Finanzexperte zum Brüsseler Gipfel "Wir gewinnen Zeit, mehr nicht"
Wieder hat die EU über ein Rettungspaket für kriselnde Euro-Staaten beraten, und wieder ist man voll des Lobes über die Beschlüsse. Mit einem freiwilligen Schuldenerlass soll Griechenland gegen die drohende Staatspleite geschützt werden. Wurde damit nun endlich ein Modell gefunden, das die kriselnden Länder Europas nachhaltig stabilisiert? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Stuttgarter Bankenexpertern Hans-Peter Burghof.
tagesschau.de: Sind die Beschlüsse von Brüssel so tragfähig, dass sie die angeschlagenen Staaten des Euro-Raums stabilisieren und den anhaltenden Spekulationen gegen diese Staaten den Boden entziehen?
Hans-Peter Burghof: Natürlich nicht. Wir gewinnen Zeit, mehr nicht. Die Politik nimmt immer noch an, dass die Krise schon verschwinden wird, wenn man nur lang genug durchhält und nur genug Ressourcen aufbringt, um die Krise zu bremsen. Das Interessanteste an den Diskussionen ist nun die Debatte zwischen Italien und dem Rest Europas - das ist der Knackpunkt. Schafft es Italien, sich zu stabilisieren und sein großes Potenzial zu nutzen - oder schafft es Italien nicht?
tagesschau.de: Solange Italien keinen handfesten Plan für Reformen - etwa des Rentensystems - vorliegt, solange werden die Spekulationen gegen das Land weitergehen?
Burghof: Das sind ja keine Spekulationen, sondern realistische Einschätzung der tatsächlichen Situation. Italien spart nicht ernsthaft, der Regierung fehlt es hier an Glaubwürdigkeit. Wir sehen ja auch, welche Glaubwürdigkeit die Partner der italienischen Regierung zubilligen. Das spiegelt sich an den Märkten wider. Und es hilft nicht, auf die Märkte zu schimpfen - hier hilft nur eine seriöse Haushaltspolitik.
Die Märkte wollen sich ja überzeugen lassen. Es ist viel Geld unterwegs, das Anlage sucht. Wir sehen an Deutschland: Wir sind zwar hochverschuldet und können über die neuen Haftungen erheblich in Schwierigkeiten geraten. Dennoch zahlen wir niedrige Zinsen, weil auf den Märkten viele Leute eine sichere Anlage suchen.
tagesschau.de: Bislang war das größte Sorgenkind Griechenland - dem Land soll die Hälfte der Schulden erlassen werden. Wie verlässlich ist diese Zusage?
Burghof: Das ist verlässlich, weil die Alternative eine Staatspleite wäre und dann überhaupt keine Schulden zurückgezahlt werden. Insofern ist auch die Behauptung, der Schuldenerlass erfolge freiwillig, ein Witz. Keine Bank verzichtet freiwillig auf Geld, das ihr zusteht. Insofern haben wir es hier bei einem Schuldenschnitt von 50 Prozent mit einer Form von Insolvenz zu tun. Wie soll man es sonst nennen? Das Problem ist: Wir wollen die Fiktion einer Nicht-Pleite zwanghaft aufrecht erhalten. Die Gründe dafür sind mir nicht alle klar.
tagesschau.de: Helfen die Beschlüsse Griechenland?
Burghof: Auch hier gilt: Wir gewinnen nur Zeit. Die Lage Griechenlands verbessert sich dadurch um keinen Deut. Im Gegenteil. Wenn die Schulden Griechenlands nicht auf ein Niveau reduziert werden, dass das Land wieder am Kapitalmarkt agieren kann, ist nichts erreicht worden. Der Schuldenschnitt wurde notwendig, weil alle Kalkulationen nicht mehr aufgingen und die Fiktion, dass wir Griechenland retten, sich in einen Albtraum verwandelt hat. Dieser Albtraum verflüchtigt sich aber durch den Schuldenschnitt nicht. Der Schuldenschnitt hätte mit einer klaren Staatspleite verbunden sein müssen. Wenn sie ein Problem lösen wollen, müssen sie die Dinge beim Namen nennen und nicht drumherum reden. Denn das hilft nicht weiter.
