"Check-in closed" steht am Hauptstadtflughafen BER auf einer Anzeigetafel.
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Globale IT-Störung Flugzeuge am Boden, Kliniken operieren nicht

Stand: 19.07.2024 13:53 Uhr

Ein fehlerhaftes Update legt weltweit Flughäfen, Krankenhäuser oder Medienunternehmen still. Experten sprechen vom wohl größten IT-Ausfall aller Zeiten. Was darüber bekannt ist - und welche Folgen die Störung hat.

Wie schnell kann die Störung behoben werden?

Der US-Softwarekonzern Microsoft teilte mit, der Fehler sei mittlerweile behoben. Es gebe aber weiterhin weltweiter Auswirkungen. Zuvor hatte das US-Unternehmen Crowdstrike, das mit seiner Sicherheitssoftware offenbar für die weltweiten IT-Probleme verantwortlich ist, angekündigt, das Problem sei "identifiziert, isoliert" und werde "behoben". "Dies ist kein Sicherheitsvorfall oder Cyberangriff", erklärte Unternehmenschef George Kurtz. Demnach liegt der Fehler in einem Update für Anwendungen des Microsoft-Programms Windows.

Auch Jan Lemnitzer, IT-Experte an der Copenhagen Business School, hatte sich im Interview mit tagesschau24 zuvor zuversichtlich gezeigt, dass die Störung schnell behoben werden könne und auch keine nachhaltigen Probleme hinterlässt. Am Berliner Flughafen etwa konnten die Computersysteme bereits wieder hochgefahren werden, es komme nur noch vereinzelt zu Ausfällen.

Was ist der Grund für die Störung?

Auslöser ist ein Programm-Update von "Falcon Sensor" - einer Sicherheitssoftware des kalifornischen Unternehmens Crowdstrike, die weit verbreitet ist zum Schutz gegen IT-Bedrohungen und unter anderem Websites absichert. "Falcon Sensor" soll bösartige Aktivitäten im Datenverkehr entdecken. Der Fehler ließ weltweit auf Rechnern das Windows-Betriebssystem von Microsoft abstürzen - nur noch ein blauer Bildschirm war zu sehen.

Microsoft hatte zuvor Probleme mit seinem Cloud-Service 365 gemeldet. "Es ist ein Problem, das daher kommt, dass die ganze Welt Microsoft-365-Cloud-Services benutzt und dass es weltweit fünf bis sechs große Cybersicherheitsanbieter gibt, die von allen großen Organisationen genutzt werden", erläutert IT-Professor Lemnitzer.

IT-Professor Jan Lemnitzer, Copenhagen Business School, zu den weltweiten Microsoft-Problemen

tagesschau24, 19.07.2024 10:00 Uhr

Ein Anzeichen dafür, dass es sich bei den aktuellen Ausfällen um ein Problem mit einem Update der Sicherheitsfirma handle und nicht um einen großflächigen Cyberangriff, ist laut Lemnitzer die Tatsache, dass die Ausfälle in Australien begannen: "Normalerweise werden solche Updates immer an einem bestimmten Datum freigegeben. Und in Australien fängt der Tag an - das heißt, dass wir da die Probleme zuerst sehen. Und dann rollen sie mit der aufgehenden Sonne weltweit aus."

Wie groß ist das Ausmaß - und der Schaden?

Experten halten die Computerausfälle wegen ihres globalen Ausmaßes für beispiellos. "Aus meiner Sicht ist es nicht zu früh zu sagen: das wird der größte IT-Ausfall aller Zeiten sein", schrieb der renommierte Sicherheitsberater Troy Hunt in einem Social-Media-Post.

Die weltweiten Kosten der globalen IT-Probleme dürften sich erst in einigen Wochen oder Monaten abschätzen lassen. Denn neben den sofortigen Kosten könnten auch spätere Nachforderungen durch betroffene Kundinnen und Kunden noch eine Rolle spielen. Die Aktie von Crowdstrike notierte im vorbörslichen Handel ein Minus von zeitweise mehr als 20 Prozent.

Wer ist in Deutschland betroffen?

Die Fluggesellschaft Eurowings hat wegen der Störungen alle innerdeutschen Flüge gestrichen sowie Flüge von und nach Großbritannien mit Abflugzeit bis 15.00 Uhr. Am Berliner Hauptstadtflughafen BER hieß es heute Morgen: Flugbetrieb eingestellt. Zwar gab es laut BER einzelne Abflüge, bis 10 Uhr stand der Flugbetrieb aber nahezu still. Mittlerweile seien die Systeme aber wieder hochgefahren und die Abfertigungen laufen wieder an. Das bestätigte eine Sprecherin des BER gegenüber tagesschau.de. Vereinzelt könne es aber nach wie vor zu Ausfällen kommen, außerdem sei weiterhin mit längeren Wartezeiten zu rechnen.

