Zehn Jahre "Galileo"-Entwicklung Teurer Traum von Europas Satellitennavigation
Vor zehn Jahren stimmten die EU-Staaten für die Entwicklung des europäischen Satellitennavigationssystems "Galileo". Seither steigen die Kosten immer weiter, und Ernüchterung macht sich breit. Doch kippen will das Projekt niemand.
Von Christoph Prössl, NDR-Hörfunkstudio Brüssel
Im Wahlkreis von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer sorgt "Galileo" noch für Euphorie. Zum Beispiel bei der Einweihung eines Testsystems Anfang Februar 2011. Der Minister reiste mit dem Zug aus Berlin an, dann drückte er auf den großen roten Knopf. Sender auf den Gipfeln rund um Berchtesgaden nahmen ihren Betrieb auf. Sie simulieren Satelliten. Ein Parteifreund lästerte: Jetzt könnten die Bauern in Berchtesgaden von der Hochtechnologie unterstützt ihre Felder bestellen.
In Brüssel ist beim Thema "Galileo" eher Ernüchterung eingekehrt - und das nicht erst in den vergangenen Jahren. Das europäische Großprojekt kostet Milliarden, und es werden immer mehr. "Wir sind schon so weit voran geschritten", sagt der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Klaus-Dieter Scheuerle. "Wir sind ja irgendwie zum Erfolg verdammt."
Kosten steigen weiter
Mit dieser Meinung war Scheuerle beim Treffen der EU-Verkehrsminister vor einer Woche in Brüssel nicht alleine. Die Minister wollen "Galileo", aber sie wollen nicht mehr dafür bezahlen. 3,4 Milliarden Euro hat das Satellitennavigationssystem bis jetzt gekostet. Nach jüngsten Berechnungen der Europäischen Kommission kommen 1,9 Milliarden Euro dazu. Scheuerle zufolge sind sich die Mitgliedsstaaten einig darin, dass die Mehrkosten minimiert und "aus dem Haushalt der EU rausgeschnitten werden müssen". Denn es seien ohnehin beträchtliche Zusatzbelastungen, die auf die Mitgliedsstaaten zukämen.
Da wollen die EU-Länder kein zusätzliches Geld nach Brüssel überweisen. Und die weiteren Mehrkosten, die noch auf die Gemeinschaft zukommen, sind die Betriebskosten von etwa 800 Millionen Euro pro Jahr ab 2015. Auch diese Kosten sind deutlich höher, als noch vor Jahren veranschlagt. Abspecken und private Investoren suchen, das verlangen nun die Minister von der Kommission. EU-Industriekommissar Antonio Tajani musste zudem versprechen, in den kommenden Wochen zu erklären, warum das Großprojekt immer teurer wird. "Das ist noch nicht ausreichend begründet", sagte Scheuerle.
Großer wirtschaftlicher Nutzen erwartet
Die Kommission rechnet derzeit lieber vor, welchen Nutzen "Galileo" bringt. Die 30 Satelliten sollen einem Bericht der Behörde zufolge über 20 Jahre einen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen von 60 bis 90 Milliarden Euro bringen. "Galileo" soll Europa unabhängig machen vom amerikanischen GPS. Neben klassischen Diensten wie der Navigation im Straßenverkehr planen die Ingenieure auch Dienste für das Militär, Rettungskräfte und beispielsweise Flugzeuge. Russland und China planen ähnliche Systeme.
Noch in diesem Jahr sollen die ersten beiden Satelliten starten. Vier Satelliten baut die EADS-Tochter Astrium, 14 der Bremer Konzern OHB. Im Januar musste ein OHB-Topmanager gehen. Er soll in einem vertraulichen Gespräch mit amerikanischen Diplomaten gesagt haben, "Galileo" verschwende das Geld der europäischen Steuerzahler. Außerdem rechne er mit Gesamtkosten von bis zu zehn Milliarden Euro. Die Aussagen kamen durch WikiLeaks ans Licht.