Im Job trotz Ruhestands Senioren auf dem Arbeitsmarkt gefragt wie nie
Die geburtenstarken Boomer-Jahrgänge verabschieden sich in den Ruhestand. Oft fällt es den Betrieben schwer, diese Lücke zu füllen. Viele versuchen, ihre Senioren weiter an Bord zu halten.
In der Kita "Bewegte Kinder" in Berlin-Charlottenburg macht Verena Jahrmann der Personalmangel zu schaffen. Wie bei vielen Kindertagesstätten in der Hauptstadt fehlt der Nachwuchs an Erzieherinnen und Erziehern. Abhilfe kommt seit rund zwei Jahren mit sogenannten "Silvertalents", die eine Agentur gleichen Namens vermittelt.
"Zuverlässigkeit, Beständigkeit, super Know-how, was sie mitbringen, Bauchgefühl, Kompetenz - einfach toll", schwärmt die Leiterin der Kita von ihren neuen älteren Mitarbeiterinnen, die das Renteneintrittsalter überschritten haben.
Eine von ihnen ist die frühere Grundschullehrerin und Sprachpädagogin Eva. "Es war mir zu wenig, nur zu kochen, zu backen und den Mann zu versorgen", sagt sie. Das hatte sie schon kurz nach ihrem Rentenbeginn festgestellt. Auf ihrer Suche nach einem Minijob im Erziehungsbereich kam sie auf das Berliner Start-up Silvertalent. Und das vermittelte sie weiter an die Kita in Charlottenburg. Dort arbeitet sie nun zwei Tage in der Woche vor allem mit Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
Ein wachsender Jobmarkt vor allem für Teilzeitbeschäftigte
"Das Interesse ist drastisch gestiegen", sagt Christian Ahrendt, der das Portal vor zwei Jahren gegründet hat. Mittlerweile sind 15.000 Rentnerinnen und Rentner dort registriert, eine Verdreifachung innerhalb der vergangenen Monate, Tendenz weiter steigend. Die meisten suchen Teilzeitjobs. "Der finanzielle Aspekt steht meist nicht im Vordergrund", sagt der 38-Jährige.
Die Idee eines Jobportals für Ruheständler kam ihm bei einem Gespräch mit seinem Vater. Der wollte trotz Rente noch ein bisschen weiterarbeiten, wusste aber nicht, wie und wo. Das Portal finanziert sich über Provisionen von Arbeitgebern, für die Ruheständler ist die Vermittlung kostenlos. "Viele wollen in ihrer Branche bleiben, aber es gibt auch einige, die gerne was anderes machen wollen. Zum Beispiel ein Elektriker und passionierter Hobbygärtner, der was in der Grünpflege sucht."
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen
Mit den Auswirkungen der Demografie auf den Arbeitsmarkt beschäftigt sich Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability an der Hochschule Ludwigshafen schon seit Jahrzehnten. Dass die Babyboomer eine Lücke hinterlassen werden, sei natürlich schon immer absehbar gewesen. "Aber dann hatte man die Wirtschafts- und Finanzkrise und dann eine Pandemie und dazwischen, in den 2010-Jahren war bestimmt auch noch irgendetwas", sagt sie. Und so habe das Tagesgeschäft oft die notwendigen Weichenstellungen verhindert.
Mit dem Fachkräftemangel schmerzt der Abschied der Ruheständler jetzt besonders. Umso wichtiger sei eine altersgerechte Personalarbeit in den Betrieben: "Dazu gehört die Art und Weise der Weiterbildung, das Thema Gesundheitsförderung. Und ganz wesentlich: flexible, lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle." Viele Babyboomer seien mit Betriebsrenten und privater Vorsorge über die gesetzliche Rente hinaus abgesichert. "Die Hauptmotivation ist dann nicht das Geld", betont auch sie.
Bundesregierung will finanzielle Anreize setzen
Trotzdem will die Bundesregierung Rentnerinnen und Rentner auch mit finanziellen Lockmitteln dazu bewegen, den Fach- und Arbeitskräftemangel zumindest teilweise zu lindern.
Künftig sollen Versicherte, die über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, die Möglichkeit haben, sich den Zuwachs an Rentenansprüchen am Ende ihres verlängerten Arbeitslebens auf einen Schlag als sogenannte "Rentenaufschub-Prämie" auszahlen zu lassen. Und die Beiträge der Arbeitgeber zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sollen direkt an die beschäftigten Ruheständler ausgezahlt werden können. Das würde das Bruttogehalt um gut zehn Prozent erhöhen. Diese und weitere Maßnahmen sind Teil des "Wachstumspakets" der Bundesregierung, das erst noch in Kraft treten muss.
Senior-Experten bei Bosch
Albert Geiger, ehemaliger Elektrotechniker bei Bosch im Bereich Schaltungsentwicklung, kommt trotz Ruhestands im Rahmen des Senior-Experten Programms regelmäßig zurück an seine alte Arbeitsstätte in Stuttgart-Weilimdorf. "Das ist ein tolles, junges Team hier. Ich gebe meine Erfahrung und mein Wissen an meine jungen Kollegen weiter, und ich bekomme die neue Technik mit. Das ist auch ein Win für mich. Und für die Firma natürlich", sagt der 69-Jährige, der sich an anderen Tagen in der Woche um seine Enkel kümmert.
Bosch hat früher als viele andere auf die Herausforderungen des demografischen Wandels reagiert. Schon vor 25 Jahren wurde das Senior-Experten-Programm ins Leben gerufen. "Die ursprüngliche Idee war, Wissen und Erfahrung, was durch Ruhestand verloren geht, im Unternehmen zu halten," erklärt Manfred Baden, Geschäftsführer der Bosch Management Support GmbH. Gestartet mit 30 Senior-Experten in Deutschland, sind es mittlerweile weltweit 2.500, und zwar aus allen Fachbereichen.
Und die Nachfrage innerhalb des Unternehmens wächst stetig. Bei den nachgefragten Expertentagen gab es im vergangenen Jahr mit 69.000 ein Allzeithoch. Aber, so Baden: "Senior-Experten ersetzen keine Festangestellten." Auch hier sind flexible Arbeitszeiten die Grundlage, damit das Programm funktioniert. Tatsache ist aber: In Zeiten des Fachkräftemangels und Renteneintritts der Babyboomer sind ältere Arbeitnehmer gefragt wie nie zuvor.