Arbeitnehmerrechte Wie die EU Europäische Betriebsräte stärken will
Europäische Betriebsräte werden laut EU-Kommission zu wenig eingebunden. Die Europäische Union plant deswegen eine Reform. Die Arbeitgeberseite lehnt die Novelle kategorisch ab.
Im Herbst vergangenen Jahres urteilte Spaniens Nationales Arbeitsgericht: Das Unternehmen British Airways hätte seinen Europäischen Betriebsrat über Pläne zur Entlassung von über 12.000 Mitarbeitern der Fluglinie und ihrer Tochtergesellschaften informieren und konsultieren müssen. Nur: Das Urteil kam erst mehr als drei Jahre nach der Ankündigung im Jahr 2020. Viel zu spät, als dass der Eurobetriebsrat (EBR) des Konzerns in der Causa noch irgendetwas hätte ausrichten können.
Für viele Gewerkschafter ist das nur eines von vielen Beispielen. Sie fordern daher schon seit Jahren eine Reform der Europäischen-Betriebsräte-Richtlinie. Denn eigentlich sollten die EBR schon jetzt bei länderübergreifenden Angelegenheiten, etwa Standortschließungen, rechtzeitig informiert und angehört werden - bevor finale Entscheidungen getroffen werden. Doch immer wieder berichten Gewerkschafter von Fällen, in denen das Gremium gar nicht angehört oder erst kurz vor der Presse informiert wurde.
Kommission will zwingende Anhörung
Auch eine Studie des Europäischen Gewerkschaftsinstituts ETUI mit 1.600 EBR-Mitgliedern kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Nur ein Viertel der Eurobetriebsräte befand, dass sie rechtzeitig informiert und konsultiert wurden, ehe wichtige Management-Entscheidungen fielen. Für Gewerkschafter ist das ein besonderes Ärgernis, da Anhörung und Konsultation die zentralen Kompetenz der Eurobetriebsräte sind. Anders als ihre deutschen Kollegen haben sie nämlich kein Mitbestimmungsrecht.
Die EU hat auf die Kritik reagiert. Anfang des Jahres hat die Brüsseler Kommission ihren Gesetzesentwurf zur Novelle der Europäischen-Betriebsräte-Richtlinie vorgelegt. Der Entwurf schärft die bisherigen Regeln nach und konkretisiert, dass die Eurobetriebsräte künftig zwingend informiert und angehört werden müssen, bevor das Management eine finale Entscheidung zu einer länderübergreifenden Maßnahme trifft. Insbesondere in Sachen Anhörung attestiert die Kommission in einer Evaluierung bei der bestehenden Praxis größere Defizite.
Vertraulichkeit soll begründet werden
Das Informationsrecht der Eurobetriebsräte soll auch in anderer Hinsicht gestärkt werden. Künftig soll das Management nach Willen der EU-Kommission eine Begründung liefern müssen, wenn es dem EBR Informationen zu länderübergreifenden Vorgängen aus Vertraulichkeitsgründen verweigert oder deren Weitergabe einschränkt. Gewerkschafter kritisieren, dass das Argument der Vertraulichkeit zum Teil zu exzessiv genutzt wird.
Hinzu kommt, dass die Kommission die Mitgliedstaaten auffordern will, Verstöße gegen das Gesetz schärfer zu ahnden - die Höchststrafe liegt etwa in Deutschland bisher bei maximal 15.000 Euro. Auch sollen die Mitgliedstaaten der Kommission mitteilen, wie EBR gerichtliche und gegebenenfalls Verwaltungsverfahren anstrengen können. Das ist bisher nicht in allen EU-Ländern klar geregelt.
Beschäftigungsausschuss will drastische Strafen
Der Beschäftigungsausschuss des Europaparlaments hat den Entwurf der Kommission sogar noch einmal nachgeschärft. Vorgesehen sind Strafen analog zu denen in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Das könnten in besonders drastischen Fällen 20 Millionen Euro oder bis zu vier Prozent des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes sein. Das entschieden die EU-Parlamentarier im Ausschuss am Mittwoch.
Der zuständige Berichterstatter des Europaparlaments, Dennis Radtke (CDU), sagte gegenüber tagesschau.de: "Die Wirtschaft hat sich in den letzten 15 Jahren massiv verändert und wir müssen sicherstellen, dass die Mitbestimmung bei diesen Entwicklungen Schritt halten kann."
BDA befürchtet Mitbestimmung durch die Hintertür
Doch während Gewerkschafter den Vorstoß der EU begrüßen, läuft die Wirtschaft Sturm gegen das Vorhaben. "Die bestehende EBR-Richtlinie funktioniert gut. Die nun vorgelegte Revision ist aus vielerlei Hinsicht überflüssig und auch gefährlich", kritisiert etwa die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Besonders groß ist die Sorge, dass das Vorhaben viel neue Bürokratie mit sich bringt - und wichtige Management-Entscheidungen verlangsamt. "Es sollte nicht zwingend vor jeder transnationalen Maßnahme ein Konsultationsverfahren durchgeführt werden müssen", so der Verband.
Eine weitere Sorge der Arbeitgeber ist, dass die neue Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten Mitbestimmung auch bei europäischen Unternehmen einführen könnte - durch die Hintertür: "Die vorgeschlagenen Rechtsmittel des EBR bei unterstellter Verletzung von Informations- und Konsultationsrechten stellen de facto eine Form der Mitbestimmung dar. Sie können damit das unternehmerische Handeln blockieren", heißt es weiter in der BDA-Stellungnahme.
Änderungen wahrscheinlich
Beim SPD-geführte Bundesarbeitsministerium kommt den Vorstoß dagegen positiv an. Auf tagesschau.de-Anfrage sagte eine Sprecherin des Ministeriums: "Es ist zu begrüßen, dass die Europäische Kommission eine Initiative des Europäischen Parlaments für Verbesserungen der Richtlinie aufgegriffen hat, die die aus der Praxis berichteten Probleme bei der Anwendung der Richtlinie adressiert." Deutschland bringe sich deshalb konstruktiv in die Verhandlungen über die Änderungsrichtlinie ein, so das Ministerium.
Auch CDU-Parlamentarier Radtke wünscht sich die neue Richtlinie: "Die Frage des sozialen Friedens in den Betrieben wird in der öffentlichen Debatte nicht gewürdigt. Dabei zeigen Evaluationen wie die Biedenkopf-Kommission immer wieder, dass Mitbestimmung ein Standortvorteil ist - kein Nachteil." Das Gremium unter Leitung des früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf gab 2006 Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung.
Der Text der neuen EU-Richtlinie ist indes ohnehin noch nicht final. Wie immer auf EU-Ebene stehen vorher komplizierte Verhandlungen zwischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten an. Und gerade den Mitgliedsländern gehen viele EU-Vorstöße zu weit - sie fordern oft zahlreiche Änderungen und Abschwächungen.