweise verbale Belästigung auch öffentlich machen muss, das bringt überhaupt nichts. Wenn ich so ein Beispiel aus meiner Vergangenheit erzähle, geht es mir darum klarzumachen, wie flächendeckend dieses Thema uns Frauen betroffen hat. Dass es eben nicht nur Ausnahmen waren, sondern eher die Regel.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de