US-Börsen im Minus Zinsängste wieder auf der Agenda
Ungewöhnlich robuste Konjunkturdaten haben neue Zinssorgen an der Wall Street befeuert. Denn für die Notenbank Federal Reserve könnten sie ein Signal sein, die geldpolitischen Zügel straffer anzuziehen.
Neue Konjunkturdaten lasteten auf den US-Aktienmärkten, die zum Handelsstart noch mit moderaten Gewinnen in den Tag gingen. Mit der guten Laune war es aber schnell vorbei, denn der Index für die Konsumlaune der US-Verbraucher stieg im August überraschend deutlich, während die mit 11,239 Millionen unerwartet hohe Zahl der offenen Stellen im Juli auf einen anhaltenden Arbeitskräftemangel hindeutet.
Die neuen Wirtschaftsdaten schürten umgehend Ängste, dass die Notenbank Fed in ihrem Kampf gegen eine Lohn-Preis-Spirale die US-Konjunktur mit drastischen Zinserhöhungen in eine Rezession stürzt. Fed-Chef Jerome Powell hatte die Finanzmärkte am Freitag bereits auf eine längere Serie deutlicher Anhebungen eingestimmt. "Die Botschaft war eindeutig", sagte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. "Die Geldpolitik ist derzeit eine Einbahnstraße."
Der Leitindex Dow Jones schloss am Ende bei 31.790 Punkten um 0,96 Prozent im Minus, das Tageshoch lag im frühen Geschäft noch bei 32.205 Punkten über 400 Zähler höher. Die Technologiebörse Nasdaq verzeichnete derweil einen weiteren Verlusttag, zum Handelsschluss lag das Minus bei 1,13 Prozent, der Auswahlindex Nasdaq 100 gab in der gleichen Größenordnung nach. Der marktbreite S&P-500-Index ging bei 3986 Zählern aus dem Handel und fiel damit unter die Marke von 4000 Punkten, ein Tagesverlust von 1,1 Prozent.
"Wir bewegen uns in einem Umfeld, in dem schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind", sagte Jeff Buchbinder, Chef-Anlagestratege für Aktien beim Vermögensverwalter LPL. Daher müsse kurzfristig mit größeren Kursschwankungen gerechnet werden, je nachdem, wie die Konjunkturdaten ausfielen.
Bei den Unternehmen rückten chinesische Unternehmen ins Rampenlicht. Insidern zufolge haben sich die US-Behörden den Online-Händler Alibaba und einige andere, bislang unbekannte Unternehmen herausgepickt, um deren Wirtschaftsprüfungsberichte unter die Lupe zu nehmen.
Die USA und China hatten erst vor Kurzem ihren Streit um die Einsicht in die Unterlagen von Unternehmen aus der Volksrepublik beigelegt und damit den Zwangsausschluss von mehr als 200 chinesischen Firmen von der US-Börse abgewendet. Die Aktien von Alibaba, dem Online-Händler Pinduoduo sowie dem Google-Rivalen Baidu fielen deutlich.
In einer Gegenbewegung auf die jüngsten Verluste haben die heimischen Anleger am Morgen bei Aktien zunächst zugegriffen, ehe überraschend robuste US-Konjunkturdaten die Wall Street ins Minus drückten und damit auch bei uns die Party beendeten.
Am Ende schloss der deutsche Leitindex deutlich unter Tageshoch bei 12.961 Punkten, ein Plus von noch 0,53 Prozent. In der Spitze war der Leitindex bis auf 13.154 Punkte geklettert und hatte damit zwischenzeitlich sogar schwachen heimischen Inflationsdaten getrotzt - zumindest einen halben Tag lang. Das Tagestief lag bei 12.885 Zählern.
Viel mehr als eine gewisse Erholung in einem insgesamt trüben Umfeld sei nicht zu erwarten, hieß es bereits am Mittag von Börsianern. "Die Zentralbanken haben klargemacht, dass der Kampf gegen die hohe Inflation ihr Hauptanliegen ist", sagte Marktanalyst Craig Erlam vom Broker Oanda. Eine sogenannte harte Landung, also die Inkaufnahme einer Rezession, könne der Preis sein, der dafür gezahlt werden muss.
