Kolumne Euroschau Billiges Geld macht schleichend ärmer
In normalen Zeiten würde eine Notenbank mit Zinssenkungen versuchen, die Konjunktur in der Eurozone anzukurbeln. Doch die Zeiten sind nicht normal. Die EZB senkte daher den Leitzins nicht weiter. Für die Bürger ist das gut, denn die Politik des billigen Geldes macht sie schleichend ärmer.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Mit Unbehagen schaut EZB-Präsident Mario Draghi derzeit auf Unterlagen, die aus seiner volkswirtschaftlichen Abteilung kommen. In dieser Woche wird er die Konjunkturprognose seines Hauses für 2013/14 präsentieren. Die sieht alles andere als rosig aus. Überall in Europa verdüstern sich die Aussichten: Rückläufige Binnenmärkte, weniger Investitionen der Unternehmen und eine drastisch steigende Arbeitslosigkeit lähmen vor allem in den südeuropäischen Krisenstaaten die Konjunktur. Nach den ursprünglichen Einschätzungen der Währungshüter sollte die Wirtschaft in der Eurozone im kommenden Jahr immerhin um 0,5 Prozent wachsen. Doch das ist längst Makulatur. Nun sind kräftige Minuszeichen eher wahrscheinlich.
Niedrige Zinsen, billige Kredite
In normalen Zeiten würde eine Notenbank die Zinsen senken, um die Konjunktur wieder anzukurbeln, zumal auch die Inflation leicht rückläufig ist. Niedrige Zinsen bedeuten billigere Kredite und damit günstigere Finanzierungsmöglichkeiten für die Unternehmen. Gleichzeitig sinkt bei den Verbrauchern der Anreiz zum Sparen und es steigt die Motivation zum Geld ausgeben.
Doch wir leben nicht in normalen Zeiten. Schon vor Wochen musste Draghi zugeben, dass die Geldpolitik im Zuge der Eurokrise ihre Wirkungen auf die Real-Wirtschaft verfehlt. Kein Unternehmer in Spanien etwa wird auch nur einen Euro mehr investieren, wenn die Zinsen weiter sinken. Denn es gibt keinen Anlass zur Hoffnung, dass er die mit billigem Geld produzierten Waren in der gegenwärtigen Situation auch absetzt.
Mehr Lebensversicherungs-Verträge als Bundesbürger
So dürfte auf der EZB-Ratssitzung in dieser Woche wenig passieren und der Leitzins von gegenwärtig 0,75 Prozent nicht weiter fallen. Das ist auch gut so. Denn für die meisten Verbraucher hat die Politik des billigen Geldes mittlerweile fatale Folgen: Weil die Guthaben-Zinsen für das Ersparte deutlich unter der Inflationsrate liegen, werden die Bürgerinnen und Bürger schon jetzt schleichend jeden Tag etwas ärmer. Zunehmend gerät auch ihre Altersvorsorge in Gefahr.
Jahrelang wurde vor allem den Deutschen gepredigt, sie müssten sich privat für die Zukunft absichern. Die Assekuranz machte mit Kapital-Lebensversicherungen und Riester-Renten das große Geschäft. Heute gibt es in Deutschland mehr Lebensversicherungs-Verträge als Bundesbürger. Doch die großen Versprechungen von üppigen Überschuss-Beteiligungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.
Kaum noch Rendite
Auch Versicherer müssen ihre Gewinne erwirtschaften. Ihnen wurde vorgeworfen, zu risikoreich zu sein, weshalb sie ihre Aktienquoten heuruntergefahren haben. Doch mit den lange Zeit als sicher geltenden festverzinslichen Papieren ist kaum noch Rendite zu holen. Die versprochenen Gewinne können nicht mehr erwirtschaftet werden. Beobachter schließen künftige Schieflagen kleinerer Anbieter nicht mehr aus.
Kein Wunder, dass der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft keine Chance ungenutzt lässt, der Branche mehr Spielraum zu verschaffen. So ist der Garantiezins auf Drängen der Versicherungs-Lobby von 4,00 Prozent im Jahr 2000 auf nur noch 1,75 Prozent gesunken. Dies ist der Zinssatz, den die Versicherungen beim Ablauf einer Kapitallebensversicherung auf jeden Fall ausschütten müssen. Jetzt macht die Bundesregierung mit einer Gesetzesnovelle den Weg für weitere Kürzungen der Versicherungsleistungen frei. Sie hat zur Folge, dass die Auszahlung vieler Versicherungsverträge um bis zu zehn Prozent gekürzt wird.
Gefährliche Niedrigzins-Politik
Im Kern führt die Niedrigzins-Politik der EZB und die dadurch ausgelöste Regierungspolitik zu einer teilweisen Enteignung der Verbraucher durch die kalte Küche. Ihre Versicherungsverträge werden oftmals zum Verlustgeschäft, die Altersvorsorge schrumpft beträchtlich. Denn nicht nur Versicherungen, auch Pensionskassen können ihre Überschüsse wegen der niedrigen Zinsen nicht mehr erwirtschaften. Anders als in der Assekuranz sind nicht alle Pensionskassen durch einen Sicherungsfonds geschützt.
So zahlen die Bürgerinnen und Bürger die Eurokrise mit deutlich sinkenden Altersbezügen, während die Investoren an den Finanzmärkten das billige Geld nutzen, um wieder das große Rad zu drehen. Wie in allen Phasen dieser Finanz- und Eurokrise werden die Verursacher der Probleme geschont, die Unbeteiligten geschröpft.
Grundlage für die nächste Krise
Hinzu kommt, dass die Niedrigzins-Politik der EZB bereits die Grundlagen für die nächste Krise legt. In Deutschland etwa gibt es derzeit eine Kapitalflucht in Immobilien. Die wird nicht nur durch die Angst genährt, dass der Euro kollabieren könnte, sondern eben auch, weil die Renditen wegen der Niedrigzins-Politik in anderen Anlageformen zu gering sind. Eine Überhitzung auf dem Häuser-Markt - eine Immobilien-Blase - war es aber, die die Finanzkrise in den USA und die Bankenkrise in Spanien ausgelöst hat.
In der EZB kennt man diese Zusammenhänge nur zu gut. Doch eine Änderung der Geldpolitik ist auch im Ansatz nicht in Sicht. Obwohl es langsam angebracht wäre, das Zinsniveau wieder zu straffen, werden die Währungshüter es kaum wagen, die Leitzinsen anzuheben. Denn sofort würden die Finanzmärkte verrückt spielen. Die trügerische Ruhe, die man sich mit Niedrigzins-Politik und dem angekündigten Ankaufprogramm für Staatsanleihen teuer erkauft hat, will keiner gefährden. Schon gar nicht vor Weihnachten.
Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft