Immer weniger Börsengänge Unternehmen fremdeln mit dem Parkett
In diesem Jahr ist der Markt für Börsengänge fast zum Erliegen gekommen. Immer weniger Firmen trauen sich diesen Schritt zu. Andere Strategien sind aussichtsreicher.
Es herrscht Flaute an den Börsen, wenn es um Börsengänge geht. Immer weniger Unternehmen trauen sich ein Debüt zu. Ein weltweites Phänomen, doch in Deutschland gilt es ganz besonders. Die letzten beiden erfolgreichen Börsengänge - des Autoherstellers Porsche und des Rüstungskonzerns Renk - liegen Monate beziehungsweise schon fast zwei Jahre zurück, und der bisher letzte wirklich große der Einzelhandelskette Douglas floppte. Das war Ende März dieses Jahres.
Trotz guter Börsenstimmung und damit guter Einnahme-Aussichten zieren sich die Börsenneulinge. Für Christoph Schallast, Professor an der Privatuniversität Frankfurt School, ist das kein Widerspruch: "Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass Börsengänge eine gewisse Vorbereitung brauchen, mindestens sechs Monate", so Schallast. "Angesichts einer Zeit der Multikrisen ist es schwer vorauszusagen, ob wieder was passiert, und es ist sehr schwer, ein Fenster der Gelegenheit zu finden." Innerhalb weniger Stunden kann die Nachrichtenlage eine vermeintlich gute Gelegenheit in ihr Gegenteil verkehren.
Unternehmen mit "Doppelstrategie"
Die unsicheren Zeiten sind ein Grund, weshalb sich Unternehmen zunehmend zurückhalten. Immer mehr fahren auch eine Doppelstrategie. Das heißt: Der Börsengang ist nicht mehr unbedingt die erste Wahl. "Man schaut, wo der beste Preis, wo die beste Bewertung herauskommt, und dann kann es entweder der Börsengang werden oder eben der Verkauf an einen strategischen Investor", erklärt Schallast. "Man hat also Alternativen, das ist strategisch richtig." Allerdings sei dann eben auch der Börsengang nur eine Möglichkeit von vielen.
Sunrise Medical hat sich so gegen die Börse entschieden. Der Arzneimittelhersteller Stada verfolgt den Angaben der Frankfurt School zufolge ebenfalls eine Doppel-Strategie. Ein Börsengang ist aber nicht ausgeschlossen. Und wenn dann die Entscheidung fällt, bleibt noch die Wahl des Standorts. Hier hat oft die Wall Street die Nase vorn. Der Impfstoffhersteller BioNTech gab New York gegenüber Frankfurt ebenso den Vorzug wie der Sandalenhersteller Birkenstock.
"Wir haben in Deutschland immer noch einen Mangel an Aktienkultur", sagt Stefan Riße vom Vermögensverwalter Acatis. "Die Amerikaner haben eine ganz andere Aktienkultur. Die sparen in Aktien, und das schon seit vielen Jahrzehnten."
Meist fallen Papiere unter den Ausgabekurs
Trotz aller Unsicherheiten stehen noch einige Unternehmen in den Startlöchern. Neben Stada liebäugeln noch der chinesische Versandhändler Shein, das Softwareunternehmen Databricks, der Mobilitätsdiensteister DKV Mobility und das Reiseunternehmen Flix mit einem Börsengang.
Sie könnten für Glamour und Partystimmung auf dem Parkett sorgen, wenn auch nicht unbedingt in den Depots. Die allermeisten Aktien von Börsendebütanten der jüngeren Vergangenheit sind unter ihren Ausgabekurs gefallen. Selbst Porsche-Papiere - inzwischen sogar in den DAX aufgestiegen - kosten heute deutlich weniger als zum Einstandskurs.
In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, die DKV Deutsche Krankenversicherung erwäge einen Börsengang. Tatsächlich gilt dies für den Mobilitätsdiensteister DKV Mobility. Diesen Fehler haben wir korrigiert.
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