SPD-Wahlprogramm vorgestellt.Anne Will im Gespräch mit Gerhard Schröder
Stand: 12.03.2008 10:39 UhrUnter dem Motto "Erneuerung und Zusammenhalt - Wir in Deutschland" wurde am Mittwoch in Berlin das neue SPD-Programm für die Bundestagswahl am 22. September vorgestellt. Im Mittelpunkt des Programms steht die Person Gerhard Schröders. Inhaltlich steht besonders die Bildungs- und Familienpolitik im Vordergund. Die Leitlinien sollen am Wahlparteitag am 2. Juni in Berlin verabschiedet werden. Renate Bütow berichtet. Jetzt steht es auch im Wahlprogramm: Bei der SPD gibt es keine Toleranz mehr für die PDS. Eine Zusammenarbeit mit der PDS auf Bundesebene soll es nicht geben. Neu auch: Ein Bekenntnis zu Rot-Grün. Sofern es der Wähler wünscht, soll die Koalition fortgesetzt werden. Gerhard Schröder (SPD), Bundeskanzler: "Das wird kein Lagerwahlkampf werden. Das ist kein Programm für ein Lager, sondern für die gesellschaftliche Mitte. Dafür stehe ich – und dafür stehe ich auch ein." Der SPD-Vorstand hat das Programm einstimmig verabschiedet. Es ist eher allgemein gehalten und ganz auf Gerhard Schröder zugeschnitten. Parteiintern ist die Reaktion so, wie vom Kanzler gewünscht: Die Genossen rücken zusammen. Auch die üblichen Verdächtigen halten sich mit Kritik zurück. Die Linke hat im letzten Augenblick noch ein paar Forderungen, wie eine Ausbildungsplatzgarantie für Schulabgänger, durchgesetzt. Otmar Schreiner, SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen: "Wir haben allen Grund, unseren Kanzler in den Vordergrund zu stellen. Aber die Menschen wollen darüber hinaus wissen, mit welchen Schwerpunktaufgaben sich die Regierung in den nächsten Jahren befassen wird." Wolfgang Clement, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen: "Zu viel Schröder kann es gar nicht sein. Der Inhalt ist meines Erachtens wirklich einer, der der Situation angemessen ist. Und es ist aus meiner Sicht ein sehr kraftvolles Programm." Zu den Schwerpunkten: Beim zentralen Thema Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Steuern will die SPD an der Konsolidierung der Staatsfinanzen festhalten. Die Arbeitslosenhilfe soll mit der Sozialhilfe verzahnt, nicht aber auf deren Niveau abgesenkt werden. Familienpolitik: Das Kindergeld soll bis 2006 stufenweise auf 200 Euro erhöht werden. Im gleichen Zeitraum will man eine Milliarde Euro jährlich zur besseren Ganztagsbetreuung zur Verfügung stellen. Gesundheit: Den Versicherten sollen keine zusätzlichen Belastungen zugemutet werden. Die Macht der Kassenärzte wird nun doch nicht beschnitten. Damit hat sich die Gesundheitsministerin durchgesetzt. Die Quintessenz des Wahlprogramms der SPD steht auf Seite fünf, fett gedruckt: "Vertrauen ins Land – Bundeskanzler Gerhard Schröder". Gemeint ist damit wohl: "Die Person ist das Programm." Anne Will sprach mit Bundeskanzler Gerhard Schröder über das neue Wahlprogramm der SPD. tagesthemen: "War es geplant, dass Sie sich schon am Montag nach der Sachsen-Anhalt-Wahl selbst zum Programm erklärt haben?" Gerhard Schröder: "Nein, das war nicht so. Das war vielmehr ein Hinweis darauf, wie das immer läuft in zugespitzten politischen Situationen – und Endphasen des Wahlkampfes sind so. Da geht es auf der Basis von Programmatik um Personen. Es geht also um beides: natürlich um Inhalte, aber auch um eine Konkurrenz zwischen Personen, also um die Frage: Wer ist eher in der Lage, Deutschland in eine gute Zukunft zu führen?" tagesthemen: "Die Konsequenz aus diesem Satz, den Sie da gesagt haben – ,Wollt ihr den Bundeskanzler Schröder oder Stoiber?‘ –, ist aber, dass man das mehr als 150 Seiten starke Wahlprogramm der SPD jetzt auf den einen zentralen Satz reduziert: ,Wer Schröder will, muss Schröder wählen.