Neuer EZB-Präsident eine "Fehlbesetzung"
tagesschau.de: Welche Rolle wird EZB in dem Verfahren spielen?
Burghof: Mir ist unklar, was mit den alten Anleihen geschieht, die schon bei der EZB liegen und wie mit den neuen Anleihen verfahren wird. Der neue EZB-Präsident Mario Draghi hat aber bereits angekündigt, dass die EZB weiter Anleihen kaufen soll, weil sein Land in Schwierigkeiten steckt. Damit ist jetzt schon eingetreten, was nicht eintreten sollte. Der Mann hat schon vor Amtsantritt gezeigt, dass es ein großer Fehler war, einen Italiener in dieser Zeit in diese Position zu bringen - ungeachtet seiner Kompetenz und seiner persönlichen Integrität. Er hätte besser schweigen sollen und das tun, was er als Ökonom für richtig hält. Und das ist sicher nicht, die EZB zu zerstören, indem man immer mehr schlechte Anleihen in die Bücher aufnimmt.
tagesschau.de: Das düpiert ja auch die Bundeskanzlerin, denn sie hat vor dem Gipfel den Eindruck erweckt, als solle mit solchen Handlungen Schluss sein.
Burghof: Wir zahlen jetzt die Strafe dafür, dass Merkel im Frühjahr den damaligen Bundesbankpräsidenten Axel Weber nicht unterstützt hat. Er hat seinen Posten verlassen, weil er keinen ausreichenden Rückhalt durch die Bundeskanzlerin mehr hatte.
Nach dem Rettungspaket ist vor dem Rettungspaket
tagesschau.de: Die Euro-Staaten setzen ja nun darauf, dass mehr private Investoren Geld für die kriselnden Staaten bereitstellen. Ist so ein Engagement mit dem gestrigen Tag attraktiver geworden?
Burghof: Mir ist noch nicht klar, ob sich der Hebel-Mechanismus auf den gesamten Rettungsfonds bezieht oder auf einzelnen Staatsanleihen. Nach meinem Verständnis bezieht es sich auf einzelne Staatsanleihen, bei denen der EFSF für die ersten 20 bis 30 Prozent Verlust haftet. In diesem Fall wäre das Ergebnis sehr unterschiedlich. Für griechische oder portugiesische Staatsanleihen wäre eine solche Haftung unsinnig, denn 20 Prozent Haftung retten das Land auch nicht mehr. Bei anderen Staaten sieht es besser aus. Da kann man kalkulieren, wie groß das Ausfallrisiko ist, und da kann die "First-Loss-Haftung" durchaus helfen.
Ich befürchte aber, dass man innerhalb weniger Monate feststellt, dass Griechenland oder Portugal dennoch keinen Zugang zum Kapitalmarkt erhalten, weil die Haftung zu gering ist. Dann könnte man sagen, dass diese 20 Prozent ohnehin den größten Teil des Verlustes auffangen und es deswegen kein großer Verlust ist, wenn man nochmal ein paar Milliarden drauflegt. Es kann also sein, dass relativ kurzfristig wieder der Bedarf für eine zusätzliche Haftung entsteht.
tagesschau.de: Steht also zu befürchten, dass wir in absehbarer Zeit über ein neues Rettungspaket sprechen werden?
Burghof: Der Glaube, man könne die Krise mit einem immer größeren Rettungsschirm in den Griff bekommen, führt zu nichts, wenn damit nicht eine glaubwürdige Verhaltensänderung der Staaten einhergeht. Mir ist nicht klar, wie das erzwungen werden kann.
Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de