Höhere deutsche Inflationszahlen traten heute aber zumindest kurzfristig in den Hintergrund. Dabei ist die Botschaft der jüngsten Daten eindeutig. Denn im August zog die Inflationsrate deutlich auf voraussichtlich 7,9 Prozent an, wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte. Im Juni und Juli hatten Tankrabatt und 9-Euro-Ticket die Teuerung noch etwas gedämpft, sie lag bei 7,6 und 7,5 Prozent. Beide Entlastungsmaßnahmen laufen nun aus - im Herbst erwarten Experten zweistellige Inflationsraten.
Was den Druck auf die EZB erhöht, mit einem deutlichen Zinsschritt am 8. September zu antworten. Derzeit wird am Markt eine Anhebung von 75 Basispunkten für möglich gehalten, 50 Basispunkte sind bereits fest einkalkuliert.
Der August sei wohl nur "die Ouvertüre zu einem heißen Inflationsherbst", erklärte LBBW-Analyst Elmar Völker. Im September schlage das Auslaufen von Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket preistreibend zu Buche, im Oktober dann die Gasumlage.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel hatte schon vergangene Woche vor einem Anstieg der Inflationsrate auf zehn Prozent in den Herbstmonaten gewarnt. Zweistellige Inflationsraten wurden in Deutschland das letzte Mal vor über siebzig Jahren gemessen; im vierten Quartal 1951 waren es nach den damaligen Berechnungen elf Prozent, wie Nagel der "Rheinischen Post" sagte.
Nagel fordert angesichts der rekordhohen Inflation ein beherztes Gegensteuern der Europäischen Zentralbank (EZB). "Die Inflationsraten kehren nicht von allein zum Inflationsziel der Notenbank zurück. Die Geldpolitik muss entschlossen reagieren, um die Glaubwürdigkeit des Inflationsziels zu bewahren", sagte er laut Redetext am Abend in Berlin.
Zur Entspannung an der Börse trugen heute Gewinnmitnahmen am Energiemarkt bei, dem Haupttreiber im aktuellen Inflationsszenario. So fiel der europäische Erdgas-Future um knapp ein Prozent auf 265 Euro je Megawattstunde und lag damit mehr als 20 Prozent unter seinem Rekordhoch vom Freitag. Am wichtigsten europäischen Handelsplatz TTF hat der Preis für eine Megawattstunde Erdgas seit Ende vergangener Woche um knapp ein Drittel auf rund 250 Euro nachgegeben.
Auslöser der Verkäufe waren neben den überraschend hohen Füllständen der Gasspeicher in Deutschland Berichte über eine mögliche Zustimmung der Bundesregierung zu einem Gaspreis-Deckel. Vor allem spekulativ orientierte Anleger stiegen nun aus dem Markt aus, um nicht nach Einführung der Preisgrenze mit Verlust verkaufen zu müssen, schrieben die Analysten von EnergyScan, dem Datenanbieter des Versorgers Engie.
Die Gaslieferungen aus Russland nach Deutschland über die Pipeline Nord Stream 1 werden derweil am Mittwoch erneut gestoppt - nach Angaben des russischen Gasriesen Gazprom für drei Tage. Grund sind demnach turnusgemäße Wartungsarbeiten. Am Samstag soll das Gas den Gazprom-Angaben zufolge wieder fließen.
Der Konzern hatte die Lieferungen nach Deutschland bereits im Juli für zehn Tage unterbrochen; auch damals hatte Gazprom als Grund Wartungsarbeiten angegeben. Derzeit liefert Gazprom täglich rund 33 Millionen Kubikmeter Gas über Nord Stream 1 nach Deutschland. Das sind 20 Prozent der möglichen Liefermenge. Als Grund gibt Russland die Wartung einer Turbine von Siemens an, die wegen der Sanktionen des Westens nicht nach Russland geliefert werden könne. Die Bundesregierung hält diese Argumentation für technisch nicht nachvollziehbar.
