Eine Pflegerin versorgt in der Intensivstation einen Coronapatienten
interview

Marburger Bund zu Lockerungen "Das Virus kennt keine Feiertage"

Stand: 22.03.2021 13:52 Uhr

Trotz dritter Corona-Welle drängen immer noch viele Branchen auf Lockerungen. Die Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, Johna, warnt vor überlasteten Intensivstationen.

tagesschau.de: Frau Dr. Johna, die Corona-Infektionszahlen steigen schon jetzt wieder rasant. Wie wird sich die Situation Ihrer Meinung nach in den kommenden Wochen entwickeln?

Susanne Johna: Wir rechnen mit stark steigenden Zahlen bei den Krankenhausaufnahmen und den Patienten auf den Intensivstationen. Außerdem werden leider wieder mehr Menschen sterben. Wir machen uns deshalb große Sorgen vor überlasteten Intensivstationen und vollen Krankenhäusern und möchten deshalb, dass die Kontaktbeschränkungen fortgeführt werden. Das Virus kennt leider keine Feiertage, insofern müssen wir jetzt handeln!

Susanne Johna
Zur Person
Susanne Johna ist Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund. Der Verband hatte Ende 2020 nach eigenen Angaben rund 127.000 Mitglieder. Johna ist Internistin, Krankenhaushygienikerin und Gesundheitsökonomin. Sie arbeitet als Oberärztin für Krankenhaushygiene am St. Josef-Hospital Rheingau in Rüdesheim.

tagesschau.de: Im vergangenen Jahr gab es bei den Infektionszahlen einen positiven Frühjahrseffekt. Können wir mit dem dieses Jahr auch wieder rechnen?

Johna: Der positive Frühjahrseffekt wird leider durch die ansteckendere britische Virusvariante B.1.1.7. nicht wirksam werden können. Man kann sich das anschauen in Florida. Da waren die Infektionen bei hohen Temperaturen, hohen UV-Strahlen und hoher Luftfeuchtigkeit trotzdem hoch.

Verlorene Zeit wieder aufholen

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie den aktuellen Verlauf der Impfkampagne?

Johna: Wir müssen dringend mehr Tempo machen und unbedingt die Zeitspanne zwischen Erstimpfung und Zweitimpfung maximal ausdehnen. Wir wissen ja, dass schon die erste Impfung wirklich viel bringt. Leider haben wir schlichtweg immer noch zu wenig Impfstoff. Die vier Tage, die wir durch den AstraZeneca-Stopp verloren haben, müssen wir wieder aufholen.

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie denn den Impfstoff von AstraZeneca?

Johna: Wir waren von Anfang an der Meinung, dass der Nutzen dieses Impfstoffes erheblich etwaige Risiken überwiegt. Das sehen wir auch nach wie vor so. Das Paul-Ehrlich-Institut hat gewarnt, aber die Politik muss das in einen Gesamtzusammenhang stellen. Wir hätten uns gewünscht, dass durchgängig weitergeimpft wird.

Menschen vertrauen ihrem Hausarzt


tagesschau.de: Die Hausärzte sollen nach Ostern in die Impfkampagne einbezogen werden. Reicht das?

Johna: Die Hausärzte sollten so früh wie möglich einbezogen werden, gerade jetzt, wo es eine gewisse Verunsicherung in der Bevölkerung wegen des AstraZeneca-Impfstoffes gibt. Denn die Menschen vertrauen ihrem Hausarzt, den sie seit Jahren kennen.

tagesschau.de: In Deutschland diskutieren wir über weitere Einschränkungen, gleichzeitig starten Hunderte Flieger Richtung Mallorca. Wie passt das Ihrer Meinung nach denn zusammen?

Johna: Prinzipiell ist es natürlich immer so, dass die Gefahr besonders hoch ist, wenn viele Menschen auf engem Raum sind. Das trifft auf öffentliche Verkehrsmittel zu, aber auch auf Flugzeuge. Und man fragt sich natürlich auch, wie werden sich die Menschen auf Mallorca verhalten? Es ist zu befürchten, dass dort die Regeln noch weniger eingehalten werden, insofern ist das schon als Risiko zu sehen.  

Wir brauchen mehr Aufklärung

tagesschau.de: Die Politik wälzt das Risikomanagement im Moment ja ziemlich auf die Kommunen und auch auf die Gastronomen ab, indem sie sagt: "Wenn ihr testet, dann können die Menschen auch zu euch kommen". Ist das sinnvoll und zu verantworten, dass man Verantwortung an Nichtmediziner delegiert in der Hoffnung, dass das dann funktioniert mit Negativtests?

Johna: So ein Test-Regime ist ganz schön schwierig und es ist auch schwierig sicherzustellen, dass derjenige, der mir einen negativen Test vorzeigt, den auch an demselben Tag gemacht hat. Wir wissen ja, dass ein solcher Antigen-Schnelltest uns nur für die nächsten zwölf Stunden eine gewisse Sicherheit bietet. Viele Menschen wenden die Tests auch nicht optimal an. Wir brauchen eine viel bessere und größere Informationskampagne, beispielsweise auch im Fernsehen. Es reicht nicht, dass man das nur im Internet nachlesen kann.

Öffnungen nur mit konsequenten Tests

tagessschau.de: Das heißt, Sie als Marburger Bund sind generell gegen Öffnungen, ob mit oder ohne Tests?

Johna: Man kann das im Rahmen von Testversuchen machen, wie zum Beispiel im Moment in Tübingen. Dort ist allen klar, wo sie einen Test bekommen können. Die damit verbundenen Lockerungen müssen aber kontrolliert werden - und zwar nicht nur in einem einzelnen Café, sondern möglichst in einem ganzen Viertel. Das ist dann ein hoher Aufwand. Den kann man machen, man muss dann aber auch untersuchen, ob sich Infektionszahlen verändern.

Das Interview führte Ute Spangenberger, SWR

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 20. März 2021 um 11:50 Uhr.