RWI-Chef Schmidt zur Nobelpreisvergabe "Bernanke war zur richtigen Zeit am richtigen Ort"
Der Wirtschaftsnobelpreis geht an drei Ökonomen, die Banken und deren Rolle in einer Finanzkrise untersucht haben. Angesichts der angespannten Weltwirtschaft ist man dank ihrer Arbeiten nun besser vorbereitet, sagt RWI-Chef Schmidt.
tagesschau.de: Das Nobelpreiskomitee verleiht den diesjährigen Preis an drei US-Forscher, die sich nicht nur mit dem Thema Banken auseinandersetzen, sondern auch die Finanzkrise 2008/2009 vorausgesagt haben. Können Sie kurz zusammenfassen, wofür genau sie geehrt werden?
Christoph M. Schmidt: Alle drei beschäftigen sich mit einer Institution, die uns alle im täglichen Leben berührt: mit Banken - und mit den Finanzmärkten, in denen diese Banken agieren. Die Forscher fragen als allererstes: Warum gibt es Banken überhaupt? Was für Aufgaben erfüllen sie? Da wissen wir aus den theoretischen Arbeiten von Diamond und Dybvig sehr gut, warum es sie geben müsste in einer wohl organisierten Volkswirtschaft.
Sie transformieren Fristen. Es gibt Leute, die wollen Geld anlegen, möchten aber schnell darauf zugreifen. Und dann gibt es wiederum andere Akteure, die wollen gerne investieren, langfristig Renditen dabei erzielen, aber eben sicher sein, dass sie auch erst langfristig die Kredite zurückzahlen müssen. Und zwischen diesen beiden Akteuren gibt es die Banken als Intermediäre, die dafür sorgen, dass auch die Risiken gestreut werden, dass die Finanzmärkte dadurch sicherer werden, dass man Risikostreuung betreibt und die auch aufpassen, dass man in gute und werthaltige Investitionen investiert.
Es macht aber diese Akteure auch sehr vulnerabel, sehr verletzlich. Denn wenn das Vertrauen wegbricht, dann kann ein Ansturm auf die Bankschalter dazu führen, dass die Bank ihre werthaltigen Gegenstände in einer Art Notverkauf loswerden muss und selbst in Schwierigkeiten gerät. Und das kann das ganze Finanzsystem in Mitleidenschaft ziehen.
Das haben wir auch empirisch verstanden aufgrund der Arbeiten von Herrn Bernanke zur Großen Depression, der gezeigt hat, dass die Banken die Quelle von realwirtschaftlichen Problemen gewesen sind und nicht - wie man früher gedacht hat - die Banken nur in Schieflage geraten, weil die Realwirtschaft in Schwierigkeiten ist. Vielmehr ergänzen beide Dinge einander gegenseitig - und das verstehen wir aufgrund der Forschungsarbeiten dieser drei Forscher besonders gut.
tagesschau.de: Nun haben wir im Moment wieder multiple Krisen. Wir haben eine Energiekrise, Inflation und eine drohende Rezession. Wie hoch ist vor diesem Hintergrund aus Ihrer Sicht gerade das Risiko einer neuen Finanzkrise?
Schmidt: Es kennt natürlich niemand die Zukunft. Es gibt immer ein Restrisiko, wenn man etwas wagt. Banken sind deswegen wichtig, weil sie, wenn sie ihre Aufgabe gut erfüllen und das in stabilen Finanzmärkten tun können, dafür sorgen, dass Wohlstand steigt, dass die Investitionen stattfinden, die werthaltig sind, dass Risiken eingegangen werden können. Und insofern können wir nicht auf sie verzichten.
Aber es wird nie ganz auszuschalten sein, dass es für die Stabilität der Finanzmärkte ein Risiko gibt. Natürlich haben wir im Augenblick sehr viele Herausforderungen gleichzeitig zu bewältigen. Aber wir verstehen viel besser als noch vor 80, 90 Jahren, als die Große Depression zugeschlagen hat, wie diese Institutionen funktionieren - und deswegen auch viel besser, wie man präventiv vorgehen kann:
Durch Eigenkapital, Unterlegung, durch ein Monitoring der Stabilität durch die Aufsichtsbehörden, durch eine Überwachung, die besondere Risiken frühzeitig erkennt, aber auch durch Regelungen, was in einer Notlage zu passieren hat. Da sind wir sehr gut gewappnet. Und daher würde ich jetzt im Augenblick auf gar keinen Fall eine weltweite Finanzkrise erwarten, auch wenn niemand ganz ausschließen kann, dass es immer Risiken gibt.
Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. Sein Spezialgebiet ist die Angewandte Ökonometrie. Schmidt forscht vor allem zu arbeits- und bevölkerungsökonomischen sowie energiepolitischen Fragestellungen.
Bis 2020 war er Vorsitzender der sogenannten Wirtschaftsweisen, einem Gremium, das die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen berät. Während seiner Doktorarbeit an der US-Eliteuniversität Princeton wurde er unter anderem vom Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften Angus Deaton betreut.
tagesschau.de: Nichtsdestotrotz - verstehen Sie die Preisvergabe auch als Warnung?
Schmidt: Ich verstehe sie eigentlich eher als ein Zeichen dafür, dass wir in unserer Disziplin der Wirtschaftswissenschaft sehr wohl die Verbindung zwischen den beiden Sphären der Realwirtschaft und der Finanzwirtschaft verstanden haben. Dass wir da sehr gute Erkenntnisse gesammelt haben, sie sowohl theoretisch durchdrungen haben, als auch empirische Belege gefunden haben für diese theoretischen Vorstellungen, und dass uns das sehr stark macht in der Realwirtschaft, in der realen Welt tatsächlich auch diese Institutionen sehr stabil zu halten.
Ich sehe es weniger als eine Mahnung, sondern vielmehr als Rückenwind - sowohl für die Disziplin, als und ihre Bedeutung für das reale Leben und für den einfachen Bürger, der sicher sein kann, dass man diese Institutionen jetzt besser schützen kann als in der Vergangenheit.
"Wir sind vorangekommen"
tagesschau.de: Sie haben das Thema Bankenregulierung auch schon angesprochen, da ist seit 2008/2009 eine ganze Menge passiert. Welche Faktoren sind wichtig, damit eine Bank gegen eine Finanzkrise gewappnet ist?
Schmidt: Wann geraten Banken in eine Schieflage? Wenn sie viele Kredite vergeben an Akteure, an Schuldner, an Kreditnehmer, die nicht so vertrauenswürdig sind, dass es gerechtfertigt ist oder wenn sie Risiken unterschätzt haben. Und insofern ist es auch klar, was eine erfolgreiche Bank auszeichnet: dass sie das eben gut macht, dass sie ihre Kredite rational vergibt - nach einer guten Einschätzung der Risiken.
Dafür sind aber auch die Aufsichtsbehörden da, um die Einschätzung der Banken ständig zu überwachen, dass sie sehen, wo sich Risiken zusammenbrauen, wo sich Klumpenrisiken ergeben - und das verhindern.
Und wichtig ist natürlich vor allem die Unterlegung des eigenen Tuns mit Eigenkapital. Eigenkapital ist ein Puffer, mit dem man Verluste abfängt. Und deswegen ist es so wichtig, dass Banken einer gewissen Eigenkapitalverpflichtungen unterliegen. Denn dann werden solche Verluste, die im realen Leben immer wieder mal passieren, abgefangen: durch die Risikostreuung, durch das sorgfältige Aussuchen der vergebenen Kredite, und natürlich auch dadurch, dass man Verluste aus eigener Kraft tragen kann. Und dafür sind wir, glaube ich, relativ gut vorangekommen im Vergleich zu der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009.
tagesschau.de: Ben Bernanke war von 2006 bis 2014 Chef der US-Notenbank Fed, also genau in der Zeit, in die die Finanzkrise fiel. Inwieweit war er damals genau der Richtige im Amt?
