AKW-Rückbau in Neckarwestheim beginnt Abschaltung unumkehrbar
Fast 50 Jahre lang wurde in Neckarwestheim Energie aus Atomkraft gewonnen. Seit Mitte April steht der Meiler still, nun beginnt der Rückbau. Einer erneuten Aktivierung erteilt der Betreiber eine klare Absage.
Auf dem ersten Blick scheint in Neckarwestheim bei Heilbronn alles, wie immer. Entlang von Weinbergen fließt der Neckar durch die Neckarschleife und passiert, wie schon seit Jahrzehnten, das Kernkraftwerk Neckarwestheim. Kühlturm und Reaktorgebäude, graue Industriehallen - ein vertrauter Blick für die Bewohner in Neckarwestheim und dem benachbarten Kirchheim.
Seit dem 16. April steht der Reaktor von Block II nun still, nachdem bereits 2011 die Stromproduktion in Block I eingestellt wurde. Dass sich etwas verändert hat, verrät ein Blick auf die Anzeige auf dem Betriebsgelände, die die aktuelle Leistung von Block II mit null Megawatt ausweist. Das Kernkraftwerk ist abgeschaltet und die Atomkraft in Deutschland Geschichte.
665 Brennstäbe müssen abklingen
Jörg Michels, Chef der Kernkraftsparte des Energieunternehmens EnBW, führt an diesem sommerlichen Nachmittag eine kleine Gruppe Journalisten durch das Kernkraftwerk. Eine seltene Gelegenheit, womöglich auch eine der letzten. "Wir haben die Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für diese Anlage schon vor der Abschaltung erhalten, und letzte Woche haben wir diese in Anspruch genommen", so Michels.
Ins Reaktorgebäude, wo bis vor etwas mehr als einem Monat noch Strom für Millionen Haushalte in Baden-Württemberg produziert wurde, geht es nur mit Schutzausrüstung: Grüner Kittel, gelber Helm, dazu weiße Schuhe mit Überziehern bis zu den Knien.
Im Abklingbecken des Reaktorgebäudes von Block II sind Brennelemente-Lagerkästen zu sehen.
"Hinter uns ist das Brennelemente-Lagerbecken", sagt Michels und zeigt auf ein dunkelblaues Wasserbecken, das Ähnlichkeiten mit einem Schwimmbecken aufweist. "Dort lagern die Brennelemente. Auch die, die bis zuletzt im Reaktordruckbehälter für den Betrieb gesorgt haben", so der Kernkraftsparten-Chef. Am Fuße des Beckens klingen insgesamt 665 Brennstäbe ab. Drei bis vier Jahre dauere der Prozess, erst dann könnten die alten Brennelemente in Castorbehältern verpackt und eingelagert werden.
Um die Brennstäbe herum soll der Abbau schon in ein paar Wochen starten. "Primärkreis-Dekontamination" nennt Michels das, was im Spätsommer beginnen soll. Dafür werden nach Angaben des Vereins Deutscher Ingenieure gegenüber der Nachrichtenagentur dpa die Elemente des sogenannten Primärkreises "mit Säure freigespült". Ziel ist die Reduktion der Strahlenbelastung.
Energie für Millionen
Mit Block II ist in Neckarwestheim ein echtes Schwergewicht vom Netz gegangen. Nach Unternehmensangaben hat er in seinen 34 Betriebsjahren mehr als 375 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert. Im Jahr 2021 machte Kernenergie noch 22 Prozent der Bruttostromerzeugung in Baden-Württemberg aus. Bundesweit waren es im selben Zeitraum rund 12 Prozent.
Dass die Kernkraft anderswo eine Art Renaissance erlebt, möchte der EnBW-Kernkraft-Geschäftsführer nicht kommentieren. "In Deutschland hat sich das Thema Kernenergie erledigt", sagt Michels. Es sei jetzt wichtig, den Ausbau des Stromnetzes und von Erneuerbaren Energien voranzutreiben. Bislang macht Strom aus Biomasse, Photovoltaik und Windkraft rund 36 Prozent des Energie-Mix in Baden-Württemberg aus. Vor allem der Windkraft-Anteil mit rund fünf Prozent gilt als verbesserungswürdig.
Rückbau als Mammutaufgabe
Ein Abstecher im bereits 2011 abgeschalteten Block I in Neckarwestheim zeigt, dass der Ab- und Rückbau eine Mammutaufgabe ist. Dort wo früher riesige Dampfturbinen Strom erzeugt haben, klaffen nun Löcher im Boden. Die Maschinenhalle ist so gut wie leer. Der Rückbau kommt voran, wird aber noch Jahre in Anspruch nehmen, ehe die Gebäude abgerissen werden können. Und Block II zieht nach. "Mit Beginn des Rückbaus von GKN II gehen wir von zehn bis 15 Jahren Rückbau im atomrechtlichen Rahmen aus und danach nochmal drei bis vier Jahre für den konventionellen Abbruch", so Geschäftsführer Michels.
Blick auf den Hybridkühlturm von Block II des AKW Neckarwestheim. Aus Gründen des Landschaftsschutzes wurde er nur gut 50 Meter hoch gebaut.
Einen Weg zurück sieht Michels nicht. Der "point of no return" sei erreicht, die Abschaltung also unumkehrbar. Ideen der Union oder der FDP, die in einem Parteitagsbeschluss eine Kernkraftwerks-Reserve und ein "Rückbaumoratorium" fordern, "um einen späteren Weiterbetrieb bei Einhaltung der Sicherheitsauflagen grundsätzlich zu ermöglichen", erteilt er eine Absage. Das sei mit dem Auslaufen der Betriebsgenehmigung allein aus rechtlichen Gründen nicht möglich.
Nach Angaben von EnBW wird es 9 Milliarden Euro kosten, sämtliche Reaktorblöcke zurückzubauen. Das koordinieren nun die verbliebenen 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - bis in etwa 15 bis 20 Jahren vom Kernkraftwerk selbst nichts mehr zu sehen sein soll.