Nach robusten Konjunkturdaten Zinsängste drücken die Wall Street
Die Anleger müssen sich weiter auf eine harte Gangart der US-Notenbank einstellen. Robuste neue Konjunkturdaten schürten Zinsängste an der Wall Street. Auch der DAX geriet massiv unter Druck.
An der New Yorker Börse haben neu aufgeflammte Zinssorgen im Tagesverlauf für Verluste gesorgt. Ähnlich wie zuvor schon an den europäischen Märkten zogen sich die Anleger nach überraschend robust ausgefallenen neuen US-Konjunkturdaten zurück und drückten die großen Wall-Street-Indizes ins Minus. Allerdings stabilisierten sich diese im Verlauf des Handels und konnten bis zur Schlussglocke einen Teil der anfänglichen Verluste wieder aufholen.
Der Leitindex Dow Jones ging am Ende bei 33.922 Punkten aus dem Handel, ein Minus von 1,07 Prozent. Der marktbreite S&P-500-Index gab 0,79 Prozent nach auf 4411 Zähler. Etwas besser schlugen sich die technologielastigen Nasdaq-Indizes, die wie schon am Vortag von positiven Nachrichten rund um ausgewählte Einzelwerte profitierten.
Chip-Aktien grenzten ihre Verluste im Verlauf zunehmend ein. Zudem legten Microsoft, ebenfalls ein Schwergewicht, nach einem positiven Analystenkommentar von Morgan Stanley zur KI-Marktstellung des Softwareriesen um knapp ein Prozent zu. Die Experten erhöhten ihr Kursziel von 335 auf 415 Dollar. Der Auswahlindex Nasdaq 100 gab am Ende 0,75 Prozent nach.
Laut dem Experten Pierre Veyret vom Broker ActivTrades wird es immer schwieriger für Anleger, noch Gründe für den Aktienkauf zu finden. Er rechnet damit, dass der Abwärtsdruck bei risikobehafteten Anlagen wie etwa Aktien so lange anhält, bis Verbesserungen in konjunktureller oder geldpolitischer Hinsicht deutlich werden. Vor allem die aktuellen US-Arbeitsmarktzahlen am Freitag würden daher mit Spannung erwartet.
Ursache der Verluste nicht nur in New York waren die überraschend robusten Daten des privaten US-Arbeitsvermittlers ADP sowie ein solider Stimmungsindikator für die US-Dienstleister. Beide Indikatoren lagen über den Erwartungen der Experten und befeuerten neue Zinsängste.
Konkret stieg im Juni im Vergleich zum Vormonat die Beschäftigung um 497.000, wie der Arbeitsmarktdienstleister ADP am Nachmittag in Washington mitteilte. Dies ist der stärkste Zuwachs seit Februar 2022. Analysten hatten im Schnitt nur mit 225.000 neuen Stellen gerechnet. Die ADP-Daten gelten als Vorbote für die offizielle Arbeitsmarktstatistik der Regierung, die am Freitag erwartet wird.
Ein starker Arbeitsmarkt begünstigt in den Augen der Notenbank Federal Reserve (Fed) die Inflationsentwicklung, deren Bekämpfung derzeit das oberste Ziel der Bank ist. Auch die robuste Verfassung der US-Dienstleister, der wichtigsten Quelle der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung, lässt den gleichen Schluss zu.
Wie aus den am Vorabend bekannt gewordenen jüngsten Mitschriften der US-Notenbank Fed hervorgeht, sehen die Währungshüter bei den Zinsen Luft nach oben, obwohl sie im Juni eine Pause einlegten und die Leitzinsspanne von 5,0 bis 5,25 Prozent beibehielten.
Fed-Chef Jerome Powell hatte Ende Juni erklärt, dass die meisten Entscheidungsträger der Notenbank von mindestens zwei weiteren Zinserhöhungen bis zum Jahresende ausgingen. "Die Frage ist nicht mehr, ob die Fed in diesem Monat erhöht, sondern wie viele Erhöhungen noch folgen werden", sagte Craig Erlam, Analyst vom Handelshaus Oanda.
Von der Landesbank Helaba hieß es, die beiden Konjunkturdaten aus den USA dürften "den Zinsschritt der Fed im Juli nahezu zementieren. Auch über den Juli hinaus werden die Zinserwartungen der Marktteilnehmer wohl forciert."
Inmitten der allgemeinen Tristesse hielten sich Meta-Aktien gegen den Trend lange besser und sind unter den Einzelwerten an der Wall Street derzeit das größte Gesprächsthema. Am Ende gaben aber auch die Meta-Papiere nach und schlossen 0,8 Prozent leichter.
Denn Twitter droht dem Facebook-Mutterkonzern laut einem Medienbericht mit einer Klage wegen der gerade gestarteten Konkurrenz-App Threads. Ein Twitter-Anwalt habe Meta in einem Brief vorgeworfen, für Threads vertrauliche Informationen und internes Wissen des Kurznachrichtendienstes verwendet zu haben, schrieb die Website Semafor am Donnerstag und veröffentlichte eine Kopie des Schreibens.