Zum Urlaubsstart waren auch die An- und Abflüge bei Airlines am Hamburger Flughafen gestört. Die vier Fluggesellschaften Eurowings, Ryanair, Vueling, Turkish Airlines seien in Hamburg betroffen, sagte eine Sprecherin des Flughafens der Nachrichtenagentur dpa. Die Fluggesellschaften würden die Tickets zunächst händisch ausstellen. Die Flughafensysteme würden alle laufen, betonte die Sprecherin.

An mehreren Flughäfen in Baden-Württemberg kam es am Morgen ebenfalls zu Verzögerungen bei der Abfertigung von Passagieren. Weil die Check-In-Systeme nicht funktionierten, müsse am Flughafen Stuttgart und am Baden-Airpark in Rheinmünster der Check-In manuell durchgeführt werden, sagten Sprecher der Flughäfen der dpa. Ähnliche Probleme gab es am Flughafen in Köln: Es komme "zu großen Beeinträchtigungen beim Check-In-Prozess der Airlines", erklärte der Airport. Wie lange die Störung dauere, war zuletzt nicht absehbar. Auch am Flughafen in Düsseldorf gab es Probleme.

Neben Flughäfen sind in Deutschland auch Kliniken von der IT-Panne betroffen: Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein sagte für heute alle geplanten Operationen an ihren Standorten in Kiel und Lübeck ab. Das teilte die Klinik auf ihrer Internetseite mit. Auch die Ambulanzen blieben geschlossen. "Die Versorgung der Patientinnen und Patienten im UKSH ist gesichert, ebenso die Notfallversorgung."

Wie sieht es weltweit aus?

In zahlreichen Ländern - darunter die USA, Spanien, Niederlande, Frankreich, der Schweiz und Indien - wurde der Flugverkehr teils weitgehend eingestellt. In den USA erklärte die Flugaufsichtsbehörde FAA, sie habe wegen Kommunikationsproblemen alle Airlines angewiesen, "alle Flüge, egal mit welchem Ziel" zu stoppen. Die niederländische Fluggesellschaft KLM muss weltweit den Großteil des Betriebs einstellen, so KLM in Amsterdam. Das wichtigste britische Bahnunternehmen meldete ebenfalls IT-Probleme.

Auch Medienunternehmen sind weltweit von den Ausfällen betroffen: Der Fernsehsender Sky News sendete vorübergehend kein Programm und teilte auf einem Standbild mit: "Wir entschuldigen uns für die Unterbrechung dieser Sendung. Wir hoffen, die Übertragung von Sky News in Kürze wiederherstellen zu können." In Frankreich informierte der Bezahlsender Canal+ seine Abonnenten, dass die ordnungsgemäße Ausstrahlung seiner Kanäle verhindert sei. Beim Fernsehsender TF1 sagte ein Moderator im laufenden Programm, dass der Sender nicht alles wie gewohnt ausstrahlen könne. Beispielsweise könnten keine Karten zum Wetterbericht gezeigt werden.

In Australien mussten viele Geschäfte und Apotheken schließen, berichtete die australische ABC. Ebenso waren Radiostationen und Fernsehsender betroffen. Einige australische Radiosender hätten Musik mit CDs und USB-Sticks gesendet, weil die Computer nicht mehr liefen, hieß es.

Auch an den Finanzmärkten sorgt die IT-Panne für Probleme: Bei der London Stock Exchange (LSEG) fiel die Nachrichten- und Datenplattform Workspace weltweit für Kundinnen und Kunden aus, über die auch Reuters-Nachrichten an die Finanzmärkte verbreitet werden. Ein Händler in London sagte, mehrere Handelsplattformen hätten Probleme, sodass einige Kunden nicht handeln könnten. "Wir haben die Mutter aller weltweiten Marktausfälle."

Gab es schon mal solche Ausfälle?

Mit der Konzentration in der Software-Industrie passiert es immer wieder, dass zahlreiche Unternehmen von Problemen bei einzelnen Anbietern getroffen werden.

So war zum Beispiel eine Cyberattacke auf den amerikanischen IT-Dienstleister Kaseya im Jahr 2021 bis nach Schweden zu spüren, wo die Supermarkt-Kette Coop fast alle Läden schließen musste.