An den Märkten war im Juli befürchtet worden, dass Russland mit vorgeschobenen Argumenten den Gashahn ganz zudrehen könnte, was die Preise angetrieben hatte.
Am Ölmarkt ist es heute deutlich bergab gegangen. Anleger befürchten, dass aggressivere Zinserhöhungen der Zentralbanken zu einer weltweiten Konjunkturabschwächung führen und die Nachfrage nach Rohstoffen beeinträchtigen könnte. Ein Fass der Nordseesorte Brent kostete über fünf Prozent weniger, auch die US-Leichtölsorte WTI gab in der gleichen Größenordnung nach.
Empfindlich reagieren die Ölpreise auch stets auf neue Meldungen aus China, das Riesenreich ist einer der größten Ölverbraucher der Welt. Mehrere große chinesische Städte haben ihre Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie verschärft und damit Sorgen vor erneuten wirtschaftlichen Schäden geschürt.
Im südchinesischen Technologiezentrum Shenzhen mussten am Dienstag weitere Geschäfte und Unternehmen schließen. Schon seit Wochenbeginn ist der weltgrößte Elektronikmarkt Huaqiangbei in der auch als "Silicon Valley von China" bekannten Metropole dicht.
Gedrückt wurden die Ölpreise auch durch Nachrichten aus dem Irak. Das staatliche irakische Ölunternehmen Somo teilte mit, dass die Ölexporte trotz der heftigen Konflikte im Land unverändert weiterliefen. Der politische Konflikt im Irak war in der Nacht zum Dienstag weiter in Gewalt umgeschlagen. Videos zeigten die Miliz Saraja al-Salam des einflussreichen Schiitenführers Muktada al-Sadr, die sich in der sogenannten Grünen Zone in Bagdad mit Iran-treuen Milizen schwere Kämpfe liefert. Der Irak ist ein wichtiges Ölförderland und Mitglied des Ölkartells Opec.
Positive Signale für die Konjunktur sendet derweil die deutsche Industrie: Die Klagen über fehlende Vorprodukte und Rohstoffe sind im August so gering ausgefallen wie seit einem Jahr nicht mehr. 62 Prozent der Firmen berichteten über Engpässe, im Juli waren es noch 73,3 Prozent, wie das Münchner ifo-Institut heute mitteilte.
"Von einer nachhaltigen Entspannung kann aber leider noch nicht gesprochen werden", sagte der Leiter der ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. "Der Rückgang ist immer noch zu klein, um einen deutlichen Impuls bei der Industrieproduktion auszulösen und damit die Konjunktur anzuschieben."
Der Euro ist im europäischen Handel bis zum späten Nachmittag leicht gestiegen. Im US-Handel kostete die Gemeinschaftswährung 1,0021 US-Dollar. Sie lag damit leicht über der Parität zur US-Währung.
Auch hier spielen die Inflationserwartungen eine Rolle. Sollte die EZB gezwungen sein, den Leitzins deutlicher als gedacht anzuheben, würde das stützend auf die Gemeinschaftswährung wirken. Die Erholung wird von Experten aber auch mit den merklich gefallenen europäischen Gaspreisen begründet. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0034 (Montag: 0,9986) Dollar fest.
Trübe Konjunkturaussichten für Großbritannien setzten dem Pfund Sterling erneut zu. Die britische Währung verbilligte sich auf 1,1664 Euro und steuert mit einem Minus von insgesamt gut zwei Prozent seit Anfang August auf den größten Monatsverlust zur Gemeinschaftswährung seit fast eineinhalb Jahren zu.
"Die steigenden Gaspreise bergen die Gefahr, dass die Rezession stärker und länger ausfällt als bisher erwartet", warnt Commerzbank-Analystin Esther Reichelt. "Der Druck auf die Bank von England (BoE) steigt, zwischen der Bekämpfung der Rezession und den hohen Inflationsraten abzuwägen." Die Experten von Goldman Sachs halten für 2023 eine Teuerungsrate von 20 Prozent und mehr für möglich.
