Interview zur Griechenland-Krise "Minister glauben nicht an den Sparzwang"
Begleitet von Streiks hat das griechische Parlament weiteren Sparmaßnahmen zugestimmt. Auch am Ende des Jahres ist die Finanzsituation des Landes prekär und der Widerstand gegen Reformen entschieden. tagesschau.de sprach aus diesem Anlass mit dem griechischen Journalisten Tasos Telloglou und knüpfte damit an ein Interview vom vergangenen Mai an. Damals hatte Telloglou die politische Lage und die nähere Zukunft seines Landes ausgesprochen düster beurteilt. Er sagte weitere Proteste voraus und konstatierte einen weit verbreiteten Unwillen umzudenken.
tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die Entwicklung seit dem vergangenen Sommer - ist in der Bevölkerung die Einsicht gewachsen, dass harte Schnitte unvermeidlich sind?
Tasos Telloglou: Es hängt davon ab, mit wem man spricht. Von denen, die schon länger von Reformmaßnahmen betroffen sind, haben einige mit dem Umdenken angefangen. Sprechen Sie mit jemanden, dem die Reformen noch bevorstehen oder der gerade eben erst davon getroffen wurde, spürt man kein Umdenken. Die Leute klammern sich an das, was sie haben und an das, was sie gewöhnt sind.
tagesschau.de: Welche Gruppe ist größer?
Telloglou: Nach Meinungsumfragen lehnen etwa 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung jedwede Reform ab. Deshalb versucht die Regierung, ihre Reformen scheibchenweise durchzuführen, anstatt gleich das ganze Programm durchzuboxen. Deswegen führt sie auch weiterhin einen Kampf gegen die Zeit.
tagesschau.de: Andererseits scheint die Regierung fest im Sattel zu sitzen - sie hat die Kommunalwahlen im November doch zum Referendum über die Sparpolitik erklärt - und klar gewonnen.
Telloglou: Sie müssen sich die Zahlen sehr genau anschauen. Natürlich sind die Kandidaten der Regierung in den zwei größten Städten des Landes - Athen und Saloniki - gewählt worden. Aber in diesen Städten sind auch ca. 50 Prozent der Wähler nicht zur Wahl gegangen. Das ist eine unglaublich große Zahl, denn hier herrscht Wahlpflicht, und wer nicht teilnimmt, wird theoretisch bestraft. Diese Form der Verweigerung sagt auch etwas aus. Die Menschen sind wütend und haben beschlossen, sich zurückzuziehen.
tagesschau.de: Wie wirken sich denn die bisherigen Sparmaßnahmen im Alltag aus? Wo werden sie spürbar?
Telloglou: Egal, wo man ist - ob bei Freunden oder Verwandten: Überall trifft man jemanden, der in den vergangenen Wochen seine Arbeit verloren hat. Das wird vom Ausland nicht richtig wahrgenommen. Da der Staat immer noch so aufgebläht ist und immer noch so viele Mittel absorbiert, auch für die Bedienung der Schulden und Zinsen, holt er sich die Gelder von der Privatwirtschaft. Dort müssen dann Arbeitsplätze abgebaut werden - auch, weil die Nachfrage auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens um bis zu 30 Prozent zurückgegangen ist.
tagesschau.de: Wie werden diese Menschen aufgefangen?
Telloglou: Jeder Arbeitslose bekommt ein Jahr lang eine Unterstützung von rund 470 Euro - unabhängig vom vorherigen Einkommen. Danach bekommen sie nichts mehr. Die dafür zuständige Behörde kämpft inzwischen von Monat zu Monat mit Liquiditätsproblemen, weil man mit einer deutlich niedrigeren Arbeitslosigkeit gerechnet hatte. Die Regierung schießt hier zusätzliches Geld zu, und das wird sicher noch eine Weile so bleiben. Natürlich sind nicht alle Arbeitslose tatsächlich erwerbslos - viele arbeiten schwarz. Aber das kennen sie auch in Deutschland.
Das Reformtempo ist zu langsam
tagesschau.de: Haben sie denn den Eindruck, dass die Sparmaßnahmen wirken?
