Karlsruhe schaltet EuGH ein Die EZB vor Gericht
Ein neues Kapitel im Rechtsstreit rund um die EZB: Das Bundesverfassungsgericht legt dem Europäischen Gerichtshof einen Fragenkatalog zum Ankauf von Staatsanleihen vor. Die Hintergründe.
Was sind Staatsanleihen?
Bei einer Staatsanleihe leiht sich der Staat Geld und zahlt dafür Zinsen. Nicht nur für kriselnde Staaten sind Staatsanleihen ein zentrales Instrument, um sich frisches Geld an den Märkten zu besorgen. Je schlechter es dem Staat geht, desto mehr Zinsen muss er den Gläubigern der Anleihen zahlen. Je nach Angebot und Nachfrage bildet sich so ein "Marktpreis" für Staatsanleihen der verschiedenen Länder.
Wie funktioniert das konkrete EZB-Programm "Quantitative Easing"?
Am 22. Januar 2015 hatte die Europäische Zentralbank (EZB) das Programm "Quantitative Easing" ("mengenmäßige Lockerung") beschlossen – kurz QE. Jeden Monat kauft die EZB für rund 60 Milliarden Euro Wertpapiere auf, die bereits auf dem Markt sind ("Sekundärmarkt") - darunter Staatsanleihen von allen EU-Staaten. Dies geschieht nach einem bestimmten Länderschlüssel. Bis Anfang August hatte die EZB Anleihen im Wert von über zwei Billionen gekauft.
Wie begründet die EZB das Programm?
Nach Ansicht der EZB ist die lockere Geldpolitik notwendig, um eine erneute Wirtschaftskrise zu verhindern. In einer Deflation - also einer Phase immer stärker fallender Preise - würde auch die Konjunktur einbrechen, die Unternehmen müssten Arbeitsplätze abbauen. Es würde weniger gekauft, mit der Folge weiter sinkender Preise. Das will die EZB verhindern und durch den Ankauf von Staatsanleihen den Banken mehr Geld verschaffen, damit diese wieder mehr Kredite an die Unternehmen vergeben. Der seit Jahren niedrige Leitzins reiche dafür nicht mehr aus, sodass außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich seien. Die EZB halte sich dabei aber genau an ihre Aufgaben aus den Europäischen Verträgen, so EZB-Präsident Mario Draghi im Januar 2015.
Was ist der rechtliche Kern des Streits?
Einerseits ist das Programm wirtschaftlich umstritten. Andererseits hat der Fall eine rechtliche Ebene. Im Kern geht es darum, ob die EZB mehr macht, als sie nach den EU-Verträgen rechtlich eigentlich darf. Die EZB ist zwar eine unabhängige Institution, hat also großen Spielraum und ist nicht an Weisungen der Politik gebunden. Der Gegenpol zur Unabhängigkeit ist aber, dass sie nur innerhalb ihres Mandats agieren darf.
Was darf die EZB nach den Europäischen Verträgen?
Hier geht es um zwei Punkte: Erstens ist die Aufgabe der EZB nach EU-Recht die Geldpolitik, mit dem Ziel, eine stabile Währung mit stabilen Preisen zu gewährleisten. Nicht erlaubt ist ihr dagegen: Wirtschaftspolitik. Die ist vorrangig Aufgabe der Mitgliedsstaaten.
Zweitens regelt das EU-Recht für die EZB auch ein "Verbot monetärer Staatsfinanzierung". Einfacher gesagt: Die EZB darf nicht die Staatshaushalte überschuldeter Mitgliedsstaaten retten.
Wer hat geklagt?
Gegen das QE-Programm haben verschiedene Personen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Verfassungsbeschwerde eingelegt, darunter Peter Gauweiler (CSU), der in solchen Fragen bereits mehrfach geklagt hatte. Hinzu kommt Bernd Lucke, der einst die AfD gegründet hat. Zwei weitere Klägergruppen gibt es noch.
Sie argumentieren im Wesentlichen, dass es sich beim EZB-Programm um Wirtschaftspolitik und um verbotene Haushaltsfinanzierung von Krisenstaaten handele.
Und warum vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht?
