Credit Suisse Bank in Zürich
Interview

Turbulenzen an den Börsen "Die Bankenkrise findet in den Köpfen statt"

Stand: 16.03.2023 14:21 Uhr

Der Schweizer Vermögensverwalter Mojmir Hlinka erklärt im Interview mit tagesschau.de die psychologischen Mechanismen hinter der Bankenkrise. Er ist überzeugt: Die Notenbanken haben seit der Lehman-Pleite dazugelernt.

tagesschau.de: Herr Hlinka, die Credit Suisse hat die Finanzmärkte ganz schön in Atem gehalten. Ist nach der Rettungsaktion der Schweizerischen Nationalbank SNB die Krise bei der Credit Suisse jetzt gebannt?

Mojmir Hlinka: Die ärgsten Risiken bei der Credit Suisse sind für erste gebannt. Wobei es wichtig ist zu betonen, dass die CS nicht das unschuldige Opfer einer globalen Bankenkrise geworden ist. Die hausgemachten Probleme bei der CS waren schon lange bekannt. Die Credit Suisse ist selbstverschuldet in diese prekäre Lage geraten, aus der sie gerettet werden musste. Das war in erster Linie ein Versagen des Managements, nicht des Marktes.

Mojmir Hlinka
Zur Person

Mojmir Hlinka ist CEO des unabhängigen Schweizer Finanzberaters und Vermögensverwalters AGFIF International und Experte für Behavioral Finance. Diese Fachrichtung der Ökonomie beschäftigt sich mit den unbewussten Verhaltenstendenzen von Anlegerinnen und Anlegern, also mit der Psychologie hinter dem Marktgeschehen.

"Too big to fail"

tagesschau.de: Wie wichtig war das Einschreiten der SNB, wie brenzlig war die Situation?

Hlinka: Das beherzte Einschreiten der Schweizer Zentralbank hat dem Markt sehr viel Schmerz erspart. Die SNB ist eine Institution, die sehr glaubhaft ist und an den Märkten großes Vertrauen genießt. Dadurch, dass sie so früh aktiv geworden ist, bevor ein allzu großer Schaden entstanden ist, hat die SNB den Märkten definitiv etwas Ruhe gebracht.

tagesschau.de: Die Credit Suisse gilt als "too big to fail", also als zu bedeutend für die globalen Finanzmärkte, um sie Pleite gehen zu lassen. Welche Folgen hätte denn ein Ruin der Bank?

Hlinka: Die Schweizer Nationalbank hat deshalb so beherzt agiert, weil sie die Frage der Systemrelevanz bei der Credit Suisse ganz klar mit ja beantwortet. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert - das ist der Weg, der im Falle der CS unbestritten gegangen werden musste. Ein unkontrollierter Kollaps der CS hätte definitiv gewaltige Kreise gezogen und zahlreiche Institute mit in den Abgrund gezogen. Die globale Ansteckungsgefahr ist im Fall der Credit Suisse enorm groß. Das ist denn auch der große Unterschied etwa zur Silicon Valley Bank, die nicht so stark vernetzt ist im weltweiten Finanzsystem.

"Rational kein Grund zur Panik"

tagesschau.de: Sie sind Experte für Behavioral Finance. Wenn sie die jüngsten Verwerfungen an den Finanzmärkten Revue passieren lassen, welche psychologischen Mechanismen sind da am Werk gewesen?

Hlinka: In erster Linie dürften die Marktreaktionen auf den so genannten Verfügbarkeitsfehler ("availability bias") zurückzuführen sein. Dieser führt dazu, dass wir für unsere Entscheidungen vor allem diejenigen Informationen heranziehen, die besonders leicht verfügbar sind. Viele Privatanleger lassen sich in ihren Investitionsentscheidungen von der Berichterstattung in den Medien beeinflussen.

Und alle Medien, auch Boulevardblätter und andere, die sonst nie über Finanzthemen berichten, sprachen plötzlich von einer globalen Bankenkrise à la Lehman. Tatsächlich gab es rational betrachtet aber gar keinen Grund zur Panik. Die Bankenkrise ist momentan mehr in den Köpfen der Anleger, denn eine reale Gefahr. Doch panische Verkäufe der Anleger haben wiederum durchaus das Zeug dazu, den Markt und damit letztlich die Unternehmen und die Wirtschaft in eine echte Krise zu stürzen.

tagesschau.de: Wohin eine Vertrauenskrise an den Märkten führen kann, hat man in der Finanzkrise gesehen. Auch jetzt scheinen die Anleger wieder begonnen zu haben, mit dem Finger auf einzelne Banken zu zeigen. Sehen Sie Parallelen zu 2008 oder auch zur Savings-and-Loan-Krise in den 1980-er Jahren?

Hlinka: Die Parallelen zu früheren Bankenkrisen liegen auf der Hand. Vor allem die Reaktionen der Märkte ähneln sich. Wie 2008 haben die Probleme der Credit Suisse bei den Kreditausfallversicherungen begonnen, den Credit Default Swaps (CDS). Die Versicherungskosten für das Zahlungsausfallrisiko der Credit Suisse waren extrem in die Höhe geschnellt, sogar stärker noch als in der Finanzkrise. Es ist also wieder einmal in erster Linie ein Vertrauensproblem; die Anleger vertrauten der CS nicht mehr und bereiteten sich bereits auf einen Konkurs vor.

