Interview

Interview zur Krise in der Ukraine "Deutschland kann zur Deeskalation beitragen"

Stand: 04.03.2014 17:31 Uhr

Trotz aller Diplomatie bleibt Putin hart. Ist Steinmeiers Mission gescheitert? Müssen Deutschland und die EU gegenüber Russland härtere Töne anschlagen? Osteuropa-Experte Schröder glaubt, dass im guten deutsch-russischen Verhältnis eine große Chance liegt.

tagesschau.de: Wie dramatisch ist die Situation in der Ukraine?

Hans-Henning Schröder: Es hat in den vergangenen Jahren schwere Krisen in Nahost, im Irak und in Afghanistan gegeben. Aber innerhalb Europas ist dies mit Sicherheit die schwerste Krise seit der Wiedervereinigung.

tagesschau.de: Präsident Putin hält einen weiteren Militäreinsatz derzeit nicht für nötig und spricht sich für ein Referendum auf der Krim aus. Sind dies Zeichen des Einlenkens?

Schröder: Moskau will nicht einlenken, sondern ablenken von der Eskalation. Russland hat innerhalb der Grenzen Europas Militär eingesetzt: Moskau hat die auf der Krim stationierten Truppen massiv verstärkt und so die Halbinsel unter russische Kontrolle gebracht. Das ist ein klarer Bruch des Völkerrechts. Die Demontage der russischen Kennzeichen auf den Militärfahrzeugen war ein Versuch, diesen Tatbestand zu kaschieren. Putin will jetzt militärisch wieder etwas zurückfahren, denn er hat erreicht, was er wollte: die Kontrolle über die Krim. Und nun wird er versuchen, dass die Ukraine insgesamt unter russischer Kontrolle bleibt.

Zur Person
Prof. Dr. Henning Schröder leitete bis 2014 die Forschungsgruppe Russland/GUS der "Stiftung Wissenschaft und Politik". Er lehrte Politikwissenschaft (regionale Politikanalyse mit Schwerpunkt Osteuropa) an der FU Berlin und gibt den Newsletter Russland-Analysen heraus.

tagesschau.de: Vor zwei Wochen wurde Steinmeiers Erfolg in Kiew international gefeiert. Stehen wir jetzt vor dem Scherbenhaufen dieser Initiative?

Schröder: Diese Mission hatte das Ziel, das Blutvergießen in der Ukraine zu beenden. Das ist gelungen. Ohne diese diplomatische Intervention von Deutschland, Polen und Frankreich wäre weiter geschossen worden, es hätte weit schlimmere Eskalationen gegeben. Die drei Außenminister haben außerdem versucht, einen Fahrplan für eine Übergangslösung bis zu den Wahlen im September zu vereinbaren. Auch das ist zunächst gelungen, scheiterte dann aber an zwei Aspekten: der Flucht von Janukowitsch und daran, dass der Maidan die Vereinbarung schon Stunden später gebrochen hat.

tagesschau.de: War es naiv zu glauben, die Oppositionsbewegung  würde sich so leicht auf Linie halten lassen? 

Schröder: Ich glaube, die drei Außenminister waren sich der Gefahr, dass der Maidan vertragsbrüchig wird, durchaus bewusst. Es war ein diplomatischer Versuch. Und er ist gescheitert.

"Besonderer Draht zwischen Berlin und Moskau"

tagesschau.de: Deutschland hat zu Moskau seit der Ostpolitik Brandts eine besondere Verbindung. Die Gespanne Kohl-Jelzin, Schröder-Putin und später Merkel-Putin sind Beispiele für ein gutes Miteinander. Ist dieser Kurs der Diplomatie und Freundschaft gescheitert?

Schröder: In der Tat gibt es zwischen Berlin und Moskau schon länger so etwas wie einen besonderen Draht. Für diese besondere Beziehung zu Moskau ist Deutschland international oft kritisiert worden. In dieser Situation aber liegt darin eine große Chance. Die Russen haben das Gefühl, dass wir ihre Interessen anhören und zumindest verstehen. Und es gibt in Moskau ein Verständnis für unsere Interessen. Wir sind zwar keine neutralen Vermittler. Aber Deutschland ist derzeit eines der wenigen Länder, das mit beiden Seiten sprechen kann. Wir haben aufgrund der guten deutsch-russischen Beziehungen derzeit eine Sonderrolle und können viel zu einer Deeskalation der Lage beitragen.

tagesschau.de: Droht die Gefahr, dass diese Krise die EU in Tauben und Falken spaltet?

Schröder: Die  Bundesregierung legt großen Wert darauf, in Übereinstimmung mit den anderen EU-Partnern zu handeln. Nicht umsonst hat das so genannte "Weimarer Dreieck" - Polen, Frankreich, Deutschland - gemeinsam in Kiew agiert.

tagesschau.de: Die USA setzen derweil auf Isolation und Sanktionen. Ist das nicht der bessere Weg?

Schröder: Die USA haben praktisch keine Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Sie können leicht einen härteren Ton anschlagen. Es ist auch gar nicht falsch, dass sie das jetzt tun. Wir haben dadurch eine geschickte "good cop, bad cop"-Situation. Denn die Europäer setzen trotz der Völkerrechtsverstöße auf Diplomatie.

"Ein Krieg auf der Krim ist unwahrscheinlich"

tagesschau.de: Wäre eine OSZE-Mission auf der Krim, wie Außenminister Steinmeier sie fordert, derzeit eine Option?

Schröder: Wir haben keine funktionierende Sicherheitsstruktur in Europa. Da ist es mehr als klug, eine internationale Organisation, in die sowohl Europäer, als auch Russen und Amerikaner eingebunden sind, für die Deeskalation des Konflikts einzusetzen. In Georgien hat das schon einmal gut funktioniert. Allerdings ist fraglich, ob Moskau dieser Mission zustimmen wird.

tagesschau.de: Putin erklärt seine Bereitschaft zu einer Internationalen Kontaktgruppe. Was kann die bringen?

Schröder: Ukrainer und Russen kommen dadurch wieder ins Gespräch. Und dann muss verhandelt werden, wie sich das Verhältnis zwischen der Ukraine und Moskau künftig gestaltet: möglichst ohne Gesichtsverlust Moskaus und unter Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine.

tagesschau.de: Wie wahrscheinlich ist eine weitere Eskalation und ein Krieg auf der Krim?

Schröder: Ich halte dies derzeit für wenig wahrscheinlich. Russland hat zwar die Truppen auf der Krim verstärkt, aber es gibt keine Mobilmachung an den Grenzen der Ukraine. Die Russen haben sich die Krim als Faustpfand gesichert. Das reicht ihnen offenbar. Und dass die Nato in den Konflikt eingreift, ist nahezu ausgeschlossen.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.