Bevor in den USA am Donnerstag der viel beachtete Stimmungsindex ISM für die Industrie die Aufmerksamkeit bindet und am Freitag der Arbeitsmarktbericht für August, standen an diesem Nachmittag erst einmal Daten des privaten Forschungsinstituts Conference Board zum Verbrauchervertrauen im August an.
Die Stimmung der US-Konsumenten hat sich dabei im August überraschend deutlich aufgehellt. Das Barometer für die Verbraucherlaune stieg auf 103,2 Zähler von revidiert 95,3 Punkten im Juli, wie das Board zu seiner Umfrage mitteilte. Ökonomen hatten lediglich mit 97,7 Zählern gerechnet. Die Verbraucher bewerteten die aktuelle Lage und auch die Aussichten besser als zuletzt.
Die Papiere von RWE standen im DAX an letzter Stelle. Konkurrent E.ON hielt sich zwar etwas besser, blieb aber ebenfalls hinter dem Markt zurück. Papiere des Windparkbetreibers Encavis liefen im MDAX mit einem Minus von gut 2,1 Prozent ebenfalls deutlich schwächer, während der Index der mittelgroßen Werte 0,3 Prozent verlor. Marktbeobachter verwiesen auf die Debatte um die Regulierung der Strompreise.
Der französische Energiekonzern Engie wird nach eigenen Angaben weniger Gas von Gazprom bekommen. Der russische Gaskonzern habe angekündigt, ab heute die Lieferungen zu reduzieren, teilt Engie mit. Grund seien Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einiger Verträge. Gleichwohl sieht Engie die Versorgung seiner Kunden nicht in Gefahr. Die Erdgaspreise reagierten kaum auf die Ankündigung aus Russland.
Der angeschlagene Immobilienkonzern Adler Group hat im ersten Halbjahr aufgrund von Wertberichtigungen rote Zahlen geschrieben. Unter dem Strich summierte sich der Verlust auf 604 Millionen Euro, wie das Unternehmen am späten Montagabend mitteilte. Die Suche nach einem Wirtschaftsprüfer für die Jahresabschlüsse 2022 gehe weiter. Die Aktie war Schlusslicht im SDAX.
Die Papiere des Volkswagen-Großaktionärs Porsche SE waren stark gefragt. Anleger blicken weiter positiv auf den geplanten Börsengang der VW-Sportwagentochter Porsche AG. Hintergrund sind Spekulationen über die Bewertung des Börsenkandidaten. Am vergangenen Freitag hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf mit der Sache vertraute Personen berichtet, dass die VW-Sportwagentochter bei Interessenten mit 60 bis zu 85 Milliarden Euro bewertet werde.
Die weltweite Fahrzeugproduktion des japanischen Autobauers Toyota ist im Juli mit 706.547 Fahrzeugen hinter den ursprünglichen Plänen von rund 800.000 Einheiten zurückgeblieben. Dies bedeutet einen Rückgang von 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Toyota verfehlte sein Produktionsziel damit den vierten Monat hintereinander.
Elon Musk führt neue Argumente ins Feld, um seine rund 44 Milliarden Dollar (43,9 Mrd Euro) teure Übernahme des Online-Dienstes Twitter abzublasen. Dabei bringt der Tesla-Chef die jüngst bekannt gewordenen Anschuldigungen eines Whistleblowers ins Spiel, der Twitter unter anderem mangelnden Schutz von Nutzerdaten und andere Sicherheitsschwächen vorwirft.
Musk erweitert damit seine zentralen Argumente beim Bemühen, aus der im April vereinbarten Twitter-Übernahme auszusteigen. Bislang stützte der Tech-Milliardär sich auf angebliche Falschangaben des Unternehmens zur Anzahl von Fake-Accounts.
Musk und Twitter liegen im Rechtsstreit, der Konzern will den Deal vor Gericht durchsetzen. Im Oktober soll bei einem Prozess in Delaware geklärt werden, wie es weitergeht. Bei dem Whistleblower handelt es sich um Peiter Zatko, den Ex-Sicherheitschef von Twitter. Er war im Januar gefeuert worden und reichte später eine Beschwerde bei der US-Börsenaufsicht ein.