Interview

Interview Wir brauchen einen "By-Pass" für Kyoto

Stand: 27.08.2007 16:32 Uhr

Christoph Bals ist Klimaexperte bei der deutschen Nicht-Regierungsorganisation Germanwatch. Er beobachtet den Verlauf der "Renewables 2004" deshalb mit besonderer Spannung. tagesschau.de sprach mit ihm über die Chancen der Konferenz, mehr zu bewirken als ihre Vorgänger-Gipfel.

tagesschau.de: Anlässlich der Konferenz in Bonn hat sich ihre Organisation gemeinsam mit mehr als 150 Nicht-Regierungsorganisationen aus aller Welt auf Ziele im Bereich Energiepolitik geeinigt. Was fordern sie von den teilnehmenden Regierungen und Institutionen?

Christoph Bals: Wir betrachten erneuerbare Energien als Teilantwort auf zentrale Problemstellungen. Dazu gehört das Problem der Energiearmut für etwa zwei Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern. Dazu gehört das Problem des Klimawandels und das der Luftverschmutzung. Und dazu gehört auch das Problem der Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Öl-, Gas- und in manchen Regionen auch Kohle-Importen. Deshalb fordern wir von den Regierungen zum Einen, dass sie sich auf einen höheren Anteil von erneuerbaren Energien verpflichten. Zweitens fordern wir, dass sie diese Zielvorstellungen mit entsprechenden Maßnahmen hinterlegen und zum Dritten, dass eine Struktur geschaffen wird, die gewährleistet, dass diese Ziele und Maßnahmen regelmäßig überprüft und weiterentwickelt werden. Was wir brauchen ist ein funktionierender Prozess und kein einmaliger Gipfel. Davon hatten wir genug in der Vergangenheit.

tagesschau.de: Wie könnte die Konferenz die Grenzen der vorhergehenden Gipfel überwinden und einen solchen Prozess in Gang setzen?

Bals: Sie könnte zum Beispiel im Bereich Klimaschutz als eine Art "By-Pass" für den lahmgelegten Kyoto-Prozess fungieren. Dieser kann als UN-Prozess ja nur in Gang kommen, wenn das Einverständnis aller wichtigen Staaten und Staatengruppen vorliegt. Dieser Konsens-Zwang ist die Falle, in der der Kyoto-Prozess steckt. Und solange die USA keine konstruktive Rolle spielen, wird er da auch nicht herauskommen.

Die "Renewables-Konferenz" ist nun der Versuch, den Bereich "Erneuerbare Energien" aus dem Kyoto-Kontext herauszulösen. Man sagt: Hier finden wir genügend Vorreiter, die ein eigenes Interesse daran haben, die Dinge voranzutreiben, egal ob es darüber einen Konsens gibt oder nicht. Deshalb können wir hier gemeinsam etwas bewirken. Wenn es gelingt, für Kyoto auf diese Weise einen "By-Pass" zu legen, könnte das in Zukunft auch in anderen Politikbereichen gelingen. Dann ist die Konferenz ein Erfolg gewesen.

tagesschau.de: Wie schätzen sie die Bereitschaft der teilnehmenden Länder ein, sich an einer solchen Koalition der Freiwilligen zu beteiligen?

Bals: Es wird sicherlich eine Reihe von Staaten geben, die das tun wollen und werden. Es wird aber auch andere geben, die dem Prozess sehr zögerlich gegenüberstehen. Dafür haben diese Länder verschiedene Gründe. Manche betrachten die erneuerbaren Energien tatsächlich skeptisch. Andere, vor allem die Schwellenländer, haben Angst, dass man sie in Bonn durch die Hintertür zu Zusagen für den weiteren Kyoto-Prozess bringen will. Sie befürchten, dass man später einmal sagen könnte: "Nun habt ihr euch schon freiwillig bereit erklärt, mittels erneuerbarer Energien euren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Jetzt müsst ihr euch nur noch verbindlich dazu verpflichten." Zu den Ländern, die diese Sorge haben, zählt beispielsweise Indien, das ja durchaus erneuerbare Energien unterstützt. Und die indische Regierung wird in Bonn nur eine konstruktive Rolle spielen, wenn sie sieht, dass es hier um einen ganz anderen Prozess geht.

tagesschau.de: Wie ist es mit China?

Bals: China ist eines der spannendsten Länder, auch in dieser Hinsicht. Es gibt in der chinesischen Regierung eine sehr, sehr rege Debatte um die Energie der Zukunft und den Klimawandel. In den letzten Monaten sind im Bereich Verkehr und im Bereich der Vorschriften, die es für den Ausstoß von Kohlekraftwerken geben soll, vielversprechende Vorschläge gemacht worden. Und es wird im Moment darum gerungen, ein Energie-Einspeise-Gesetz ähnlich dem deutschen Gesetz für den Bereich der erneuerbaren Energien einzuführen. Übrigens wird sie bei der Gestaltung dieses Gesetzes stark von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit unterstützt. Wenn ein solches Gesetz in China tatsächlich in Kraft treten würde, wäre das ein riesiger Durchbruch. Das wäre nicht nur für das Klima bedeutsam, sondern auch für Markt der erneuerbaren Energien. Die Preise könnten dadurch schnell nach unten gedrückt werden.

tagesschau.de: Wozu sollte Deutschland sich verpflichten?

Bals: Deutschland hat mit der Einigung auf das neue Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien eine wichtige Forderung von uns bereits erfüllt. Wenn sich China tatsächlich daran orientieren würde, würde dieser Erfolg noch größer. Zufrieden sind wir aber in Bezug auf erneuerbare Energien. Allerdings ist das nicht alles. Beim Klimaschutz hat Deutschland mit der geplanten Umsetzung des Emissionshandels einen sehr deutlichen Rückschritt gemacht. Da ist ja der Industrie ein Großteil ihrer Zusagen, zu denen sie sich freiwillig verpflichtet hatte, erlassen worden. Damit ist in Frage gestellt, ob Deutschland sein 21-Prozent-CO2-Reduktionsziel bis 2012 im eigenen Land überhaupt erreichen kann, trotz der Erfolge, die ihm durch den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft in den Schoss gefallen sind. Die Erfolge bei den Erneuerbaren Energien reichen noch längst nicht, um diesen Rückschritt auszugleichen.

tagesschau.de: Muss Deutschland deshalb mit dem Vorwurf rechnen, es stelle sich zwar gern als Vorreiter in Sachen Energiewende und Klimaschutz dar, opfere aber im Zweifel jede positive Errungenschaft, um Forderungen der Wirtschaft entgegenzukommen?

Bals: Dieser Vorwurf wird sicher kommen, auch in Bonn, und er ist teilweise auch berechtigt. Dass sich Deutschland im Zusammenhang mit der Einführung des Emissionshandels nicht auf eine Strategie gestürzt hat, die die Energieeffizienz genügend vorantreibt, ist unverständlich. Es wäre eine Versicherung gegenüber Versorgungsengpässen gewesen. Es hätte uns im Klimaschutz geholfen und uns unabhängiger von hohen Ölpreisen gemacht. Dass diese Chance nicht ergriffen wurde, ist ein Gegensignal zu der Politik, die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz vorangetrieben wurde. Und diese widersprüchliche Politik ist der starken Lobby einiger weniger Branchen geschuldet, insbesondere der Kohlebranche.

Die Fragen stellte Antje Matthies für tagesschau.de.