Lage auf deutschem Arbeitsmarkt Robust - und das bleibt wohl so
Niedrige Zinsen, hohe Nachfrage - die Bedingungen am Arbeitsmarkt sind gut. Heute sind so wenig Menschen arbeitslos wie zuletzt 1991. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt Detlef Scheele von der Agentur für Arbeit, warum sich auch durch den Brexit am Arbeitsmarkt kein Hebel umlegt.
tagesschau.de: Die Zahl der Arbeitslosen ist auf dem tiefsten Stand seit 1991. Woran liegt das?
Detlef Scheele: Wir haben eine sehr robuste Situation am deutschen Arbeitsmarkt. Wir haben immer noch steigende Beschäftigtenzahlen. Allein im vergangenen Jahr haben wir 681.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gewonnen. Das ist seit mehreren Jahren so und es zeichnet sich auch keine Trendwende am Arbeitsmarkt ab.
tagesschau.de: Wie erklären Sie sich, dass immer mehr neue Jobs entstehen?
Scheele: Im ersten Quartal ist die deutsche Wirtschaft um 0,7 Prozent gewachsen. Wir haben eine ausgesprochen gute Binnennachfrage, die Zinsen und Energiepreise sind niedrig - die Rahmenbedingungen sind zur Zeit gut.
Jobs im Sozial- und Gesundheitsbereich
tagesschau.de: In welchen Sektoren entstehen die neuen Arbeitsplätze?
Scheele: Wir haben derzeit ein besonderes Wachstum in den Sozial- und Gesundheitsberufen, aber auch im Bereich Handel, Verkehr und Maschinenbau.
tagesschau.de: Welche Qualität haben diese Jobs? Welche Rolle spielt der Niedriglohnsektor?
Scheele: Es spielt sich nicht alles im Niedriglohnsektor ab. Wir sehen, dass sozialversicherungspflichtige Vollzeit- und Teilzeit-Arbeitsplätze entstanden sind. Hier profitieren vor allem Frauen, deren Erwerbstätigkeit steigt. Die Minijobs nehmen weiter ab. Auch die Zahl der Menschen, die zwischen 60 und 65 Jahren arbeitet, nimmt zu.
tagesschau.de: Sind aktuelle Arbeitslosenzahlen überhaupt mit früheren vergleichbar?
Scheele: Wir vergleichen nur die Statistik nach der Wiedervereinigung bis jetzt. Denn die Zeit Anfang der 1990er-Jahre war natürlich mit der Integration der DDR eine Sonderentwicklung am Arbeitsmarkt. Aber solche Sonderentwicklungen haben wir immer wieder - zum Beispiel während der Finanzmarkt-Krise, jetzt in gewisserweise durch die Flüchtlinge. Wenn man das beachtet, kann man die Zahlen vergleichen.
tagesschau.de: Hat man sich die Definition von Arbeitslosigkeit in 25 Jahren so zurecht gelegt, dass möglichst wenig Menschen arbeitslos sind?
Scheele: Nein. Wenn man an die Zeit der 1990er-Jahre denkt, war das die Hoch-Zeit des zweiten Arbeitsmarktes und von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. So etwas haben wir in diesem Ausmaß gar nicht mehr. Wenn Sie sich heute angucken, wie viel Menschen in aktiven Maßnahmen sind und wie groß die Unterbeschäftigung ist, die wir jetzt ausweisen, dann haben wir heute 713.000 Menschen in aktiven Maßnahmen. Das waren früher viel, viel mehr.
40.000 Langzeitarbeitslose weniger
tagesschau.de: Wie sieht es mit den Langzeitarbeitslosen aus?
Scheele: Gut. Wir haben zum ersten Mal seit Jahren die Zahl von einer Million unterschritten. Wir sind jetzt bei 960.000. Das sind binnen eines Jahres 40.000 weniger Langzeitarbeitslose.
tagesschau.de: Ihnen ist die Zahl immer noch zu hoch. Was wollen Sie tun, damit die Zahl weiter zurückgeht?
Scheele: Wir haben drei Methoden. Die erste ist Prävention. Man darf Langzeitarbeitslosigkeit nicht entstehen lassen. Darum bauen wir Jugendberufsagenturen aus und unsere Berufsberatung um, damit wir in Schule und Beruf besser werden. Wir haben drei Modellprojekte: Rhein-Neckar, Frankfurt und Duisburg, wo wir eine erhöhte Vermittlerzahl für Langzeitarbeitslose haben. Davon versprechen wir uns, dass die Integration gesteigert wird. Wir sind derzeit dabei, die Kooperationen zwischen Jobcentern und Jugendämtern zu verbessern. Es geht um Familien, in denen beide Elternteile langzeitarbeitslos sind. Die wollen wir so betreuen und beraten, dass die Kinder nicht auch in die Langzeitarbeitslosigkeit fallen. Das zusammen genommen ist ein Paket, mit dem man etwas bewegen kann.
Flüchtlinge suchen Arbeit
tagesschau.de: 350.000 Flüchtlinge drängen bis Jahresende auf den Arbeitsmarkt. Ist dann Schluss mit den guten Nachrichten?
Scheele: Wir können seit heute in der Statistik ausweisen, welche Menschen tatsächlich Flüchtlinge sind. In diesem Jahr wird der Zugang von Flüchtlingen überkompensiert von einheimischen Arbeitslosen, die nicht mehr arbeitslos sind. Im nächsten Jahr kann das in begrenztem Ausmaß anders sein.
tagesschau.de: Experten vermuten, die hohe Zahl an Flüchtlingen kann auch die gute Konjunktur nicht mehr kompensieren.
Scheele: Wir versuchen, dagegen an zu vermitteln. Wir wissen, dass jeden Monat etwa 10.000 bis 15.000 Flüchtlinge neu arbeitslos werden. Die Zahl der Vermittlung von Flüchtlingen hält damit nicht Schritt. Die Zahl der Arbeitslosen steigt hier schneller als die der beschäftigten Flüchtlinge. Wir sagen, zehn Prozent können wir ein Jahr nach Einreise, 50 Prozent fünf Jahre nach Einreise vermitteln.
Und der Brexit?
tagesschau.de: Welche Folgen wird der Brexit für den Arbeitsmarkt haben?
Scheele: Gegenwärtig sehen wir keine unmittelbaren Folgen für den Arbeitsmarkt. Psychologische Folgen hat das sicherlich, die auch Unternehmensentscheidungen beeinflussen. Aber am Arbeitsmarkt legt sich deswegen jetzt kein Hebel um. Wir müssen abwarten, was aus dem Brexit wird.
Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.