EU beschließt 700-Milliarden-Paket Der Rettungsschirm wird zur Dauereinrichtung
Die Beschlüsse des EU-Gipfels sind historisch: Ab 2013 soll es dauerhaft einen Euro-Rettungsschirm geben, in Höhe von 700 Milliarden Euro. Die EU hofft, so Spekulationen zu stoppen - Kritiker sprechen von einem "schwammigen" Ergebnis und sehen den Einstieg in eine Transferunion.
Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten haben bei ihrem Gipfel in Brüssel ein umfangreiches Paket zur Sicherung des Euro beschlossen. Der bisherige Rettungsfonds EFSF, der bis 2013 gilt, wird auf insgesamt 500 Milliarden Euro aufgestockt. Ab 2013 soll dann der 700-Milliarden-Euro-Fonds ESM dafür sorgen, dass klamme Euro-Staaten nicht zahlungsunfähig werden.
Der Schritt gilt als größte Änderung seit der Einführung der Gemeinschaftswährung vor mehr als zehn Jahren: Bislang galt die Grundidee, dass die Euro-Staaten über die Einhaltung der Maastricht-Kriterien so zur Haushaltsdisziplin gezwungen werden, dass sie die Stabilität des Euro nicht gefährden können. Da aber der politische Wille fehlte, bei Verstößen gegen die Kriterien auch - die eigentlich vorgesehenen - Sanktionen zu verhängen, verstießen zahlreiche Staaten immer wieder gegen die Auflagen bei Neu- und Gesamtverschuldung, sodass Griechenland und Irland an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gerieten und mit Krediten und Garantien gerettet werden mussten.
Nun wird für solche Rettungsmaßnahmen ein Dauer-Mechanismus geschaffen. Auf automatische Sanktionen bei Verstößen gegen die Stabilitätskriterien, wie ursprünglich unter anderem von Deutschland gefordert, wird aber erneut verzichtet. Kritiker sehen in den Beschlüssen einen Einstieg in eine dauerhafte Transferunion, in der finanziell solide Staaten für die Schulden der anderen haften müssen - in den Maastricht-Verträgen sollte die sogenannte "No-Bailout"-Klausel dafür sorgen, das genau das nicht passierte.
Deutschland muss 22 Milliarden Euro einzahlen
Ab 2013 soll nun der Rettungsfonds im Volumen von 700 Milliarden Euro in Not geratenen Staaten helfen. Da ein Teil des Geldes als Sicherheit hinterlegt werden muss, sollen schließlich 500 Milliarden Euro als effektive Ausleihsumme zur Verfügung stehen. Neben Garantien müssen die Euro-Staaten auch 80 Milliarden Euro direkt als Bareinlage leisten. Auf Deutschland entfallen Bürgschaften über 168 Milliarden Euro und knapp 22 Milliarden Euro in bar.
Bisher sollte die Hälfte des Beitrags auf einen Schlag bis 2013 fällig sein, der Rest in drei weiteren Jahresraten. Deutschland hätte also im Jahr der Bundestagswahl elf Milliarden Euro überweisen müssen. Die Bundesregierung setzte sich schließlich damit durch, die Zahlungen für den ständigen Euro-Rettungsfonds gleichmäßig auf fünf Jahre zu verteilen - nun muss sie jedes Jahr gut vier Milliarden Euro einzahlen. Wenn nötig, sollen die Euro-Mitgliedsstaaten nach Angaben des EU-Ratspräsidenten Herman van Rompuy zusätzliche Zahlungen leisten.
Verschärfte Bedingungen - aber keine automatischen Sanktionen
Gleichzeitig beschloss der Gipfel einen verschärften Stabilitätspakt: Defizitsündern drohen nun nicht nur Geldstrafen, wenn die jährliche Neuverschuldung drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, sondern auch wenn die Gesamtverschuldung über 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt. Automatische Strafen soll es aber nicht geben. Über einen "Pakt für den Euro" wollen sich die Euro-Länder zudem freiwillig in der Sozial-, Steuer- und Haushaltspolitik eng abstimmen. Dies soll die Euro-Zone insgesamt wettbewerbsfähiger und weniger krisenanfällig machen. Sechs Nicht-Euro-Staaten kündigten in der Sitzung an, den Pakt ebenfalls übernehmen zu wollen. Dänemark, Polen, Bulgarien, Rumänien und die beiden Baltenrepubliken Lettland und Litauen schlossen sich an.
Noch nicht geklärt ist, wie die Euro-Staaten den aktuellen Rettungsfonds EFSF so verstärken, dass die angestrebte Kreditsumme abgesichert wird - bisher verfügt der Fonds lediglich über ein Kreditvolumen in Höhe von 250 Milliarden Euro. Ungelöst ist auch der Streit mit Irland über die Konditionen seines Hilfsprogramms. Das erste Euro-Land, das den Rettungsfonds EFSF nutzen musste, dringt auf niedrigere Kreditzinsen und mehr Unterstützung bei der Sanierung der angeschlagenen Banken des Landes. Es verweigert bisher jedoch jegliche Gegenleistung für die zusätzliche Hilfe - vor allem die in der EU äußerst umstrittenen niedrige Unternehmensbesteuerung will das Land nicht antasten.
"Eher schwammig" - Ökonomen kritisieren Ergebnisse
Ökonomen wie Alexander Koch von der Unicredit kritisieren, auch der verschärften Version des Paktes fehlten die Zähne. So müsse noch entschieden werden, ab welchen Schwellenwerten bei Defizit und Staatsschuld welche Sanktionen greifen sollen. Die Märkte hätten mehr erhofft als "ein eher schwammiges Ergebnis". Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer sagte dem "Handelsblatt", bislang sei die Frage ungeklärt, "was mit den in der Vergangenheit angehäuften Schuldenbergen geschehen soll, wenn der Markt eine weitere Finanzierung verweigert". Mayer lobte aber, dank der Rettungsaktionen sei es zumindest gelungen, "einen Herzstillstand in der Euro-Zone zu verhindern".
Portugal-Krise überschattet Gipfel
Überschattet wurde das Treffen von den Entwicklungen in Portugal: Regierungschef José Socrates reiste nur noch als amtierender Ministerpräsident an. Der Portugiese hatte am Vorabend sein Amt niedergelegt, weil das Parlament eine neue Runde von Einsparungen ablehnte, mit denen das Land eine Flucht unter den derzeitigen Euro-Rettungsschirm vermeiden wollte. Nun könnte das hoch verschuldete Land bald gezwungen sein, internationale Finanzhilfen anzunehmen. "Portugal wird von den anderen Europäern nicht alleine gelassen", versicherte Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker. Der Euro-Rettungsfonds EFSF könnte nach seinen Worten derzeit ein Hilfsprogramm für Portugal ohne Probleme finanzieren. Der Rettungsschirm wäre ausreichend groß, erklärte Juncker. Er habe jedoch keinen Grund, davon auszugehen, dass Portugal bald einen Hilfsantrag stellen werde.
Vor dem Gipfel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel den neuen Euro-Rettungsschirm als unabdingbar bezeichnet und in Berlin betont, mit diesem Paket werde die Gemeinschaftswährung dauerhaft krisenfest gemacht. Mit der milliardenschweren Gesamtstrategie werde das Jahr 2011 für den Euro und die Europäische Union "zum Jahr des Vertrauens", hob Merkel im Bundestag hervor.