Hohe Energiepreise Habeck fordert auch 2023 Entlastungen
Wirtschaftsminister Habeck geht davon aus, dass angesichts der Gaskrise Bürger auch im kommenden Jahr entlastet werden müssen. Gleichzeitig bekennt er sich klar zur Priorisierung bei der Versorgung in einer akuten Notlage.
Die hohen Energiepreise werden bereits jetzt für viele Haushalte zur finanziellen Belastung - und eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Sorge davor, dass Russland seine Gaslieferungen einstellen und die Krise damit verschärfen könnte, nimmt immer weiter zu. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck drängt deshalb darauf, Verbraucherinnen und Verbraucher auch im kommenden Jahr zu unterstützen.
Die Auswirkungen der Energiekrise bekomme jeder zu spüren, sagte der Grünen-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Selbst Gutverdiener schlucken, wenn sie statt 1500 plötzlich 4500 Euro im Jahr fürs Heizen bezahlen müssen." Und für Bürgerinnen und Bürger mit geringerem oder mittleren Einkommen seien diese Summen "schlicht nicht darstellbar". Darum sei es Aufgabe der Bundesregierung, Entlastungen zu ermöglichen - "und zwar auch 2023".
Um einer drohenden Notlage bei der Gasversorgung entgegenzuwirken, müsse aber bereits jetzt gehandelt werden. Das wiederholt der Bundeswirtschaftsminister schon seit Wochen nahezu gebetsmühlenartig. Zuletzt hatten jedoch Aussagen Habecks in Bezug auf die sogenannte Priorisierung bei der Energieversorgung, sollte das Gas tatsächlich akut knapp werden, für heftige Debatten gesorgt.
Bei einem Besuch in Wien hatte Habeck auf die europäische Notfallverordnung Gas verwiesen, die vorsehe, "dass kritische Infrastruktur und Verbraucher geschützt sind und Industrie und Wirtschaft nicht". Aus seiner Sicht sei das bei kurzfristigen und regionalen Problemen bei der Gasversorgung sinnvoll, doch nun drohe eventuell eine "monatelange Unterbrechung von Gasströmen". Da müsse die EU die eigenen Vorschriften möglicherweise nochmals nachschärfen.
VdK kritisiert Energiesparpflicht als "zynisch"
Die Kritik folgte prompt: Politiker und Verbände warnten davor, den Vorrang von privaten Haushalten bei einer Versorgungsnotlage infrage zu stellen. "An den EU-Regeln, wonach Haushalte, Kliniken und andere kritische Infrastrukturen Vorrang vor der Industrie haben, darf nicht gerüttelt werden, und darüber sollte auch nicht leichtfertig spekuliert werden", schlug nun auch Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" den gleichen Tenor an. Verbraucher und Wirtschaft "gegeneinanderzustellen, ist alles andere als zielführend".
Kontra gab auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK. Nicht nur müssten Privathaushalte bei der Versorgung "an oberster Stelle stehen", es sei auch unsinnig alle Haushalte pauschal zum Energiesparen verpflichten zu wollen. Von Menschen mit geringerem Einkommen oder auch "armen Rentnerinnen und Rentnern" verbindlich zu fordern, Gas einzusparen, "ist zynisch und geht an der Lebensrealität vorbei", sagte Bentele in der "Augsburger Allgemeinen". Eine warme Wohnung und eine warme Mahlzeit dürften keine "Luxusgüter" werden.
Wem es allerdings möglich ist, einen Anteil zum Energiesparen zu leisten, der soll das auch tun - darin stimmen Landkreistag und VdK mit Habeck überein. Und Albrecht von der Hagen vom Verband der Familienunternehmen kann auch das Argument, die Wirtschaft zu schützen, nachvollziehen - denn damit würden auch die Jobs der Menschen in Deutschland bewahrt. Es helfe den Menschen nicht, "wenn sie in sehr warmen Wohnungen leben, aber den Arbeitsplatz verlieren", sagte von der Hagen.
