Interview

Ex-Finanzminister Eichel im Interview "Deutschland hat vom Euro ungeheuer profitiert"

Stand: 30.04.2010 17:24 Uhr

Der Euro rollt! Auch die deutsche Finanzhilfe nimmt langsam Form an. Viele Bürger fragen sich, warum Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen wurde und wie lange Deutschland noch Zahlmeister ist. "Wir haben ungeheuer vom Euro profitiert" meint dagegen Ex-Finanzminister Hans Eichel im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Herr Eichel, Sie waren Finanzminister, als der Euro in Griechenland eingeführt wurde. War Ihnen und den Kollegen aus der Euro-Zone nicht klar, dass Griechenland wirtschaftlich schwach ist und zum Sorgenkind werden könnte?

Hans Eichel: Das hat man damals schon gesehen. Aber es gab ein klares Votum der EZB und der EU-Kommission für die Aufnahme Griechenlands. Man hat gehofft, dass Griechenland eine positive wirtschaftliche Entwicklung macht. Das ist ja auch eingetreten - allerdings: viel zu sehr auf Pump.

Ex-Finanzminister Eichel verteigt Mitgliedschaft Griechenlands in der Euro-Zone
Hans Eichel (SPD) war von 1999 bis 2005 Bundesfinanzminister und entschied mit über den Beitritt Griechenlands zur Eurozone. Eichel bemühte sich um die Sanierung des Staatshaushalts, wobei er sich vom "Spar-" zum "Schuldenminister" wandelte.

tageschau.de: War die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone ein Fehler?

Eichel: Nein! Problematisch ist aber die griechischen Politik der vergangenen Jahre. Das Land hat seinen Vorteil in der Euro-Zone - die niedrigen Kapitalkosten - nicht zur Entschuldung genutzt. Das Gegenteil trat ein. Das tatsächliche Defizit wurde dann verschleiert. Das war regelrechter Betrug, und ist völlig inakzeptabel.

"Austritt aus der Euro-Zone widerspricht europäischer Integration"

tagesschau.de: Warum gibt es innerhalb der Währungsunion kein Szenario für so einen Fall? Warum ist zum Beispiel nicht vorgesehen, dass ein Land die Euro-Zone verlässt oder ausgeschlossen wird?

Eichel: Weil die Euro-Zone - genau wie der europäische Binnenmarkt - auf Dauer angelegt ist. Die Vorstellung, dass man ein- und austreten kann, ist dem Wesen der europäischen Integration fremd. Denn die Einigung Europas ist die wirtschaftliche und politische Antwort auf zwei Weltkriege, und in Deutschland ist sie übrigens Verfassungsauftrag.

"Der Euro bleibt eine Erfolgsgeschichte"

tagesschau.de: Die Empörung hierzulande über die desaströse Finanzpolitik der Griechen ist groß. Aber hat Deutschland nicht vom Euro und auch dem wirtschaftlichen Gefälle innerhalb der Euro-Zone profitiert?

Eichel: Wenn Sie Griechenland anschauen, so haben wir zwar viel exportiert, aber jetzt doch auch sehr große Rechnungen offen. Wir haben aber insgesamt in den vergangenen Jahren ungeheuer vom Euro profitiert. Unsere Exporte sind stark gestiegen und die Arbeitsplätze nicht mehr - wie vorher - nach Italien und Spanien verlagert worden. Hätten wir den Euro nicht, wären wir in der Finanz- und Wirtschaftskrise regelrecht auseinander geflogen. Unsere D-Mark wäre durch die Decke geschossen, unsere Exporte hätten sich drastisch verringert. Irland zum Beispiel galt mal als Musterland und ist durch die Krise stark ins Schlingern geraten. Der Euro ist und bleibt eine ungeheure Erfolgsgeschichte.

tagesschau.de: Dennoch ist der Euro derzeit in Turbulenzen. Was macht die Bundesregierung beim Krisenmanagement falsch?

"Die Euro-Länder müssen den Spekulanten ihr Geschäft vermiesen"

Eichel: Ich finde das gesamte Krisenmanagement - nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel - unbefriedigend. Wir hätten sehr viel früher intervenieren und helfen müssen. Dann hätte sich die Krise nicht dermaßen ausgeweitet.

tagesschau.de: Die Hilfen werden das deutsche Defizit weiter in die Höhe treiben. Schon jetzt hält kein Land den Stabilitätspakt mehr ein. Sie galten mal als dessen eiserner Verfechter. Steht der Pakt insgesamt in Frage?

Eichel: Nein, er steht nicht in Frage. Aber ich glaube, wir müssen ihn anders handhaben. Wir brauchen klare Regeln, eine bessere gegenseitige Überprüfung und vor allem Sanktionen, damit sich alle Länder gemeinschaftsförderlich verhalten und solche Krisen gar nicht erst entstehen.

tagesschau. de: Es gibt ja auch andere Sorgenkinder in der Eurozone. Wie sehr ist die Eurozone in Gefahr?

Eichel: Das kommt drauf an. Wir müssen jetzt deutlich zeigen, dass wir uns nicht auseinander dividieren lassen und Griechenland helfen. Das fehlt mit derzeit! Im Umkehrschluss heißt das natürlich, dass Athen ein ganz hartes Sanierungsprogramm durchführen muss. Die jetzige Situation zeigt: Der Euro hat an den Finanzmärkten offenbar nicht nur Freunde. Ohne ihn spekuliert es sich besser. Denen, die so handeln, müssen wir das Geschäft vermiesen, indem wir gemeinsam und entschlossen handeln.

tagesschau.de: Wären Sie derzeit gerne wieder Finanzminister?

Hans Eichel: Ich war es mit Leidenschaft, und ich finde, wer es in schwierigen Zeiten nicht sein will, der soll es auch in guten nicht sein. Aber die Frage stellt sich nicht mehr.

Das Gespräch führte Simone von Stosch für tagesschau.de