Schnellladestationen Von 0 auf 100 in fünf Minuten
Am Kamener Kreuz hat einer der größten Schnellladeparks Europas eröffnet. Je nach E-Auto reichen dort wenige Minuten Laden für 100 Kilometer Reichweite. Doch Experten sehen weiter viel Nachholbedarf in der Infrastruktur.
In den vergangenen Jahren hat sich in Sachen Elektromobilität viel getan. Elektroautos erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, die Reichweiten werden immer größer. Doch trotzdem haben viele potenzielle E-Auto-Käufer die Sorge, dass sie nicht weit genug kommen. Das hat eine Umfrage des ADAC unter 400 Fahrerinnen und Fahrern von E-Autos ergeben. Demnach sehen fast 40 Prozent noch Verbesserungspotenzial beim Laden ihrer Autos. Es gibt also eine gewisse Unzufriedenheit und Unsicherheit. Und das, obwohl Ladestationen gerade in großem Tempo ausgebaut werden.
Einer der größten Schnellladestandorte Europas nimmt heute am Kamener Kreuz seinen Betrieb auf. Betreiber EnBW verspricht hier große Leistung. Es gebe so genannte HPC-Ladestecker ("High Power Charging"). Die Ladesäulen könnten die Fahrzeuge mit bis zu 300 Kilowatt Leistung laden, sagt Vertriebschef Timo Sillober, der bei EnBW den Bereich Elektromobilität verantwortet. "Das entspricht der Leistungsaufnahme von durchschnittlich 50 Einfamilienhaushalten und ist ungefähr 30-mal so schnell wie eine typische heimische Wallbox." Wie groß die Ladeleistung dann tatsächlich ist, hänge vom Fahrzeug ab. "Das können bis zu 100 Kilometer Reichweite in fünf Minuten sein", so Sillober.
Am Knotenpunkt der Autobahnen
Das würde bedeuten, dass der Fahrer schon nach einem kurzen Toilettengang und einem Kaffee die Fahrt fortsetzen kann. 52 Ladepunkte gibt es in Kamen. Der Standort wurde bewusst gewählt. Das Kamener Kreuz ist ein Knotenpunkt im Fernverkehr, hier treffen sich die A1 und die A2. Auf der A1 sind im Schnitt täglich rund 110.000 Fahrzeuge unterwegs, auf der A2 etwa 100.000 Autos.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und EnBW-Vorstandschef Frank Mastiaux eröffnen die Station wegen Corona virtuell. Wüst spricht von einem weiteren Meilenstein auf dem Weg zur Mobilität der Zukunft. "Diesen konsequenten Ausbau braucht es, um die Verkehrswende und die Mobilität der Zukunft langfristig erfolgreich zu gestalten - gerade hier im Pendlerland Nordrhein-Westfalen", so Wüst. Mit rund 115.000 zugelassenen reinen Elektroautos liege Nordrhein-Westfalen im Bundesvergleich auf Platz 1. "Jeder zehnte PKW, der in Nordrhein-Westfalen neu zugelassen wird, ist mittlerweile ein rein batterieelektrisches Fahrzeug."
Auch die neue Bundesregierung hat sich in Sachen Elektromobilität viel vorgenommen. Innerhalb von neun Jahren will sie erreichen, dass 30 Mal mehr Elektroautos auf den deutschen Straßen unterwegs sind als heute. Zum 1. Juli 2021 gab es 440.000 E-Autos, bis Ende 2030 sollen es 15 Millionen sein. Laut Bundesverkehrsministerium sind eine Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte bis 2030 das Ziel.
Förderprogramme des Staates
Seit 2015 fördere man im Rahmen der Förderrichtlinie Elektromobilität den Aufbau notwendiger Ladepunkte für geförderte Fahrzeuge; dazu gehören kommunale und gewerbliche Flotten wie Taxis, kleine und mittelständische Unternehmen oder Handwerksunternehmen. 13.000 Ladepunkte seien hier entstanden.