Die richtigen Schlüsse gezogen?

tagesschau.de: Haben wir aus den damaligen Krisen gelernt? Sind die Finanzmärkte seither sicherer geworden?

Hlinka: Für den Moment scheint es, als ob die Notenbanken aus Lehman die richtigen Schlüsse gezogen haben. Sie haben gelernt, dass die Marktpsychologie immens wichtig ist. Sie haben gelernt, wie wichtig es ist, früh einzugreifen und Stabilität zu erzeugen. Nur so kann eine Kettenreaktion, ein Dominoeffekt, an den Märkten vermieden werden, sodass eine echte Panik gar nicht erst entsteht. Denn die lässt sich nur schwer kontrollieren und wieder einfangen.

Deswegen war es so wichtig, dass die US-Regierung sofort ein Netz über die Silicon Valley Bank gespannt und die SNB bei der Credit Suisse unverzüglich Maßnahmen ergriffen hat. Das waren ganz wichtige Schritte, die das Vertrauen der Anleger gestärkt haben nach dem Motto: Die Notenbanken und Regierungen bekommen die Probleme schon in den Griff.

Warnung vor weiteren Zinserhöhungen

tagesschau.de: Die Pleite der Silicon Valley Bank und anderer kleiner US-Institute hat die Nervosität an den Finanzmärkten ja überhaupt erst ausgelöst. Wie konnte es so weit kommen?

Hlinka: Jeder hatte zu Beginn des Jahres von einer übertriebenen Rally gesprochen. Mittlerweile hat sich die Jahresanfangsrally komplett in Luft aufgelöst. Die Probleme bei einzelnen US-Banken waren für viele Anleger offenbar eine willkommene Ausrede, um sich aus dem Markt zurückzuziehen. Dabei hat die Silicon Valley Bank ein sehr spezielles Geschäftsmodell, das nicht auf andere große Institute übertragbar ist. Generell scheint der Markt aber überhaupt nicht mehr in der Lage, diese völlig überzogenen Zinsanhebungen der Notenbanken zu kompensieren. Der Markt hat nicht gelernt, mit einem Zinsanstieg von solch historischen Dimensionen umzugehen.

tagesschau.de: Warum sind die Zinsanhebungen der Notenbanken Ihrer Meinung nach nicht zielführend?

Hlinka: Corona und der Ukraine-Krieg waren der Grund für die Explosion der Inflationsraten. Mittlerweile hat sich die Lage aber völlig geändert: Wir haben Corona hinter uns und die Energiepreise sind massiv gefallen. Allein der Basiseffekt, also der Vergleich mit den hohen Inflationsraten des Vorjahres, dürfte in den kommenden Monaten dafür sorgen, dass wir schon bald eher über die Gefahr der Deflation, also sinkender Preise, reden werden, denn über die Risiken der Inflation. Vor allem in den USA wird es höchste Zeit, eine Zinspause einzulegen.

Überreaktion trifft Banktitel

tagesschau.de: Hierzulande wurden auch die Commerzbank und Deutsche Bank in Sippenhaft genommen, die Aktien sind in den vergangenen Tagen zweistellig eingebrochen. Handelt es sich dabei um eine Überreaktion des Marktes?

Hlinka: Absolut. Alles, was nur noch Bank gerochen hat, wurde abverkauft. Für den Moment sind die deutschen Institute sehr gut aufgestellt. Wenn am Markt die Rationalität wieder zurückkehrt, werden die Anleger auch wieder deutlicher unterscheiden zwischen problembehafteten und solide aufgestellten Banken. Wobei es die europäischen Banken im Gegensatz zu den US-amerikanischen Instituten ganz klar versäumt haben, im Niedrigzinsumfeld Geld zu verdienen. Anleger, die Wert auf Substanz und Dividende legen, werden hier nicht fündig. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir selbst nicht in Banken investiert waren und sind.

tagesschau.de: An der Börse gibt es das Sprichwort: Kaufen, wenn die Kanonen donnern. Sehen Sie für mutige Anleger jetzt schon wieder Einstiegschancen, oder ist es dafür noch zu früh?

Hlinka: Wir sind da durchaus vorsichtig, denn die vier teuersten Worte an der Börse lauten: "Diesmal ist alles anders". Auch wenn wir aktuell keinen Lehman-Moment an den Märkten sehen, ist die Volatilität doch so immens hoch, dass man schnell auf dem falschen Fuß erwischt werden kann. Deswegen ist es nicht die Zeit, um blind auf den Kaufknopf zu drücken. Aktien von Unternehmen mit hoher Qualität kann man bei Rückschlägen aber durchaus kaufen. Ich gehe fest davon aus, dass die Aktienmärkte Ende des Jahres deutlich höher stehen werden als jetzt.

Das Interview führte Angela Göpfert, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 16. März 2023 tagesschau24 um 10:00 Uhr und die tagesschau um 12:00 Uhr.