Telloglou: Der Kurs ist richtig und ohne Alternative. Ich halte aber ein höheres Tempo für erforderlich. Mir geht das zu langsam voran.
tagesschau.de: Einer Ihrer Kritikpunkte am Sparkurs der Regierung lautete, dass er die Vermögenden schont, von denen viele ihr Geld im Ausland angelegt haben. Gilt dieses Urteil weiterhin?
Telloglou: Hier ist zwar einiges geschehen, aber die Tendenz bleibt. Ein Beispiel aus diesen Tagen: Ein Besitzer einer Unternehmensgruppe, zu der Banken, Medien und Chemiefirmen gehören, zahlt seit drei Monaten keine Steuern. Zeitgleich hat er in Vaduz (Liechtenstein) mit einem deutschen Staatsbürger eine Privatbank aufgemacht. Dafür hat er natürlich Geld aus Griechenland genommen. Das ist exemplarisch für das, was in der oberen Schicht dieses Landes geschieht. Für sie gilt, was für alle gilt: Sie verändert sich nicht freiwillig, nur unter Druck.
"In Berlin herrscht Sprachlosigkeit"
tagesschau.de: Deutschland trug im Frühjahr in den Augen vieler Griechen eine Mitverantwortung für das Ausmaß der Krise. Ist diese Verbitterung immer noch zu spüren?
Telloglou: Sie ist immer noch zu spüren. Viele Menschen hier verstehen die Europäische Union als Transfer-Union, und es gibt eine Mentalität, "lax" mit Geld umzugehen. Im übrigen versucht Deutschland immer noch, das griechische Problem als einen Sonderfall darzustellen, obwohl klar ist, dass es Teil eines größeren Problems ist. Zwar gibt es hausgemachte Gründe für die Krise. Aber es gibt auch einen europäischen Faktor, der mitverantwortlich dafür ist, dass Griechenland keine Kredite am internationalen Markt aufnehmen kann. Bei der Frage, wie das europäische Problem gelöst werden kann, herrscht in Berlin immer noch Sprachlosigkeit. Jeder weiß, dass die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels nur eine provisorische Lösung bieten. Ob die Märkte diese Lösung schlucken werden oder weiter Druck auf Länder mit Finanzproblemen ausüben, wird man dann im Januar sehen.
tagesschau.de: Es gab in den vergangenen Wochen ja auch Streiks von Journalisten, die gegen Gehaltskürzungen protestierten. Wie haben sich Ihre Arbeitsbedingungen seit dem Ausbruch der Krise verändert?
Telloglou: Wir alle mussten massive Lohnkürzungen hinnehmen. Ich weiß aber, dass es einen Grund dafür gibt, und kann sie persönlich akzeptieren, wenn dadurch Entlassungen im großen Stil verhindert werden. In meiner Redaktion standen wir vor dieser Alternative, und wir haben uns für Lohnkürzungen entschieden. Dennoch stehen bei vielen Medienunternehmen Entlassungen an, erste Zeitungen wurden dichtgemacht, weil die Unternehmen keine Kredite mehr bekamen. Jetzt geschieht das, was in deutschen Medienhäusern schon vor einigen Jahren geschehen ist: Weniger Mitarbeiter arbeiten mehr für weniger Geld.
Die Reformen mit Leben füllen
tagesschau.de: Mit welcher Haltung schauen sie auf das kommende Jahr: skeptisch oder wenigstens verhalten optimistisch?
Telloglou: Ich bin eher skeptisch. Der Kurs der Regierung ist grundsätzlich richtig, aber ich bin mir nach wie vor nicht sicher, ob sie dieses Programm durchsetzen kann. Wir werden trotz großer Fortschritte unsere Sparziele in diesem Jahr verfehlen, weil das Haushaltsdefizit wahrscheinlich zehn statt neun Prozent betragen wird. Das bedeutet, wir müssen im kommenden Jahr noch drastischere Sparmaßnahmen treffen, die auch auf den Kern des griechischen Problems zielen müssen. Dafür fehlen aber die politischen Voraussetzungen. Selbst die Mehrheit des griechischen Ministerrats hält die Übereinkunft mit den Anleihegebern für eine Zwangsjacke und glaubt nicht an ihn. Dabei brauchen wir diese Reformen und müssten sie mit Leben füllen.
Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de