Für den Aufbau von über 30.000 öffentlich zugänglichen Ladepunkten habe die Bundesregierung 300 Millionen Euro investiert. Rund 12.000 dieser Ladepunkte seien davon bereits in Betrieb, so eine Ministeriumssprecherin. Zudem wolle man rund zwei Milliarden Euro in den Ausbau von 1000 Schnelllade-Standorten investieren.
Zu viel Preismacht der großen Anbieter?
Der ADAC-Mobilitätsexperte Roman Suthold sieht die Elektromobilität auf den Straßen aber erst am Anfang, sowohl bei den Zulassungszahlen der Autos als auch beim Ausbau der Ladestationen. Zwar könne man heute schon problemlos größere Strecken zurücklegen. In Urlaubszeiten könne es bei der derzeitigen Infrastruktur aber schon eng werden, wenn an der Autobahn viele E-Auto-Fahrer gleichzeitig laden wollen. Im Westen Deutschlands sei das Netz deutlich besser ausgebaut als im Osten. Der ADAC befürchtet eine zu starke Machtstellung der großen Anbieter im Markt.
Die EnBW AG, die auch die Station im Kamen betreibt, sei großer Vorreiter beim Ausbau. "Wenn Sie einmal die Infrastruktur aufgebaut haben, ist es schwer für andere, reinzukommen. Da kann die Marktmacht einseitig verteilt sein", so Suthold. Aktuell teilten große Anbieter wie EnBW, E.ON und Ionity, ein Joint Venture mehrerer Automobilhersteller, den Markt fast unter sich auf. "Hinzu kommen die Mineralölkonzerne, beispielsweise Shell und Aral. Sie merken, dass die Nachfrage nach Schnellladesäulen steigt."
Wenig Transparenz an der Ladesäule
Das Problem für den Kunden sei, dass die Anbieter dann die Preise bestimmen können. "Im Moment nehmen wir wahr, dass einzelne Anbieter an ihren Säulen von Fremdkunden recht hohe Preise nehmen, teilweise 79 Cent pro Kilowattstunde. Das ist hoch, damit lohnt es sich nicht elektrisch zu fahren", so Suthold. Oft würden die eigenen Kunden bevorzugt, das müsse man genau beobachten.
Der ADAC fordert für alle Kunden einheitliche Preise einer Ladesäule, so wie man es von der Tankstelle kenne. Es gebe aber kaum Transparenz, oft bevorzugten Unternehmen an ihren Ladesäulen eigene Kunden. Für Fremdkunden fielen Roaming-Gebühren an, die Kunden oft nicht auf dem Schirm hätten. 22 Prozent der Nutzer beklagen sich in der ADAC-Umfrage über mangelnde Transparenz.
Betreiber will Ladenetz massiv ausbauen
EnBW verspricht seinen Kunden, dass sie am neuen Standort in Kamen ihre Autos zu den gewohnten Tarifen laden können. Das Schnellladen koste im Standardtarif 55 Cent pro Kilowattstunde, im Viellader-Tarif 46 Cent, so Sillober. Kunden anderer Mobilitätsanbieter könnten zu deren jeweiligen Konditionen laden.
Die EnBW betreibt aktuell das größte öffentliche Schnellladenetz. Bis 2025 sollen 2500 Schnellladestandorte entstehen; das wären dann nach Angaben des Unternehmens mehr Standorte, als die größten Mineralölunternehmen in Deutschland jeweils Tankstellen betreiben. Jedes Jahr will EnBW dafür 100 Millionen Euro investieren.
Der ADAC fordert einen weiteren kontinuierliche Ausbau des Ladenetzes. "Wenn die Bundesregierung bis 2030 eine Million Ladepunkte haben will, dann muss sie jetzt Gas geben, damit sie das schafft", sagt Mobilitätsexperte Suthold. Allerdings habe es auch der Kunde mit in der Hand: "Es kommt klar darauf an, ob die Nachfrage nach E-Autos weiter so boomt. Nur dann wird auch der Ausbau der Ladestationen weiter vorankommen."