Kolumne Euroschau Wann endet die lockere Geldpolitik?
EZB-Chef Draghi hält trotz fortwährender Kritik an seinem Kurs der lockeren Geldpolitik fest. Sein Argument: Die Inflationsrate im Euroraum sei noch immer zu niedrig. Die Frage ist, wie lange das noch gut geht.
Es war früh, es war kühl, und auf dem Schreibtisch seines Büros oben in der 40. Etage des Frankfurter Eurotowers lag genug Arbeit. Doch für EZB-Präsident Mario Draghi war es eine willkommene Gelegenheit, endlich ein Machtwort zu sprechen. So nutzte er die Konferenz der "EZB-Beobachter" in den Räumen der Frankfurter Goethe-Uni für den Versuch, eine ungeliebte Debatte endlich im Keim zu ersticken.
Wochenlang hatten Mitglieder des eigenen Direktoriums und des EZB-Rates bei jeder nur passenden und unpassenden Gelegenheit darüber spekuliert, ob, wann und wie die EZB aus der lockeren Geldpolitik aussteigt. Denn der Druck von allen Seiten wird immer stärker: Banken attackieren offen die Währungshüter, weil die Geldpolitik ihr Geschäftsmodell verhagelt. Sparer sind verärgert, weil sie keine Zinsen mehr bekommen und ihre Rücklagen entwertet werden. Versicherungen und Pensionskassen können versprochene Gewinne nicht mehr erwirtschaften und geraten ins Schlingern. Immobilien- und Aktienmärkte steuern auf neue Blasen zu.
Neuer Spielraum durch wirtschaftliche Erholung?
Langsam gewinnen geldpolitische Falken wieder an Macht: Wann soll die Änderung kommen, wenn nicht jetzt? Die deutliche Wirtschafts-Erholung in vielen Ländern des Euroraumes und wieder anziehende Inflationsraten ließen doch Spielraum, die Politik des lockeren Geldes langsam zu beenden, so ihre Haltung.
Für Mario Draghi, den exponierten Vertreter geldpolitischer Tauben, ist diese Debatte ein rotes Tuch. Er will davon nichts hören und hält sie für verfrüht. In Frankfurt machte er deutlich, dass seine Geldpolitik wirke und die Erholung auf gutem Weg sei. Doch für ein Ende der Medizin gebe es keinen Grund. Die Risiken seien weiterhin hoch.
Draghi fürchtet zu frühen Ausstieg aus lockerer Geldpolitik
Den Präsidenten plagt die Sorge, dass ein zu früher Ausstieg immensen Schaden anrichtet - Schaden, der mit den jetzigen Mitteln nicht zu reparieren ist und dann noch weit größerer Anstrengungen bedarf. Jahrelang dokterte die EZB an der Gesundung des Euroraumes herum. Sie warf ein Tabu nach dem anderen über Bord, änderte Struktur, Rolle und Bedeutung der Institution, fand sich im ständigen Streit mit Widersachern, musste vor Gericht ziehen und ergriff Maßnahmen, die früher ins Gruselkabinett moderner Geldpolitik gehörten.
Jetzt endlich ist Land in Sicht: Es gibt Erfolge bei Konjunkturentwicklung und Inflation. Aber der durchschlagende, dauerhafte Durchbruch lässt auf sich warten. Den sich nehmen zu lassen oder zu gefährden, dazu ist Draghi nicht bereit. Und deshalb heißt es: weiter so.
Draghi: Inflation muss erst auf zwei Prozent steigen
Die wichtigsten Voraussetzungen für die geldpolitische Wende hatte Draghi schon vor ein paar Monaten formuliert. Danach müsse die Inflation im Euroraum wieder die Zwei-Prozent-Marke erreichen - und zwar dauerhaft, ohne die Hilfsmaßnahmen und in allen Mitgliedsstaaten. Nichts davon ist bisher erreicht.
Tatsächlich hat die Inflationsrate nach einem kräftigen Schub zum Anfang des Jahres sogar wieder abgenommen. Sie lag im März bei 1,5 Prozent im Euroraum. Das ist nicht schlecht, aber eben entfernt vom angepeilten Ziel von zwei Prozent. Ohne Stützungsmaßnahmen wäre sie wohl noch niedriger. Und es gibt noch viele Euro-Staaten, in denen die Rate deutlich niedriger ist.
Kerninflation noch immer niedrig
Doch Draghi geht noch weiter: Eine steigende Inflation ist in der Regel ein Zeichen für eine anziehende Konjunktur. Wie wenig aber der jetzige Preisschub durch die wirtschaftliche Erholung bedingt ist, zeigt der Blick auf die Kerninflation: Rechnet man die Preissteigerungen durch Energie und Lebensmittel aus der Inflationsrate heraus, tut sich relativ wenig. Schon seit Mitte 2013 verharrt diese Kerninflation bei etwa 0,9 Prozent. Das ist weit entfernt von Daten aus früheren Zeiten. Wenn die EZB aber einen durchschlagenden Erfolg vermelden will, muss sich auch die Kerninflation deutlich nach oben bewegen.
Verständlich die Argumentation von Draghi und Anhängern, die sich nicht um die Früchte ihrer Politik bringen lassen wollen. Verständlich aber auch die Gegenargumente der Kritiker. Denn welchen Sinn hat es, wenn die Gesamt-Inflation nachhaltig wieder bei zwei Prozent ist, im schlimmsten Fall aber die Ersparnisse der Bevölkerung kaum noch Wert haben, ihre Aufwendungen für die Altersvorsorge in Scherben liegen und Immobilien- und Aktienblasen das Fundament für die nächste Krise bilden?
"EZB muss Weg aus Dilemma finden"
Die EZB wird um diese Diskussion nicht herumkommen und kann sie auch nicht unterdrücken. In den nächsten Monaten muss sie Wege aufzeigen, einen verträglichen Weg aus diesem Dilemma zu finden. Denn die Unzufriedenheit mit der Geldpolitik, auch ein Element der Europa-Verdrossenheit, wird immer stärker.
Das weiß auch Jens Weidmann, der Bundesbank-Präsident und mögliche Nachfolger von Mario Draghi. Nur wenige Stunden nach den Ausführungen des EZB-Präsidenten in Frankfurt widersprach Weidmann auf einer Konferenz in Berlin, wenn auch diplomatisch: Angesichts der robusten wirtschaftlichen Erholung und eines zunehmenden Preisdrucks sei die Diskussion über eine Normalisierung der Geldpolitik durchaus legitim.