Der neue EZB-Chef Mario Draghi im Porträt Ein Mann von preußischem Format
Der Italiener Mario Draghi hat den Vorsitz der Europäischen Zentralbank übernommen. Der 64-Jährige ist Nachfolger des Franzosen Trichet, der nach acht Jahren aus dem Amt schied. Viele halten den Italiener für "den Besten, den Europa hat", einen geldpolitischen Falken und damit Garant für Stabilität und Haushaltsdisziplin.
Von Stefan Troendle, ARD-Hörfunkstudio Rom
Mario Draghi sei schon als Zentralbanker zur Welt gekommen, soll Italiens ehemaliger Premier Romano Prodi einmal gesagt haben. In der Tat: Seine Biographie sieht so aus, als habe er Zeit seines Lebens auf den Job hingearbeitet, den er ab heute übernimmt: Geprägt hat ihn der Besuch einer exklusiven Jesuitenschule in Rom. Draghi erinnert sich: "Das waren exzellente Standards gemeinsam mit der moralischen Botschaft, die den ganzen Tag bestimmte, den man in der Schule verbrachte. Die Botschaft, dass man alles so gut machen musste, wie man konnte. Dass Aufrichtigkeit sehr wichtig ist, und vor allem, dass jeder Einzelne von uns auf irgendeine Weise besonders war."
Ein fähiger Krisenmanager
Ein Klassenkamerad Draghis damals war unter anderem Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo. Danach ging es Schlag auf Schlag: Studium an der berühmten römischen Sapienza, Promotion, Professur in Harvard, Exekutivdirektor bei der Weltbank, Direktor des italienischen Schatzamts und seit fünf Jahren Chef der Banca d’Italia. Als sein Name im Zusammenhang mit dem Amt fiel, das er nun antritt, hieß es zunächst, einem Italiener könne man die Führung der EZB ja wohl nicht anvertrauen. Dabei ist es wohl gerade das Unitalienische, das Draghi ausmacht. Ehrgeizig soll er sein, ein hart arbeitender, scharfer Analytiker und: ein fähiger Krisenmanager, der großen Wert auf Haushaltsdisziplin legt.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy fand im April nur lobende Worte für ihn: "Frankreich ist sehr glücklich, einem Italiener seine Stimme für das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank zu geben: Mario Draghi, den ich gut kenne. Wir unterstützen ihn nicht, weil er Italiener ist, sondern weil er Qualitäten hat, und dann auch, weil er Italiener ist."
Der so ganz nebenbei auch eine Art Euro-Geburtshelfer ist. Fürs italienische Finanzministerium hat Draghi in den 90er-Jahren nämlich auch die Maastricht-Kriterien mit erarbeitet. Aus dieser Zeit stammt einer seine Spitznamen: "Ciampi-Boy". Der spätere Staatspräsident hatte ihn als Berater verpflichtet, als er noch Zentralbank-Chef war. Der andere Spitzname, der sich bei dem Vornamen anbietet, wenn jemand erfolgreich ist, ist bekannter - und abgegriffener: "Super Mario".
Freund deutlicher Worte
Allerdings: Laut "Mamma Mia" rufend, durch die Gegend zu hüpfen, wie das namensgebende Vorbild aus dem Videospiel, ist seine Sache nicht. Ein lässig-dezenter Auftritt und dafür deutlichere Worte schon eher - wie sein Kommentar vergangene Woche zu den angekündigten Reformen der Regierung Berlusconi: "Allerdings muss man diese Reformen auch machen. Und zwar schnell und konkret. Aber machen wir uns nichts vor. Das werden mutige Reformen sein. Und daher ist es wichtig, den schwächeren Teil der Bevölkerung zu schützen, die von diesen Reformen sicher betroffen sein werden."
Ein stärkeres soziales Netz - das ist etwas, wofür sich Draghi immer wieder stark gemacht hat, genauso wie für einen flexibleren Arbeitsmarkt und für Investitionen im ärmeren Süditalien: "Für uns alle ist die Entwicklung des Mezzogiorno wichtig. Die Wirtschaftsdaten des italienischen Südens sind enttäuschend. Der Süden leidet unter dem organisierten Verbrechen, die Organisationen schleichen sich in den öffentlichen Dienst ein, belasten das Vertrauen zwischen den Bürgern, behindern das Funktionieren des freien Marktes und steigern die Kosten des zivilen und wirtschaftlichen Zusammenseins."
Es gibt übrigens auch einen Fleck auf der sonst sauberen Weste: Als Vize bei der Investment-Bank Goldman Sachs war Draghi verantwortlich für die Geschäfte mit Staaten. Die Bank hatte Griechenland geholfen, seine wahren Schulden zu verschleiern. Allerdings hat Draghi mehrfach versichert, damit nichts zu tun gehabt zu haben - und vor dem Wechsel zur italienischen Zentralbank 2006 alle Goldman-Sachs-Anteile verkauft.
Überzeugter Europäer
Draghi ist überzeugter Europäer, blieb auch beim Aufkommen der Griechenland-Krise ein Verteidiger des Euro: "Der Euro hat unglaubliche Vorteile mit sich gebracht. Die meisten davon müssen noch genutzt werden. Diese Vorteile liegen direkt vor uns: Erstens eine außergewöhnliche Stabilität, zweitens die Zinsen. In Italien hat es selten so niedrige Zinsen gegeben."
Die von Italiens Wirtschaftsminister Giulio Tremonti gebetsmühlenartig geforderten Eurobonds lehnt er aber trotzdem ab - genauso übrigens, wie die Politik von Silvio Berlusconi. Seit seiner Ernennung zum EZB-Präsidenten bleibt er zu Italiens Noch-Regierungschef lieber auf Distanz. Der dürfte sich trotzdem darüber freuen, dass Draghi ab heute 1000 Kilometer weiter nördlich sitzt: Der frischgebackene EZB-Chef wurde nämlich immer wieder als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des italienischen Ministerpräsidenten gehandelt - auch wenn er selbst gar keine politischen Ambitionen hatte.