Interview zu Befristung "Befristung schafft Unsicherheit"
Akademiker und Hilfsarbeiter sind besonders von Zeitverträgen betroffen, erklärt Arbeitsmarktexperte Werner Eichhorst im Gespräch mit tagesschau.de. Doch während die Unsicherheit bei den einen meist vorübergeht, müssen die anderen ihr ganzes Berufsleben zittern.
tagesschau.de: Insgesamt ist der Anteil befristeter Verträge an der Gesamtarbeitsbevölkerung seit Jahren stabil, doch bei den Neuverträgen steigt er immer weiter an. Mittlerweile ist bereits jeder zweite neue Arbeitsvertrag mit einem Enddatum versehen. Woher kommt diese Entwicklung?
Werner Eichhorst: Diese Entwicklung ist nicht neu und ich würde bei den Neuverträgen auch nicht von einer massiven Verschlechterung der Situation sprechen. Über einen längeren Zeitraum beobachtet fällt auf, dass der Anteil der Befristungen in dieser Kategorie nicht linear ansteigt, sondern von Jahr zu Jahr im Bereich von 40 bis 50 Prozent hin und her flattert. Außerdem muss man auch sehen, dass die Übernahmebereitschaft der Unternehmen stabil ist. Das heißt: Die Hälfte derer, die einen befristeten Vertrag haben, bekommen im Anschluss eine unbefristete Arbeitsstelle.
tagesschau.de: Die Übernahmequote liegt derzeit bei 40 Prozent. Müssen sich die anderen 60 Prozent darauf einstellen, einen befristeten Vertrag an den nächsten zu hängen?
Eichhorst: Es gibt tatsächlich einige Berufsfelder, in denen gerade zu Beginn des Berufslebens ein befristeter Vertrag oftmals nicht entfristet wird - auch weil manche Bewerber kein Interesse daran haben, dauerhaft übernommen zu werden. Aber insgesamt ist die Situation recht stabil. Sorgen macht uns allerdings die Neigung, dass im öffentlichen Bereich, im sozialen Sektor und im Wissenschaftsbetrieb zunehmend auf Entfristungen verzichtet wird. Dort nimmt die Zahl der befristeten Verträge spürbar zu - und er mündet oftmals nicht in einer unbefristeten Tätigkeit.
tagesschau.de: Dies dürfte vor allem Akademiker treffen. Tatsächlich verfügen Hochschulabsolventen überdurchschnittlich häufig über befristete Verträge. Warum ist das so?
Eichhorst: Hier spielt das Verhalten des öffentlichen Sektors tatsächlich eine große Rolle - schließlich ist er für Akademiker ein wichtiger potenzieller Arbeitgeber. Dort werden viele Stellen derzeit nur befristet vergeben. Aber auch im privaten Sektor werden Stellen für Akademiker in der Regel zunächst befristet. Die Arbeitgeber nutzen dies als eine Art Probezeit. Das macht die Befristung zu einem Ersatz für die betriebliche Ausbildung, die Nicht-Akademiker vor einer unbefristeten Festanstellung ja häufig durchlaufen und in der die Arbeitgeber ihre neuen Mitarbeiter ja ganz intensiv kennenlernen. In der Regel werden Akademiker im privaten Bereich nach einer Befristung dann auch übernommen.
Trotz guter Wirtschaftsentwicklung nimmt die Zahl der Befristungen nicht ab.
Schwierige Lebensphase
tagesschau.de: Die andere ausgesprochen häufig betroffene Gruppe sind Hilfsarbeiter. Welche Gründe gibt es dafür?
Eichhorst: Hilfsarbeiter bewegen sich in einem Bereich, in dem die Arbeitsbedingungen insgesamt schwieriger sind. Arbeitgeber versuchen dort, durch flexible Arbeitsverhältnisse die Verbindlichkeit gering zu halten. Schließlich ist es auf diesem Gebiet relativ einfach, Arbeitskräfte auch zu ersetzen. Deshalb gehen die Arbeitgeber hier ungern längerfristige Verpflichtungen ein.
tagesschau.de: Besonders betroffen von Befristung sind Beschäftigte im Alter von 30 bis 39 Jahren. Hier legte die Zahl bei Neuverträgen besonders stark zu. Welche Auswirkungen hat ein befristeter Arbeitsvertrag in dieser Lebensphase?
Eichhorst: Befristung ist für die Betroffenen oft mit einem Gefühl der Unsicherheit verbunden. Das sorgt dafür, dass etwa Familiengründungen nach hinten verschoben werden. Man muss aber auch sagen, dass diese Sorgen zumindest bei den Akademikern eigentlich unbegründet sind. Für sie ist die Befristung in der Regel eine vorübergehende Phase. Sie sind der Situation meist nicht dauerhaft ausgesetzt. Bei den Hilfsarbeitern sieht das anders aus. Da ist die Phase der Unsicherheit aber auch nicht auf die Arbeitnehmer in ihren Dreißigern beschränkt, sondern zieht sich durch alle Altersklassen.
Unterschiedliche Arbeitsrechte
tagesschau.de: Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei der Befristungsquote im Mittelfeld. In Ländern wie dem Vereinigten Königreich ist sie nur etwa halb so hoch. Wie lassen sich diese Unterschiede erklären?
Eichhorst: Vorneweg muss man einmal festhalten, dass die deutsche Quote befindet sich zwar im Mittelfeld befindet, aber es gibt kaum ein anderes Land, wo die Entfristung so häufig gelingt, wie in Deutschland. Das heißt: Die Befristung ist hierzulande weniger prekär als in anderen europäischen Ländern. In Spanien, Italien oder Frankreich sind befristete Arbeitsverträge viel riskanter - und viel häufiger.
Für Großbritannien wiederum ist der Kündigungsschutz deutlich schwächer als in Deutschland. Dort kann ein unbefristeter Vertrag viel leichter gekündigt werden als hier. Deshalb fällt es den Arbeitgebern dort leichter einen Mitarbeiter unbefristet einzustellen – sie werden ihn im Zweifelsfall ja auch einfach wieder los. In der Schweiz oder in Dänemark sieht es ähnlich aus. In diesen Ländern wird befristete Beschäftigung schlicht nicht gebraucht, weil der Kündigungsschutz viel schwächer ist als in Deutschland.
tagesschau.de: Wenn Sie alle Entwicklungen zusammenfassen: Gehört die unbefristete Vollzeitstelle deutscher Prägung bald der Vergangenheit an?
Eichhorst: Das glaube ich nicht. Zwei Drittel aller Beschäftigten in Deutschland sind unbefristet beschäftigt. Diese Zahl ist zuletzt sogar wieder leicht gestiegen. Dass die untypische Beschäftigung zunimmt, war eine Entwicklung, die etwa seit der Einführung der Hartz-Reformen bis zur Mitte der 2010er-Jahre festzustellen war. Eine weitere Entwicklung in diese Richtung ist derzeit nicht zu beobachten. Die Arbeitgeber scheinen wieder die Notwendigkeit zu sehen, ihre Beschäftigten langfristig zu binden.