Zunächst muss man wissen: Nur der EuGH könnte der EZB direkt etwas verbieten. Ein direktes Klagerecht einzelner Bürger zum EuGH gibt es in solchen Fällen aber nicht. Zum EuGH kommt man als Bürger in solchen Fällen nur über den Umweg der nationalen Gerichte, die eine Frage vorlegen. In Karlsruhe muss man Verstöße gegen das Grundgesetz vortragen.
Was die EZB mit dem deutschen Grundgesetz zu tun hat, muss man sich wie zwei Seiten einer Medaille vorstellen. Die eine Seite: Nach dem Grundgesetz darf Deutschland Befugnisse auf die EU übertragen. Die andere Seite: EU-Organe dürfen sich dann auch nur in genau dem festgelegten Rahmen bewegen. Wenn die EZB ihren rechtlichen Rahmen evident überschreitet, kann das also ein Verstoß gegen das Grundgesetz sein.
Was hat der Rechtsstreit mit dem einzelnen Bürger zu tun?
Auf den zweiten Blick eine Menge. Deutschland hat (durch die Volksvertreter im Bundestag) Kompetenzen an die EU übertragen. Wenn die EU dann mehr macht, als sie darf, hat der deutsche Bürger dem - vereinfacht gesagt - nicht zugestimmt. Deshalb hat Karlsruhe auch für den einzelnen Bürger ein Klagerecht in derartigen Fällen eröffnet. Andernfalls werde sein Wahlrecht ausgehöhlt. Und für die finanziellen Risiken der EZB haftet ganz am Ende auch der deutsche Staatshaushalt.
Wie ist die Vorgeschichte zum aktuellen Verfahren?
Der Rechtsstreit um QE hat eine Art Blaupause: Im Juni 2015 hat der EuGH nämlich das sogenannte "OMT-Programm" der EZB für rechtmäßig erklärt. Bei OMT ging es um den Ankauf von Staatsanleihen kriselnder Staaten. EZB-Präsident Draghi hatte es im Sommer 2012 auf dem Höhepunkt der Euro-Krise angekündigt. Das Programm wurde bislang nicht umgesetzt.
Auch wenn der Inhalt der beiden Programme unterschiedlich ist - die Gerichtsverfahren ähneln sich: Es geht um Staatsanleihen und die EZB, Klage beim BVerfG, Vorlage an den EuGH. Deswegen ist für den aktuellen Fall wichtig, welche Grenzen der EuGH der EZB gesetzt hat. Im Urteil von 2015 hatte der EuGH entschieden, dass auch die unabhängige EZB einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Gleichzeitig habe sie jedoch einen großen Spielraum.
Was hat der EuGH bisher zum Thema Staatsanleihen entschieden?
Der EuGH urteilte: Das OMT-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen sei dem Bereich Geldpolitik zuzurechnen und daher erlaubt. Der EuGH stellt dabei maßgeblich darauf ab, welche Ziele die EZB mit dem Programm anstrebt. Ob so ein Programm auch mittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik habe, sei nicht entscheidend.
Das OMT-Programm sei auch keine verbotene Haushaltsfinanzierung, weil im "Kleingedruckten" des Programms Sicherungen und Kriterien eingebaut sein. Im Kern geht es darum, dass so ein EZB-Programm nicht den Markt für Staatsanleihen verzerren soll. Die Kriterien lauten unter anderem, dass die Ankäufe nicht angekündigt werden dürfen und es eine Mindestfrist zwischen der Ausgabe der Anleihe durch die Staaten und dem Ankauf durch die EZB gibt, damit sich am Markt ein Preis bilden kann.
Warum hat das Bundesverfassungsgericht nun das QE-Programm dem EuGH vorgelegt?
Hintergrund ist zunächst die Aufgabenverteilung zwischen den Gerichten: Wenn ein nationales Gericht im Rahmen einer Klage Zweifel hat, ob gegen EU-Recht verstoßen wurde, legt es seine Fragen dazu dem EuGH vor.
Inhaltlich steckt folgendes dahinter: Zum OMT-Programm hat der EuGH wie beschrieben Kriterien zum Ankauf von Staatsanleihen aufgestellt. Nun gibt es mit QE ein Programm, das bereits läuft. Das BVerfG macht nun quasi die Probe aufs Exempel. Man gehe davon aus, dass es sich um rechtsverbindliche Kriterien auch für andere Programme handele. Hält QE diese Kriterien des EuGH also ein? Das möchte Karlsruhe in Luxemburg geklärt haben.