Meta hat heute seine mit Twitter konkurrierende App namens Threads an den Start gebracht. Die Anwendung wurde in der Nacht zum Donnerstag in den USA und Dutzenden anderen Ländern freigeschaltet. In Deutschland und den anderen EU-Staaten wird Threads zunächst nicht verfügbar sein - der Konzern verweist auf noch offene regulatorische Fragen.
Die Erwartung der Bilanzsaison bei den US-Banken schickte derweil deren Aktien in den Keller. Die Geldhäuser eröffnen ihre Berichtssaison für das zweite Quartal Ende kommender Woche.
Trotz der positiven Ergebnisse des jährlichen Stresstests der US-Großbanken warten die Anleger mit Spannung auf Kommentare der Manager zur Stabilität der Einlagen und zur drohenden Rezession. Im Frühjahr waren die Silicon Valley Bank (SVB) und noch weitere regionale Geldhäuser im Zuge der Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed kollabiert.
Die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen in den Vereinigten Staaten haben dem DAX schwer zugesetzt. Der deutsche Leitindex geriet nach der Veröffentlichung überraschend robust ausgefallener US-Konjunkturdaten vor allem am Nachmittag massiv unter Abgabedruck. Am Ende des XETRA-Handels stand ein kräftiger Tagesverlust von 2,57 Prozent auf 15.528 Punkte an der Anzeigetafel.
Der Index schloss damit nahe seines Tagestiefs und hat endgültig die lange Zeit umkämpfte Marke von 16.000 Punkten aufgegeben. Im Tagestief war der DAX im späten Geschäft sogar bei 15.495 Zählern knapp unter die Marke von 15.500 Punkten gefallen. Das Tageshoch hatte am Morgen noch bei 15.846 Punkten gelegen. Der MDAX, der Index der mittelgroßen Werte, fiel ebenfalls deutlich um 2,64 Prozent auf 26.708 Punkte.
Die Verluste gingen quer durch alle Branchen, wobei alle 40 DAX-Aktien im Minus schlossen. Am "besten" hielten sich Qiagen und Merck, die als einzige im Leitindex weniger als ein Prozent verloren. Tagesverlierer war der Immobilienkonzern Vonovia mit einem Minus von über sieben Prozent, auch Adidas verloren deutlich.
Deutliche Abschläge gab es auch an den Rentenmärkten, wo die Kurse fielen und im Gegenzug die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen auf über 2,6 Prozent kletterte. In den USA rentierten Papiere mit der gleichen Laufzeit derzeit bei 4,03 Prozent ebenfalls deutlich höher.
Für die Investoren wird zudem der schwelende Handelskonflikt wieder wichtiger: "Lange Zeit war es im Handelsstreit zwischen den USA und China ruhig. Doch nun droht die nächste Eskalationsstufe", sagt Christian Henke, Marktexperte beim Finanzdienstleister IG. China will den Export bestimmter für die Chip-Herstellung wichtiger Rohstoffe erschweren, nachdem die USA den Export von Hochleistungschips an die Volksrepublik beschränkt hat.
Unternehmen müssen ab Anfang August für die Ausfuhr von Gallium- und Germanium-Produkten eine Lizenz beantragen. Damit sollten die strategischen Interessen und die Sicherheit der Volksrepublik gewahrt werden. US-Finanzministerin Janet Yellen reist derzeit inmitten des Konflikts in die Volksrepublik.
Für erfreuliche Nachrichten sorgten hingegen am Morgen deutsche Konjunkturdaten: Die deutsche Industrie hat im Mai das größte Auftragsplus seit fast drei Jahren eingefahren. Die Bestellungen kletterten um 6,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat, teilte das Statistische Bundesamt mit. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hingegen hatten nur mit einem Anstieg von 1,2 Prozent gerechnet. Im April war das Neugeschäft revidiert um 0,2 Prozent gestiegen, im März mit 10,9 Prozent so stark geschrumpft wie seit der Corona-Pandemie im April 2020 nicht mehr.
Die guten Daten stützten den Euro, der zuletzt im US-Handel bei 1,0889 Dollar wieder etwas höher gehandelt wurde. Die Europäische Zentralbank hatte den Referenzkurs auf 1,0899 (Mittwoch: 1,0879) Dollar festgesetzt. Die höheren Zinserhöhungserwartungen in den USA nach dem gestrigen Fed-Protokoll und den heutigen Daten hatten den Greenback angeschoben. Der Euro erholte sich aber im Verlauf wieder etwas.
Die Kryptowährung Bitcoin stieg im Verlauf auf ein neues Jahreshoch bei 31.500 Dollar. "Die bestimmende Thematik für Krypto-Anleger bleiben zu Beginn des neuen Monats die anhaltenden Spekulationen rund um die Freigabe eines Bitcoin-Spot-ETF in den USA", kommentiert Timo Emden von Emden Research. "Der Vermögensverwalter Blackrock hatte Mitte des vergangenen Monats einen entsprechenden Antrag eingereicht. Eine finale Zulassung wäre ein Ritterschlag für Bitcoin und Co."