Schmidt: Ich habe Bernanke persönlich erleben dürfen als Professor an meiner Universität in Princeton, wenngleich ich nicht direkt mit ihm zusammengearbeitet habe. Er ist eine Persönlichkeit, die für so eine Krise genau richtig ist: ruhig, zurückgenommen, aber eine starke, klare Persönlichkeit mit starke Prinzipien. Preisstabilität ist für ihn wichtig, er ist prinzipienbasiert, aber gleichzeitig verbindlich im Umgang, klar in der Kommunikation. Das alles sind Eigenschaften, die über die fachliche Qualifikation hinaus eine einen guten Krisenmanager auszeichnen.
Und dass er in dieses Amt gekommen ist - ausgestattet mit einem fundierten Wissen über Finanzkrisen, über die Kanäle, mit denen sich Bankenkrisen auf die Realwirtschaft auswirken und was man dagegen tun kann - das passierte genau zum richtigen Zeitpunkt. Das hat die Krise vermutlich nicht so groß werden lassen, wie sie ansonsten hätte werden können.
"Durchaus einen großen Schritt vorangekommen"
tagesschau.de: Was ist die Rolle von Notenbanken in einer Finanzkrise? Können sie sie verhindern oder zumindest abschwächen oder etwas tun, um sie einzudämmen? Stichwort: Inflationsbekämpfung?
Schmidt: Notenbanken haben im Zweifelsfall zwei Funktionen: Die Bundesbank als Teil des Eurosystems überwacht die Finanzstabilität, gemeinsam mit Partnerinstitutionen. Sie kann also einerseits durch ein Überwachungssystem, ein Monitoring dafür sorgen, dass man Risiken frühzeitig erkennt. Sie kann die Umsetzung von Regulierungsvorgaben überwachen, die dafür sorgen, dass Banken das, was sie tun, sorgfältig tun - was sie vielleicht aus eigener Kraft auch täten. Aber noch besser ist es, wenn sie das unter Auflagen tun.
Eigenkapitalunterlegung ist ein ganz wichtiges Element, aber eben auch Vorkehrungen, was in einem Notfall passiert. Was passiert mit einer Bank, die in die Schieflage gerät? Hat sie die Kraft, diese Schieflage selbst aufzufangen? Und wer wird im Zweifelsfall dann in einem solchen Abwicklungsregime die Rechnung bekommen? Bekommt sie der Steuerzahler oder die Gläubiger der Bank? Da sind wir deutlich weitergekommen, weil Banken eben diesem Paket an Auflagen und Überwachungen unterliegen.
Zudem ist für eine Zentralbank in einer Krise natürlich wichtig, dass sie versteht, dass der Kredit erhalten bleiben muss. Wir sehen jetzt zum Beispiel in der großen Krise, die wir jüngst durchlaufen haben, dass die Europäische Zentralbank sehr wohl Liquidität bereitgestellt hat, in einem großen Umfang, auf verschiedenen Wegen.
Damit hat sie dafür gesorgt, dass Investitionsprojekte, die werthaltig sind, nach wie vor möglich sind - auch in einer Krise. Ohne Eingreifen der Zentralbank hätte es diese Investitionen vermutlich nur in einem kleineren Ausmaß gegeben. Da hat die Zentralbank also auch noch die wichtige Rolle eines Kreditgebers der letzten Reihe, der letzten Bastion. Allerdings natürlich immer in der Abwägung mit den daraus wiederum langfristig erwachsenden Risiken.
tagesschau.de: Werfen wir einen Blick auf den deutschen Bankensektor. Wie sehen Sie die deutschen Banken insgesamt gewappnet?
Schmidt: Es wurden mehrere Institutionen und Instrumente im Nachgang zu der großen Krise 2008/2009 entwickelt und aufgebaut, insbesondere der Finanzstabilitätsrat, der ja international aufgestellt ist und international wirkt.
Der hat die Situation in einer Evaluation vor kurzem in einer Art Zwischenfazit bewertet und kommt zum Schluss, dass wir durchaus einen großen Schritt vorangekommen sind. Dass zwar noch einige Dinge offen sind, aber das Glas ist da halb voll und nicht halb leer. Und das betrifft natürlich die europäische Bankensituation insgesamt - und damit natürlich auch die deutsche.
Das Interview führte Steffi Clodius, tagesschau.de