‘." Gerhard Schröder: "Es wäre falsch, wenn man das täte. Aber ich sage es noch einmal: In der Endphase des Wahlkampfes wird es ja immer eine Personalisierung geben – wird es also den Prozess geben, dass eine Person, und mit ihr andere Personen, den Inhalt auf den Punkt bringen muss. Und wir haben heute mehr als eine Stunde Pressekonferenz über die einzelnen Inhalte des Programms gemacht, wobei es ein großes Nachfragebedürfnis der Journalisten gab, so dass ich die Gefahr, dass hinter der Personalisierung die unterschiedlichen Fragestellungen zwischen uns und unseren Gegnern verschwinden, wirklich nicht sehe. Wir haben deutlich gemacht, dass es um Erneuerung und sozialen Zusammenhalt geht. In der Frage, die interessiert, geht es darum, ob – wie wir unterstellen und wissen – bei unseren Gegnern mit den Rezepten von vorgestern und dem Personal von gestern Vergangenheit gemacht wird oder ob wir das weiterführen können, was wir begonnen haben – nämlich Deutschland zu modernisieren, ohne den Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit aufzugeben. Dafür stehen wir, und dafür stehen wir ein. Und das wird auch deutlich werden." tagesthemen: "Aber Sie haben gerade gesagt, das alles müsse man erkennen hinter der Personalisierung. Ist die SPD damit also doch zu einem Kanzlerwahlverein verkommen?" Gerhard Schröder: "Das sind ja Begriffe, die immer mal wieder vorkommen in den Auseinandersetzungen. Es hat, so lange ich mich erinnern kann, noch keine Phase des Bundestagswahlkampfes gegeben, wobei dieser Vorwurf – an unterschiedliche Parteien gerichtet – nicht erhoben worden ist. Es wird schon muntere Debatten, auch inhaltlicher Natur, geben, so dass die Gefahr, dass alles hinter einer Person verschwindet, nicht besteht. Aber natürlich ist es so, dass die Person repräsentieren soll, was Inhalt ist, und das will ich auch versuchen. Ich hoffe, dass mir das auch gelingt." tagesthemen: "Wie wichtig ist im Vergleich zu der Person das Wahlprogramm?" Gerhard Schröder: "Das kann man so schwer in Prozentzahlen ausdrücken. Ich denke, so ein Wahlprogramm wird ja nie ein Bestseller. Es wird von denen zur Kenntnis genommen und gelesen, die sich in besonderer Weise mit Politik befassen. Deswegen wird es ja auch darum gehen, die einzelnen Inhalte des Wahlprogramms auf den Punkt zu bringen in fassbare und verständliche Aussagen. Das können natürlich nur Menschen, denn Menschen sind die Einzigen, die über Sprache verfügen und komplizierte Sachverhalte so darstellen können, dass auch diejenigen, die sich nicht jeden Tag beruflich mit Politik befassen, mitbekommen, worum es geht." tagesthemen: "Zentrales Thema sollte die Familienpolitik sein; damit wollte die SPD in den Wahlkampf gehen und will es wahrscheinlich nach wie vor. Glauben Sie nicht, dass der Wahlkampf nicht doch vielmehr von den Themen innere Sicherheit und Zuwanderung dominiert wird?" Gerhard Schröder: "Ich hoffe nicht. Die Erfahrungen in Frankreich zeigen ja, was passiert, wenn man dieses Thema allzu polemisch, allzu polarisierend in die politische Auseinandersetzung einbringt. Ich denke auch, dass die Menschen wissen, dass sie in Deutschland gut aufgehoben sind, dass – soweit der Bund zuständig ist – Otto Schily wirklich das Maß an rechtsstaatlicher Sicherheit garantiert, was menschenmöglich ist. Und ich denke, dass deshalb darüber hinaus Themen wie der Ausbau von Betreuungsangeboten für berufstätige Mütter, Themen wie die Außenpolitik, aber auch Themen wie Veränderungen am Arbeitsmarkt zur schnelleren und präziseren Vermittlung von Arbeitslosen schon eine Rolle spielen werden. Nicht