Allerdings fiel die Kryptowährung nach den US-Konjunkturzahlen und den verbesserten Zinsaussichten für den Dollar wieder zurück und schloss im Minus.
Die Ölpreise haben am Donnerstag nachgegeben. Zuletzt kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im September 76,46. Das waren 0,55 Prozent weniger als am Vortag. Der Preis für ein Barrel der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate zur August-Lieferung (WTI) fiel um 0,39 Prozent.
Die sehr trübe Stimmung an den Aktienmärkten belastete auch die Ölpreise. Nach robusten Wirtschaftsdaten aus den USA ist die Wahrscheinlichkeit für weitere Leitzinserhöhungen gestiegen. Steigende Zinsen können die Konjunktur belasten und damit die Nachfrage nach Rohöl.
Die am Nachmittag veröffentlichten Daten zu den Rohöllagerbeständen bewegten die Anleger kaum. Die Rohöllagerbestände sind laut Energieministerium in der vergangenen Woche gefallen. Der Rückgang war jedoch weniger stark als erwartet. Zudem sind auch die Bestände an Benzin und Destillaten gesunken.
Der europäische Flugzeugbauer Airbus hat nach Informationen aus Branchenkreisen im ersten Halbjahr 316 Flugzeuge und damit sechs Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum ausgeliefert. Das Unternehmen wollte sich zu den Zahlen, die am Freitag offiziell veröffentlicht werden sollen, nicht äußern. Im Gesamtjahr peilt der Weltmarktführer 720 Auslieferungen an. Der Flugzeugbau leidet seit der Corona-Pandemie stark unter Lieferkettenproblemen. Die Lage verbessert sich aber, wie Verkaufschef Christian Scherer kürzlich der Nachrichtenagentur Reuters sagte.
Volkswagen bereitet sich derweil auf die von China angekündigten Rohstoffkontrollen vor. Der Konzern teilte auf Reuters-Anfrage mit, er bewerte und überwache die Lage auf den Rohstoffmärkten umfassend, um im Bedarfsfall gemeinsam mit seinen Partnern Maßnahmen zu ergreifen. "Das Ziel ist dabei stets: Auswirkungen auf das Produktionsnetzwerk so gering wie möglich zu halten." Gallium und Germanium seien wichtige Ressourcen für Automobilprodukte wie LEDs, Hochfrequenzanwendungen und spielten eine Rolle bei künftigen autonomen Fahrfunktionen.
Bei Kion kommt es zu einem Wechsel im Vorstand. Finanzchef Marcus Wassenberg scheide mit sofortiger Wirkung aus dem MDAX-Unternehmen aus, teilte Kion am Abend in Frankfurt mit. Er verlasse das Haus im besten Einvernehmen und auf eigenen Wunsch, hieß es.
Nachfolger werde Christian Harm, der einen Dreijahres-Vertrag erhalte. Der Manager gehört dem Unternehmen beziehungsweise der Vorgängergesellschaft seit mehr als 20 Jahren an. Auf den Aktienkurs hatten die Neuigkeiten zunächst keinen Einfluss.
Die neue Führung des Softwareunternehmens Suse muss wegen der Zurückhaltung der Kunden und negativer Wechselkurseffekte einen Gewinneinbruch verkraften. Das operative Ergebnis brach im zweiten Quartal um 63 Prozent auf zwölf Millionen Dollar ein, teilte das Nürnberger Unternehmen mit. Der Mittelzufluss schrumpfte sogar um 83 Prozent auf vier Millionen Dollar. Der Umsatz legte leicht um ein Prozent auf 162 Millionen Dollar zu.
Der für die Pharma- und Kosmetikindustrie produzierende Spezialverpackungshersteller Gerresheimer geht nach einem Umsatz- und Gewinnplus im zweiten Quartal von einer weiter positiven Geschäftsentwicklung 2023 aus. Seine Prognosen bekräftigte der Konzern. Gerresheimer steigerte von April bis Juni den Umsatz auf rund 500 (Vorjahr: 445) Millionen Euro, der bereinigte operative Ertrag (Ebitda) legte auf 107 (zuvor 90) Millionen Euro zu.
Der erste Börsengang in Deutschland seit fünf Monaten ist unter Dach und Fach. Die Aktien der Thyssenkrupp-Wasserstofftochter Nucera werden zu je 20 Euro ausgegeben, teilte das Unternehmen mit. Es wird damit mit 2,53 Milliarden Euro bewertet. Das Emissionsvolumen beläuft sich auf 605 Millionen Euro, 526 Millionen Euro davon fließen Thyssenkrupp Nucera zu. Das Unternehmen will das Geld vor allen in den Ausbau des Elektrolyse-Geschäfts stecken. Die Erstnotiz an der Frankfurter Börse ist für den morgigen Freitag (7. Juli) geplant.