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Stand: 06.10.2004 00:00 UhrJeden Tag werden nach Einschätzung des BND im Irak etwa zehn Menschen entführt. Darunter sind nicht nur Ausländer, sondern auch viele Iraker. Etwa zwei Drittel der Entführungen sind kriminell motiviert. Oft werden die Entführten unter verschiedenen Gruppen gehandelt. Laut BND-Chef Hanning verbinden sich damit organisierte Kriminalität und Terrorismus. Joachim Wagner berichtet. Überglücklich lüften die italienischen Geiseln im Irak ihre Schleier bei ihrer Freilassung in der Nähe von Bagdad. Mindestens eine Million Dollar sollen für ihre Freilassung geflossen sein. Hinter der Geiselnahme soll eine kriminelle Gruppe mit nationalreligiösem Hintergrund stehen. Zwischenzeitlich soll diese sogar versucht haben, die Geiseln an die Gruppe um den militanten Islamisten al-Sakawi zu verkaufen – ein typischer Fall. August Hanning, BND-Präsident: "Es werden Geiseln weitergegeben von einer politischen Gruppierung hin zu einer kriminellen Gruppierung – und auch umgekehrt. Es gibt da manchmal Erscheinungsformen, die einen fast an einen Handel erinnern." Entführungen durch kriminelle Gruppen im Irak sind Beispiele für ein neues Phänomen: die Verschmelzung von Organisierter Kriminalität und islamistischem Terrorismus. August Hanning, BND-Präsident: "Wir beobachten in den letzten Jahren und verstärkt in den letzten Monaten an Schauplätzen wie dem Irak, dass sich Strukturen Organisierter Kriminalität und islamistischen Terrors eng miteinander verbinden. Wir sehen das bei Entführungen, wir sehen das bei der Logistik, bei der Passfälschung, bei Schleusungen. Und wir sehen vor alle Dingen den Drogenhandel in Afghanistan." Der Brite Kenneth Bigley befindet sich nach einer Bekennung in der Gewalt der berüchtigten "Kopfabschneider-Gruppe" al-Sakawi – neben der "Islamischen Armee" und al-Sadrs Milizen die aggresivste politische Geiselnehmer-Gang. Daneben sind aber auch zahlreiche kriminelle Banden in der irakischen Entführungsindustrie aktiv – nach BND-Erkenntnissen meist mittel- und arbeitslose 25- bis 30-Jährige. August Hanning, BND-Präsident: "Es gibt einmal die politisch motivierten Entführungen, aber zu einem großen Teil – wir schätzen zu etwa 65 Prozent – sind es andere Gruppierungen, die meistens aus kriminellen Aspekten – schlichtweg, um Geld zu verdienen – sich an diesen Entführungen beteiligen." Nach Informationen des BND sind seit April 2004 240 Ausländer aus 33 Nationen gekidnappt worden. Über 50 Prozent stammen aus Nachbarländern wie der Türkei, Jordanien, den Emiraten, Kuwait und dem Iran – viele LKW-Fahrer oder Mobilfunk-Techniker, für die Lösegeld bezahlt wird, ohne dass die Öffentlichkeit je etwas davon erfährt. Freigelassen wurden bisher 140 Geiseln, getötet 40, und bei etwas mehr als 60 Entführten ist das Schicksal ungewiss. Der BND schätzt, dass zurzeit zehn Personen täglich im Irak entführt werden – eine Waffe, die mittel- und langfristig gefährlicher ist als Autobomben. August Hanning, BND-Präsident: "..., weil dadurch die Staatsautorität untergraben und letztlich die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig gestört wird." Seit dem 3. Dezember 2003 sitzt M. in München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt ihn, die islamistische kurdische Vereinigung Ansar-al-Islam von Deutschland aus unterstützt zu haben. Er soll in Moscheen Spenden gesammelt und im Auftrag von Ansar-al-Islam die Schleusung von Irakern nach Deutschland und von deutschen Gotteskriegern nach Bagdad mitorganisiert haben. August Hanning, BND-Präsident: "Dokumenten-Fälschungen, Ausweis-Fälschungen – die haben damit auch kräftig Geld verdient. Aber sie haben dies auch getan, um damit bestimmte terroristische Ziele zu erreichen, um teilzunehmen am weltweiten Dschihad." Für den BND-Präsidenten steht der Irak jetzt an einem Scheideweg: Entweder es gelingt, das Land zu stabilisieren, oder es entstehen Chaos und jahrelanger Bürgerkrieg wie im Libanon.
