Virgin-Gründer Branson wird 70 Der Anarchist unter den Milliardären
Richard Branson ist für viele das Sinnbild eines exzentrischen Milliardärs. Er ist bekannt für seinen extravaganten Lebensstil, seine waghalsigen Aktivitäten – und er hat rund um die Marke Virgin ein Imperium aufgebaut. Jetzt bittet er um Staatshilfe.
Entweder werde er Millionär oder er lande im Gefängnis, soll einer seiner Lehrer über Richard Branson gesagt haben, der am Samstag seinen 70sten Geburtstag feiert. So erzählte es zumindest Branson selbst vor mehr als 20 Jahren in einem Interview mit der "Times". Sollte es nicht wahr sein, so ist es auf jeden Fall gut erfunden. Und dass Branson ein Gespür für Publicity in eigener Sache hat, bewies er im Laufe seines langen Lebens oft genug.
Wie bei so vielen tendenziell exzentrischen Typen lief es für den zukünftigen Multimilliardär in der Schule alles andere als rund. Branson litt unter Legasthenie, sie zwang ihn, die Schule bereits mit 16 ohne Abschluss zu verlassen. Ins Nichts fiel er nicht: Branson stammt aus einer angesehenen Londoner Familie, seine Mutter war Balletttänzerin, sein Vater Anwalt. Der Großvater war Richter an einem der höchsten britischen Gerichte, dem High Court of Justice. Legasthenie habe er nie als Nachteil empfunden, wird er später sagen. Sie habe ihm dazu verholfen, kreativ zu denken.
"Anarchy in the UK"
Tatsächlich nahm auch seine Karriere in einer kreativen Branche ihren Anfang. Zusammen mit Freunden gründete er zu Beginn der 70er Jahre eine Kette von Plattenläden, aus der später das Label Virgin Records entstand. Alle waren ohne besondere Kenntnisse in das Geschäftsleben gestartet und wussten nicht, was sie erwarten würde. So sei der Name Virgin entstanden, heißt es. Der Start verlief glänzend. Eine Platte von Mike Oldfield, "Tubular Bells", verkaufte sich 1973 so erfolgreich, dass Branson damit gewissermaßen den Grundstein des Kapitals für sein künftiges Imperium sammeln konnte.
Im Jahr 1977 gelang Bransons Virgin Records dann endgültig der Sprung in die Popgeschichte. Das Label nahm die Punkband Sex Pistols unter Vertrag und veröffentlichte die legendäre LP "Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols", das einzige Studioalbum der Band. Die Scheibe gilt als Durchbruch für die Punkbewegung - Branson fand als Business Punk sozusagen sein Lebensthema.
Tränen im Gesicht, Milliardenscheck in der Tasche
Vor Erfindung des Internets und vor Spotify konnte man über Plattenverkäufe noch ein Vermögen machen. Was stellt man damit an? Man gründet zum Beispiel eine Unternehmensgruppe, die Virgin Group. Mitte der 80er Jahre stieg Branson mit Virgin Atlantic in die Airline-Branche ein. Als die Fluggesellschaft schließlich in finanzielle Schwierigkeiten geriet, musste er das Plattenlabel 1992 für eine Milliarde Dollar verkaufen, um Virgin Atlantic zu retten.
Es sei sehr hart gewesen, gestand der Milliardär später. "Es ist, als ob man seine Kinder verkaufe." Er erinnere sich daran, wie er mit einem Scheck über eine Milliarde die Straße entlanglief, während über sein Gesicht die Tränen strömten.
Neben Plattenfirma und Fluggesellschaft steckte er sein Geld auch in andere Unternehmungen. Die Firma Virgin Galactic soll dereinst Weltraumflüge für Touristen anbieten. Die Grenzen der Menschheit zu erweitern ist für viele Milliardäre offenbar ein prestige- und symbolträchtiges Thema. Auch Rivalen wie Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos oder SpaceX von Tesla-Chef Elon Musk widmen sich der Raketenwissenschaft.
Zur Virgin Group gehören ferner Handelsketten, Finanzdienstleister und ein Eisenbahnunternehmen. Zu einem Privatvermögen von rund 4,5 Milliarden Dollar hat er es mit seinem Ideen gebracht. Im Jahr 1999 ernannte ihn die Queen aufgrund seiner unternehmerischen Leistungen zum "Sir".
Furchtlos und abenteuerlustig
Nicht nur bei seinen Tätigkeiten in der Geschäftswelt, auch im Privatleben zeigt der Vater von zwei Kindern Furchtlosigkeit und Abenteuerlust. Mehrfach versuchte er, die Welt per Heißluftballon zu umrunden, ihm gelangen Atlantik- und Pazifiküberquerungen per Ballon. Natürlich ließ sich die öffentliche Aufmerksamkeit immer auch als Marketing für seine Geschäfte nutzen.
Branson ist ein Mann, der bereit ist etwas zu wagen und innovativ zu sein – und insofern ein echter Unternehmer, der Eigeninitiative und Ideen auch bei seinen Mitarbeitern fördert. Er möchte deshalb nicht "Sir" sondern lieber "Dr. Yes" genannt werden. Das Leben sei viel freudvoller, wenn man ja sage, findet er.
Aber der Brexitgegner Branson kann natürlich auch Nein sagen – zum Beispiel wenn es um das Zahlen von Steuern geht. Er residiert auf den britischen Jungferninseln in der Karibik auf seiner Privatinsel Necker Island und zahlt dort exakt null Prozent Einkommensteuer. Auch Dividenden, die ihm seine Unternehmen einbringen, muss er nicht versteuern.
"Eine absolute Schande"
Deshalb durchlebt der einstige Liebling der Medien gerade finstere Zeiten. Von der Corona-Krise waren viele seiner Geschäfte, insbesondere die Fluggesellschaft, hart getroffen. Branson machte daraufhin seinen rund 8.500 Angestellten den Vorschlag, acht Wochen lang in unbezahlten Urlaub zu gehen. Und er bat den britischen Staat um einen Kredit in Höhe von 500 Millionen Pfund. Die Reaktionen in Großbritannien kamen scharf und schnell. Für die Labour-Abgeordnete Kate Osborne ist Bransons Ansinnen eine "absolute Schande".
Aus der unternehmerfreundlichen Tory-Partei machte das Parlamentsmitglied Richard Fuller dem Multimilliardär einen Vorschlag: Die Kosten für einen achtwöchigen Urlaub der Mitarbeiter würden rund 6,4 Millionen Pfund kosten. Fuller setzt bei Branson ein Nettovermögen von 3,8 Milliarden Pfund voraus und unterstellt eine Verzinsung von zwei Prozent. Das würde laut Fuller bedeuten, dass er in acht Wochen eine Verzinsung von 9,9 Millionen Pfund erhielte.
Sein Vorschlag: "Verzichten sie acht Wochen lang auf eine Verzinsung ihres Vermögens und zahlen sie den Urlaub selbst." Jetzt sei der Moment, seine Mitarbeiter zu schützen, man werde ihn nach seinen Taten beurteilen, so Fullers Fazit.
Bransons Vermögen liegt ganz gewiss nicht als Nettobetrag auf dem Konto und wie viele Milliarden es genau sind, weiß er vermutlich nicht mal selbst. Aber dass nicht nur Fuller der Ansicht ist, dass Branson leichter auf das Geld verzichten kann als seine Angestellten – diese Botschaft dürfte angekommen sein.
ts