alles wird dominiert werden von einem überragenden Thema." tagesthemen: "Wie groß sind die Chancen von Bündnis 90/Die Grünen noch? Im Wahlprogramm setzen Sie auf eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition." Gerhard Schröder: "Wir haben zunächst deutlich gemacht, dass wir so stark werden wollen, wie es irgend geht – zulasten eines jeden Mitbewerbers. Dann haben wir gesagt: Es macht Sinn, eine funktionierende Koalition auch fortzuführen. Ob uns die Wählerinnen und Wähler diese Möglichkeit einräumen, wird man sehen. Jenseits dessen ist es gut für meine Partei, auch andere Optionen zu haben. Jedenfalls wird es keinen Koalitionswahlkampf und erst recht keinen Lagerwahlkampf geben. Denn ich denke, wir sind alle Menschen, die sich nicht in politische Lager einsperren lassen wollen, sondern die über die Parteigrenzen hinweg diejenigen, die Interesse haben, erreichen wollen. Und so wird der Wahlkampf angelegt sein." tagesthemen: "Da Sie die ,anderen Optionen‘ angesprochen haben: Was trennt Sie noch von den Liberalen?" Gerhard Schröder: "Eine Menge, das kann man ja auch aus dem Wahlprogramm ersehen. Ich halte zum Beispiel wenig davon, durch den Abbau von Schutzrechten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Hoffnung zu nähren, man könne auf diese Weise dem Problem der Arbeitslosigkeit besser beikommen. Ich stehe dafür, dass es eine gerechte Teilhabe gibt an den erarbeiteten Werten; und das sind ja Millionen, die sie erarbeiten, und keineswegs nur einige Wenige. Und dass es eine Teilhabe auch bei den Entscheidungen innerhalb der Gesellschaft gibt – das unterscheidet uns doch fundamental von einer Partei, die ein bisschen einseitig auf eine kleine Schicht von Menschen setzt, die in wirtschaftlich guten Zuständen leben, was ihnen ja vergönnt ist. Aber unser Bereich ist weiter gefasst." tagesthemen: "Es ist viel diskutiert worden über das Fernsehduell zwischen dem Kanzler und dem Kanzlerkandidaten. Täuscht der Eindruck, dass die Diskussion darüber fast entscheidender ist als das Wahlprogramm?" Gerhard Schröder: "Ich glaube nicht, dass das so ist, aber anders als frühere Bundeskanzler – insbesondere als mein Vorgänger Herr Kohl – habe ich gesagt: Ich mache das. Und ich habe angeboten, journalistisch vernünftig, also vier Wochen vorher und kurz vor der Wahl, eine solche Debatte mit dem Herausforderer zu führen. Das ist neu in Deutschland. Andere haben – immer mit dem Hinweis darauf, dass sie ja schließlich die Amtsinhaber seien – das nicht getan. Ich hätte dieses Duell auch 1998 gern gehabt. Kohl hat das immer abgelehnt. Ich habe mich so nicht verhalten, weil ich keinen Grund habe, vor einer solchen Diskussionen in irgendeiner Form zurückzuweichen. Nun wird man sehen, ob die andere Seite einen journalistisch vernünftigen Vorschlag aufgreift und dieser realisiert werden kann oder ob sie – aus welchen Gründen auch immer – meint, dass die bisherigen Erfahrungen ihres Kandidaten mit solchen Debatten nicht so sind, dass man so etwas tun sollte. Ich bin da ganz gelassen." tagesthemen: "Neu ist auch, dass der frisch gebackene ,Kanzlerkandidat‘ Westerwelle gleich mitreden will. Stimmen Sie dem zu?" Gerhard Schröder: "Nein. Das ist nun doch etwas neben der Sache! Man kann ja gar nicht bestreiten, dass sich die FDP gut entwickelt hat. Aber dass irgend jemand aus diesem Bereich auch nur in die Nähe einer realistischen Chance kommen könnte, das glaubt außer denjenigen, die dafür Werbung machen, niemand. Und diese Leute müssen das ja aus beruflichen Gründen glauben. Ernsthaft glaubt so etwas wohl keiner. Es geht hier um zwei Personen, und die sollten dann auch diese Diskussion führen."