In welchen Punkten hat das Bundesverfassungsgericht Zweifel am EZB-Programm?
Laut BVerfG sprechen "gewichtige Gründe" dafür, dass das QE-Programm gegen das Verbot der Haushaltsfinanzierung verstößt. Das Gericht hat Zweifel, ob die vom EuGH aufgestellten Kriterien eingehalten werden. Zum Beispiel: Die Anleihekäufe dürften nicht angekündigt werden. Bei QE seien die Eckdaten aber klar umrissen, so das BVerfG. Es stehe faktisch fest, dass ein Drittel der Anleihen aufgekauft werden. Zum Kriterium einer Mindestfrist zwischen Ausgabe und Aufkauf der Anleihen bemängelt Karlsruhe, dass die EZB diese Frist geheim halte, eine Kontrolle also nicht möglich sei.
Bei der Frage, ob es sich um Geldpolitik oder Wirtschaftspolitik handelt, ist das BVerfG beim QE-Programm der Ansicht: Auch wenn das angekündigte Ziel des Programms stabile Preise seien, müsse man die mittelbaren Auswirkungen stärker in den Blick nehmen. Und die sollen vor allem der Wirtschaft in Krisenstaaten auf die Beine helfen. QE könnte also aus Karlsruher Sicht Wirtschaftspolitik durch die Hintertür sein, für die die EZB nicht zuständig ist.
Schließlich will Karlsruhe wissen, ob das EU-Recht nicht auch der EZB verbiete, eine Art Vergemeinschaftung von Schulden innerhalb des Euroraumes zu beschließen. Grundsätzlich hafte in der Eurozone jeder Staat nur für sich.
Wie geht der Rechtsstreit weiter?
Nun muss der Europäische Gerichtshof in Luxemburg über die Fragen des BVerfG entscheiden. Das alles könnte etwa ein Jahr dauern. Nach dem EuGH-Urteil geht der Fall dann wieder zurück ans BVerfG, das über die Klagen abschließend entscheidet, ob ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt.
Kann man absehen, wie es ausgeht?
Das ist bei diesem komplizierten Thema schwierig. Es lohnt sich aber sicher, einen Blick auf den Ausgang der Blaupause zu werfen, das OMT-Verfahren. Dort hatte Karlsruhe dem EuGH sehr kritische Fragen zur EZB vorgelegt. Der EuGH erklärte das Kaufprogramm dann 2015 für rechtmäßig, gestand der EZB großen Spielraum zu und setzte einige rechtliche Grenzen. Als der OMT-Fall zurück nach Karlsruhe kam, wäre das schärfste Schwert gewesen, der Bundesbank die Beteiligung am QE-Programm zu untersagen. Denn der EZB als europäische Institution kann das BVerfG nichts untersagen. Beim OMT-Programm hat Karlsruhe am Ende nach dem Motto "ja, aber" geurteilt. Unter bestimmten Bedingungen dürfe sich die Bundesbank am OMT-Programm beteiligen.
Was steckt hinter den kritischen Fragen aus Karlsruhe rund um die EZB?
Wenn Karlsruhe der EZB nichts direkt verbieten kann, drängt sich die Frage auf: Warum engagiert sich Karlsruhe hier so stark? Aus den Entscheidungen zur EZB lässt sich erkennen: Den Richterinnen und Richtern ist wichtig, dass sich eine unabhängige Institution wie die EZB nicht im rechtsfreien Raum bewegt und ihr am Ende - zumindest einige - rechtliche Grenzen gesetzt werden.
Karlsruhe sagt nicht, dass Hilfsprogramme für Krisenstaaten per se unzulässig seien. Das Gericht hat aber Probleme damit, wenn sie über die EZB laufen würden, die ein begrenztes Mandat hat, und die sich - anders als Regierungen und Parlamente - keinem Wähler gegenüber verantworten muss. Der rote Faden bei Karlsruher Europa-Urteilen war bislang immer ein "ja, aber".