Krise der Eurozone Der Sparwille lässt nach
Griechenland rauscht tiefer in die roten Zahlen als erwartet - und zeigt nach Ansicht der Troika wenig Reue. Italien verwässert seine Sparpläne - und setzt auf Luftbuchungen. Besorgniserregende Nachrichten für die Stabilität des Euro. EZB und EU versuchen gegenzusteuern.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Griechenland stürzt weiter ab, die Sorge um Italiens mangelnde Sparbereitschaft wächst, die europäischen Banken steuern auf eine neue Krise zu - an vielen Fronten lodert das Feuer in Euroland: Griechenland werde es trotz der europäischen Hilfspakete nicht schaffen - diese Angst wächst, genährt durch Hiobsbotschaften aus Athen.
So verkündete Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos im Radio: "Zu Beginn der Sparprogramme sind wir davon ausgegangen, dass unsere Wirtschaft dieses Jahr um etwa 3,5 Prozent schrumpft. Unsere neueste Schätzung geht nun von einem Minus von mehr als 4,5 Prozent aus. Und wir müssen schauen, wo das noch hingeht."
Bockiges Sorgenkind
Auf jeden Fall wird es dahin gehen, dass die Griechen das mit der EU vereinbarte Sparziel auch in diesem Jahr verfehlen werden. Für zusätzliche Unruhe sorgte jetzt die Nachricht, dass die sogenannte Troika aus Athen abgereist ist. Die Experten von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds sollen prüfen, ob die griechische Regierung die gemachten Zusagen erfüllt. Berichten zufolge sollen die Troika-Experten weitere Einsparungen gefordert haben, was von der Athener Regierung abgelehnt wurde.
Finanzminister Venizelos dementierte umgehend, auch die EU-Kommission versuchte abzuwiegeln. "Die Prüfkommission hat schon gute Fortschritte gemacht", verlas der Sprecher von EU-Finanzkommissar Olli Rehn eine offizielle Erklärung, "aber sie hat Athen vorübergehend verlassen, um der Regierung Zeit zu lassen, technische Arbeiten am neuen Haushaltsplan abzuschließen."
Erneuter Wettlauf mit der Zeit
In zehn Tagen sollen die Verhandlungen fortgesetzt werden. Und dann beginnt wieder ein Wettlauf mit der Zeit. Denn eine positive Bewertung der Experten ist die Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Tranche der Hilfskredite. Ende des Monats sollen eigentlich weitere acht Milliarden Euro an Athen überwiesen werden. Viel später darf es nicht werden, sonst droht das Land zahlungsunfähig zu werden.
Die Zeit läuft auch in Italien davon. Vor einem Monat hatte ein starker Anstieg der Strafzinsen für italienische Staatsanleihen an den Märkten für Panik gesorgt. Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte daraufhin zusätzliche Sparmaßnahmen angekündigt, die in Brüssel und anderswo viel Lob gefunden hatten. Inzwischen hat die Berlusconi-Koalition aber den Rückwärtsgang eingelegt. Insbesondere die anvisierte Reichensteuer und ein Teil der Rentenreform sind vom Tisch. Stattdessen setzt man die Hoffnungen auf Mehreinnahmen durch ein konsequenteres Vorgehen gegen Steuersünder.
Ohrfeigen für Berlusconi
Das sei aber eine reine Luftbuchung, hieß es dazu in äußerst ungewöhnlicher Deutlichkeit in Brüssel. So betonte ein Sprecher: "Wir sind besorgt, dass man sich so sehr auf die Bekämpfung der Steuerhinterziehung verlässt. Wie jeder weiß, lässt sich die Wirkung solcher Maßnahmen nur sehr schwer beurteilen." Und das ist nicht die einzige Ohrfeige für Berlusconi in diesen Tagen. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet und sein designierter Nachfolger Mario Draghi, der selbst Italiener ist, haben einen Brief nach Rom geschickt und Berlusconi zu sofortigem Sparen und zu Strukturreformen aufgefordert, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurück zu gewinnen. Das sei extrem wichtig.
Die EZB hatte Italien Anfang August durch Anleihekäufe geholfen, die Zinslast wieder zu lindern. Die Sorge der europäischen Finanzpolitiker ist verständlich. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Viel zu groß, als dass das Land im Notfall vom Euro-Rettungsschirm aufgefangen werden könnte.
Kurse der Staatsanleihen purzeln
Und mehr noch: Die zunehmenden Zweifel der Märkte an der Fähigkeit Italiens und der anderen Euro-Problemstaaten, ihre Schulden zu bedienen, lässt die Kurse der Staatsanleihen purzeln. Und das wiederum bringt die europäischen Banken in Schwierigkeiten. Die haben solche Anleihen in dreistelliger Milliardenhöhe in ihren Büchern. Die IWF warnt vor einem riesigen Kapitalloch bei europäischen Instituten. Und nun hat erstmals auch ein Mitglied des EZB-Rates diese Sorgen bestätigt. Der belgische Notenbankchef Luc Coene sagte, dass man sich auf eine Kreditklemme wie in den Jahren der Weltfinanzkrise zubewege.