Habeck betont Schutz privater Haushalte
Auch Habeck selbst führte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland erneut an, "dass die Wirtschaft Arbeitsplätze, Einkommen und Güter des täglichen Lebens bereitstellt". Trotzdem bemühte er sich gleichzeitig, seine Aussage in Bezug auf die Priorisierung zu konkretisieren.
"Natürlich sind private Haushalte und kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser, Altenheime, Pflegeeinrichtungen besonders geschützt", so der Minister. Ihm sei es darum gegangen, dass nicht leichtfertig davon gesprochen werden dürfe, die Industrie von der Energieversorgung abzukoppeln.
Und dann folgt er wieder - der Appell, jeder soll beim Energiesparen soweit wie möglich mithelfen: Er hätte ein Problem damit, so Habeck in dem Zeitungsinterview, "wenn jemand in einer Gasmangellage seine Villa und den Pool davor auf 26 Grad heizt - einfach, weil er es bezahlen kann, und sich nicht drum schert, was das für andere, fürs Land bedeutet".
Auch der öffentliche Sektor könne seinen Anteil leisten, sagte Habeck weiter. Etwa, indem in Büros oder öffentlichen Gebäuden nicht mehr so stark oder lange geheizt werde. "In vielen öffentlichen Gebäuden wird von 6 Uhr morgens bis 23 Uhr abends die volle Raumtemperatur bereitgestellt. Ein bisschen weniger wäre in den Randzeiten auch tolerabel", so der Grünen-Politiker.
Eine weitere Option ist für Habeck, in Betrieben, in denen es möglich ist, über Feiertag wie Weihnachten oder Ostern "Betriebsferien zu organisieren, um Heizungsanlagen herunterzufahren, wenn ohnehin die meisten im Urlaub sind".
Giffey pocht auf Sondertreffen von Bund und Ländern
Doch noch ist völlig offen, ob die befürchtete Gasknappheit auch wirklich Realität wird. Ausschlaggebend wird dabei auch sein, ob durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach den derzeit laufenden Wartungsarbeiten wieder russisches Gas fließt oder nicht. Stichtag wäre nach aktuellem Stand der 22. Juli - also der kommende Freitag.
Für den Fall, dass Russland seine Gaslieferungen nach Ende der Wartung nicht wieder in vollem Umfang aufnimmt, forderte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey eine Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz, an der auch die Bundesregierung teilnehmen müsse. Die Gaskrise könne und müsse durch einen "sehr, sehr engen Schulterschluss zwischen Bund und Ländern" bewältigt werden, sagte die SPD-Politikerin der Nachrichtenagentur dpa.
Als eine Option, um eine Notlage bei der Energieversorgung zu vermeiden, steht im Raum, die in Deutschland verbliebenen drei Atomkraftwerke länger als bis zum Jahresende am Netz zu lassen. Diese mögliche Lösung ist allerdings heftig umstritten, auch innerhalb der Ampel-Koalition: die FDP ist dafür, die Grünen sind dagegen und die SPD ist noch unentschlossen.
Scholz: "Wir legen jetzt erst recht los"
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich am Wochenende in einer Videobotschaft zum Thema Energie und stellte klar, dass die Bundesregierung trotz der Energiekrise die Klimaschutzziele nicht infrage stelle. "Dass wir jetzt vorübergehend wegen des brutalen Angriffs Russlands auf die Ukraine manche Kraftwerke nutzen müssen, die wir schon außer Betrieb genommen haben, das ist bitter. Aber es ist nur für sehr kurze Zeit."
Scholz sagte, es werde dafür gesorgt, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien endlich vorankomme. "Wir legen jetzt erst recht los und wollen jetzt erst recht alles tun, um die Klimakrise zu bekämpfen."
(Anm. d. Red.: In einer früheren Version dieses Artikels war ein Zitat missverständlich zugeordnet. Wir haben dies korrigiert)