Interview

Volkswirtschaftler Mitusch zur Bahn-Plänen "Die Karikatur einer Privatisierung"

Stand: 26.09.2007 09:13 Uhr

Der Volkswirtschaftler Mitusch geht mit Privatisierungsplänen für die Bahn hart ins Gericht: Der Konzern profitiere, der Staat und die Bürger müssten aber draufzahlen. Noch sei es nicht zu spät, die Notbremse zu ziehen, sagte er im Interview mit tagesschau.de.

Der Konzern profitiert, Staat und Bürger aber zahlen drauf: Der Volkswirtschaftler Mitusch geht mit Privatisierungsplänen für die Bahn hart ins Gericht. Noch sei es nicht zu spät, die Notbremse zu ziehen, sagte er im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Laut einer Allensbach-Umfrage befürchtet die Mehrheit der Deutschen vor allem Nachteile durch eine vollständige Bahnprivatsierung. Ist das nicht zu verstehen?

Mitusch: Für die Menschen wäre sie tatsächlich vor allem mit Nachteilen verbunden. Es gibt in der Politik die Illusion, man könnte einen europäischen Champion etablieren, ein Großunternehmen, das mit Staatshilfe auf europäischer Ebene etwas hermacht. Außerdem entstehen bei einem solchen Unternehmen immer auch Jobs, die nach dem Ende einer politischen Karriere interessant sein können. Insgesamt versprechen sich die verschiedenen Akteure verschiedene, sich widersprechende Dinge.

tagesschau.de: Welche Widersprüche meinen Sie?

Mitusch: Im Finanzministerium erhofft man sich langfristig Kürzungen der Zahlungen des Bundes an die Bahn, die zum Beispiel mit Verkleinerungen des Netzes verbunden sein könnten. Umgekehrt hofft die Bahn darauf, dass sie, wenn sie das Schienennetz erst einmal hat, von der Bundesregierung immer mehr Geld bekommt. Die Bahn hält sich deswegen nach beiden Seiten die Möglichkeiten offen: Gegenüber der Bevölkerung und den Ländern wird sie immer sagen, dass es keine Streckenkürzungen geben wird - gegenüber dem Finanzministerium aber, dass diese schon möglich sind.

"Verquere Situation"

tagesschau.de: Das Streckennetz soll laut den Privatisierungsplänen der Bundesregierung offiziell im Besitz des Bundes bleiben – aber der Deutschen Bahn für 15 Jahre zur Nutzung überlassen werden. Ist das nicht eine merkwürdige Konstruktion?

Zur Person

Der Volkswirtschaftler Kay Mitusch lehrt am Fachtgebiet für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik der TU Berlin. Er hat am 2006 vorgestellten PRIMON-Gutachen ("Privatisierung mit und ohne Netz") im Auftrag von Bundesverkehrsministerium und Bundesfinanzministerium mitgearbeitet.

Mitusch: Diese Trennung ist nur eine nominelle. Tatsächlich wäre das ein völlig integriertes Modell, wie es die Bahn und einige Politiker immer befürwortet haben: Das Netz bleibt faktisch bei der Bahn.

tagesschau.de: Das Schienennetz ist aus Steuerngeldern aufgebaut werden: Würden diese Investitionen der DB einfach geschenkt?

Mitusch: Das Netz selbst hat aus betriebswirtschaftlicher Sicht derzeit keinen hohen Wert. Deshalb könnte der Bund eigentlich nicht viel Geld dafür verlangen, wenn ein privater Investor das Netz übernähme. Für die DB hat das Netz aber eine wichtige Funktion: Es sichert ihr langfristige eine dominante Stellung im Markt, sie hat immer den Staat an ihrer Seite und Möglichkeiten, Wettbewerber zu diskriminieren. Was aber vor allem problematisch ist, ist der Wertausgleich, die der Privatisierungsentwurf vorsieht: Wenn der Staat später doch einmal das Netz zurück in seinen Besitz holen wollte, müsste er der DB dafür einen sehr hohen Wertausgleich zahlen. Das wäre natürlich eine verquere Situation.

tagesschau.de. Was halten sie von Vorschlägen, die Bahn-Anteile bei einer Privatisierung als "Volksaktien" zu verkaufen, wie es Teile der SPD wollen?

Mitusch: Wir haben es ja gar nicht mit einer richtigen Privatisierung, sondern nur mit der Karikatur einer Privatisierung zu tun, weil die DB ja zu über fünfzig Prozent im Staatsbesitz bliebe. Wenn jetzt stimmrechtslose "Volksaktien" vorgeschlagen werden, deren Besitzer nur ein wenig Rendite kriegen aber nicht mitreden dürfen, dann passt das ins Bild. Ein Vorteil für den Staat wäre es allerdings, dass es die Rücknahmemöglichkeit für das Netz verbessert, weil die stimmrechtslosen Volksaktionäre nichts mit zu entscheiden haben.

tagesschau.de: Sie haben vor allem Kritik geäußert. Gibt es kein gelungenes Beispiel für eine Bahnprivatisierung?

Mitusch: Es gibt einige Länder, in denen man den Güterverkehr von allen anderen Bereichen der Bahn getrennt und ganz dem Markt unterworfen hat. Das funktioniert eigentlich recht gut. Das einzige Beispiel, wo auch die Infrastruktur komplett privatisiert wurde und das recht gut klappt, sind die USA. Dort gibt es aber auch keinerlei staatliche Förderung mehr, es heißt nicht "mehr Verkehr auf die Schiene" und Personenverkehr existiert praktisch nicht mehr. Wenn man so etwas möchte, kann man das Schienennetz verkaufen, aber nicht bei den Ansprüchen, die man in Europa an die Bahn hat.

"Noch die Notbremse ziehen"

tagesschau.de: Wäre es nicht am besten zu sagen: Alles wieder auf Anfang?

Mitusch: Das wäre natürlich das Beste. Vor einem Jahr hat die Große Koalition den eigentlichen Kompromiss, das so genannte Eigentumsmodell, zu den Akten gelegt und durch das jetzige Modell ersetzt. Seitdem stehen sich die Positionen unversöhnlich gegenüber. Hätte man sich damals darauf geeinigt, das Netz beim Staat zu belassen und nur in Pachtverträgen an die Bahn zu geben, würde heute alles glatt gehen.

tagesschau.de: Hat man jetzt nicht einen Pfad eingeschlagen, von dem man nicht mehr herunterkommt?

Mitusch: Das glaube ich nicht. Das Bahnsystem wird verkehrs- und umweltpolitisch sehr ernst genommen: Deshalb kann ich mir vorstellen, dass man davor zurückschreckt, für Jahre und Jahrzehnte in ein schlechtes System hereinzufahren, und deshalb doch noch die Notbremse zieht.

Das Interview führte Fiete Stegers, tagesschau.de