Menschen nehmen mit Plakaten und Fahnen an einer Auftaktdemonstration der Tarifverhandlungen für die bayerische Metall- und Elektroindustrie teil.
interview

Fuest zu IG-Metall-Forderung "Passt überhaupt nicht in die Zeit"

Stand: 01.10.2024 08:32 Uhr

In Metall- und Elektroindustrie laufen Verhandlungen über die Forderung der IG Metall nach sieben Prozent mehr Lohn. Welche Ergebnisse er dabei erwartet, erklärt ifo-Präsident Clemens Fuest im Interview.

tagesschau24: Die IG Metall begründet ihre Forderung von sieben Prozent mehr Lohn unter anderem damit, dass man so die Konjunktur ankurbeln könnte. Wenn die Arbeitnehmer mehr Gehalt bekommen, würden sie auch mehr konsumieren. Halten Sie dieses Szenario für realistisch?

Clemens Fuest: Das ist nicht der entscheidende Punkt. Denn unsere Konjunkturprobleme hängen nicht damit zusammen, dass die Einkommen zu niedrig sind. Die Beschäftigten haben in diesem Jahr sogar einen realen Einkommenszuwachs. Wir sehen aber, dass die Sparquote zunimmt. Das heißt, werden die Löhne jetzt weiter erhöht, würde die Sparquote einfach weiter zunehmen, und nur ein Teil davon würde in den Konsum gehen. Deshalb ist das Argument alleine wenig überzeugend.

Großteil der Wertschöpfung im Ausland

tagesschau24: Jetzt ist die Metallindustrie eine Exportindustrie, die viele ihrer Produkte im Ausland verkauft. Würde sie denn von mehr Konsum in Deutschland überhaupt profitieren?

Fuest: Das kommt hinzu. Die Metallindustrie erzielt 60 Prozent ihrer Wertschöpfung im Ausland. Insofern hilft den Unternehmen mehr Nachfrage im Inland überhaupt nicht. Wenn die Löhne in der Metallindustrie steigen, heißt das noch lange nicht, dass dann auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zunimmt.

Clemens Fuest
Zur Person
Clemens Fuest ist Präsident des ifo Instituts und Professor für Volkswirtschaft an der LMU München. Zuvor war er Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford und leitete das dortige Centre for Business Taxation. Seine Schwerpunkte sind Finanzwissenschaft und Arbeitsökonomik.

tagesschau24: In der Regel orientieren sich Lohnforderungen ja an der Inflationsrate. Die liegt im Moment in Deutschland unter zwei Prozent. Wie begründet die IG Metall dann diese Forderung von sieben Prozent?

Fuest: Die IG Metall argumentiert damit, dass die Industrie über mehrere Jahre eine schlechte Lohnentwicklung hinter sich hat. Die Reallöhne, auf die es in dem Zusammenhang ankommt, sind seit 2019 um etwa zwei Prozent gesunken. Was neben der Inflation für die Löhne allerdings auch wichtig ist, ist die Produktivität und die Frage, wie viel durch die Beschäftigten produziert wird. Und auch die ist in den vergangenen Jahren gesamtwirtschaftlich um circa zwei Prozent gesunken.

Die IG Metall weiß genau, dass man in Zeiten der Stagnation, wenn es schlecht läuft, nicht mit sehr hohen Lohnforderungen ankommt. Die geforderten sieben Prozent entsprechen Reallohnsteigerungen von fünf Prozent, bei Nullwachstum oder sogar Schrumpfung der Wirtschaft. Das ist nicht drin. Und der Metallindustrie geht es ja nicht besser als dem Rest der Wirtschaft, sondern eher schlechter. Deshalb passt diese Forderung einfach überhaupt nicht in die Zeit.

"Unternehmen müssen hinreichend rentabel sein"

tagesschau24: Es ist nicht ungewöhnlich, dass Gewerkschaften mit unverhältnismäßig hohen Forderungen in solche Gespräche reingehen. Welche Forderung wäre ihrer Meinung nach angemessen gewesen? Und wo einigt man sich idealerweise?

Fuest: Ich denke, die Lösung wird deutlich unter den geforderten sieben Prozent liegen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man sich dafür entscheidet, nicht die laufenden Löhne stark anzuheben, sondern Einmalzahlungen auszuzahlen und die Angestellten gewissermaßen an den Gewinnen der Vergangenheit teilhaben lässt.

tagesschau24: Viele Unternehmen, vor allem auch DAX-Konzerne wie VW, haben in den vergangenen Jahren Milliardengewinne gemacht. Ist die Lage der Unternehmen denn dermaßen angespannt, dass sie höhere Löhne von sieben Prozent nicht verkraften würden?

Fuest: Zunächst muss man sagen, dass die Arbeitnehmer von dieser guten Gewinnlage auch profitiert haben. So hat es ja auch bei VW Bonuszahlungen gegeben. Es ist also nicht so, als hätten die nichts davon gehabt. Aber wirtschaftliches Handeln ist immer zukunftsgerichtet. Insofern sind diese Erträge der Vergangenheit etwas, was uns heute nicht mehr hilft und für die Lohnverhandlungen keine Rolle spielt. Wir müssen jetzt in die Zukunft schauen, wir brauchen Unternehmen, die hinreichend rentabel sind. Sonst werden die abwandern.

Wandert Produktion ins Ausland ab?

tagesschau24: Die Lage der Unternehmen ist angespannt. Inwiefern könnten hohe Lohnforderungen die Lage der Unternehmen weiter verschärfen?

Fuest: Wenn jetzt die die Löhne weiter in die Höhe getrieben werden, müssen die Unternehmen überlegen, wie sie das auffangen können. Viele werden darauf reagieren, indem sie die Produktion ins Ausland verlagern und hier im Inland ihre Produktion stilllegen. Und das wäre die falsche Richtung. Wir sehen schon jetzt, dass die Unternehmens-Investitionen in Deutschland sinken. Bei Lohnsteigerungen von sieben Prozent würde sich dieser Trend beschleunigen.

Generell müsste die Gewerkschaft mehr differenzieren und schauen, in welchen Bereichen es aktuell Arbeitskräfteknappheit gibt. Denn in diesen Bereichen ist es angemessen, dass die Löhne kräftig steigen. In anderen Bereichen, wie der Autoindustrie, wo aktuell Entlassungen drohen, muss man vorsichtiger sein.

"Bei Streiks verlieren alle"

tagesschau24: Vergangene Woche trafen VW und die IG Metall aufeinander. Einigen konnte man sich bislang nicht. Wie geht es da jetzt weiter? Drohen möglicherweise Streiks?

Fuest: Streiks sind natürlich immer das schlechteste Ergebnis, weil dabei alle verlieren. Das würde die Probleme der Unternehmen nur verstärken, weil die Schließung von Fabriken in Deutschland noch wahrscheinlicher wären. Also wird es bei den Gesprächen darum gehen, Streiks zu vermeiden. Ich denke, es gehört zu den Ritualen der Tarifverhandlungen, dass man sich erst mal trifft, dass man sich nicht sofort einig ist, dass man länger diskutiert und versucht, seine Position darzustellen.

Wir haben in Deutschland glücklicherweise eine Tradition bei den Gewerkschaften, bei den Tarifpartnern, dass man letztlich doch versucht, Streiks zu vermeiden. Insofern setze ich da auf die Vernunft. Ich denke, die Gewerkschaften haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie in schwieriger Lage durchaus die gesamtwirtschaftliche Situation verstehen.

Die Fragen stellte Anne-Catherine Beck, ARD-Finanzredaktion. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redaktionell bearbeitet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. September 2024 um 00:16 Uhr.