Vor dem G20-Gipfel in Mexiko Globale Probleme - nationale Interessen
Wenn die Eurokrise nicht schnell eingedämmt wird, droht eine neue Weltwirtschaftskrise. Doch ob sich die G20-Staaten auf dem Gipfel in Mexiko auf gemeinsame Lösungsansätze verständigen können, ist ungewiss. Zu viele nationale Interessen prallen aufeinander.
Von Mirjam Gehrke, Deutsche Welle, zzt. Los Cabos
Sie sollten vielleicht einen Besen einpacken, die Staats- und Regierungschefs der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, die sich ab Montag im mexikanischen Badeort Los Cabos zur ihrem Jahresgipfel treffen. Für den Fall nämlich, dass sich die Griechen bei der Parlamentswahl gegen den strikten Sparkurs stimmen, den ihnen die EU auferlegt hat und das Linksbündnis Syriza stärkste Kraft im Parlament werden sollte.
Dann nämlich müssten die G20-Vertreter erst einmal den politischen Scherbenhaufen zusammenkehren, bevor sie sich der Gipfel-Agenda widmen können. Denn ohne Sparkurs gibt es kein weiteres Geld aus der EU, dann wäre Griechenland innerhalb kürzester Zeit bankrott - was auch Folgen für die anderen Euro-Länder haben dürfte.
"Wenn es zu einer Wirtschaftskrise in der Eurozone käme, hätte das entsprechende Effekte auf die Weltwirtschaft insgesamt", warnt Jörg Hinze vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) vor den Folgen der nicht enden wollenden Eurokrise. "Das würde auch die Schwellenländer und erst recht die Entwicklungsländer zurückwerfen." Da vor allem erstere stark exportabhängig sind, hätten gerade diese Länder ein gesteigertes Interesse daran, "dass es nicht wieder zu einem Wirtschaftseinbruch wie 2009/10 kommt", so der HWWI-Konjunkturexperte.
Bekannte Themen auf der Agenda
Im Wesentlichen werden in Mexiko die Themen diskutiert, die bereits im vergangenen November in den G20-Aktionsplan von Cannes eingeflossen sind: die Stabilisierung der Weltwirtschaft und die Überwindung globaler Ungleichgewichte, die Stärkung des Finanzsystems sowie die weitere Reform der internationalen Finanzarchitektur. Dazu zählt eine Stärkung des Internationale Währungsfonds (IWF) mit Krediten der Mitgliedstaaten. Zur Abwehr internationaler Krisen sollen am Ende insgesamt eine Billion Dollar zur Verfügung stehen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich in Mexiko für eine strengere Bankenregulierung stark machen. "Die Forderung liegt schon seit der Lehman-Pleite auf dem Tisch. Sie wurde aber nur unzureichend umgesetzt", bemängelt der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Jörg Hinze. Als Reaktion auf den Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 hatte die EU knapp zwei Jahre später das "Europäische System der Finanzaufsicht" (ESFS) aus der Taufe gehoben. Es soll Banken, Versicherungen und Börsen unter die Lupe nehmen und beispielsweise hochriskante Börsengeschäfte verbieten.
"Das hat aber nichts gebracht", beklagt Peter Wahl von der Nichtregierungsorganisation "World Economy, Ecology & Development" (WEED). "Mit Bankia und den anderen spanischen Banken ist klar geworden, dass das nicht funktioniert hat, trotz der Stresstests bei Banken. Auch in den USA gab es den Fall von JP Morgan, wo ein Verlustgeschäft von fünf bis sechs Milliarden US-Dollar aufgelaufen ist. Auch diese Bank hatte zuvor einen Stresstest bestanden", kritisiert Wahl.
Konkurrenzdenken blockiert Lösungsansätze
Er hält die Forderung der Bundeskanzlerin, "Banken notfalls auch über Staatsgrenzen hinweg zu restrukturieren oder abzuwickeln", zwar für wünschenswert, aber nicht für realistisch: "Eines der Grundprobleme dieser Debatte um Bankenregulierung ist ja, dass die Politiker immer wieder auf den Wettbewerbsgedanken hereinfallen." Die Bankenindustrie drohe mit der Abwanderung der Geschäfte aus der Eurozone nach London, aus Europa in die USA oder nach Singapur und China, so Wahl. "Solange man in der Logik des Wettbewerbs bleibt, wird man immer wieder auf Grenzen stoßen. Davon muss man sich freimachen."
Auch beim zweiten großen Gipfelthema, der Transaktionssteuer, für die sich Deutschland stark machen will, wird Konkurrenzdenken eine internationale Lösung wohl verhindern. "Einzelne Länder sagen ganz offen, dass sie dagegen sind, wie Großbritannien. Andere, wie die USA, sagen es weniger offen, handeln aber entsprechend", so die Beobachtung von Jörg Hinze vom HWWI. Solange eine Finanztransaktionssteuer nicht international eingeführt werde, sei sie wenig erfolgversprechend, denn Abwanderungsbewegungen an steuerfreie Börsenplätze seien vorprogrammiert.
Investieren oder sparen?
Bereits im Vorfeld zeichnet sich ab, dass die G20-Staaten finanzstarke Länder wie Deutschland und Kanada dazu bewegen wollen, für mehr Wachstumsimpulse zu sorgen. Diesen Erwartungen hat die Bundeskanzlerin kurz vor dem Gipfel eine Absage erteilt: Deutschlands Stärke sei nicht unendlich, so Merkel, man dürfe Deutschland nicht überfordern. Für die Stabilität der Weltwirtschaft trügen alle Verantwortung, auch China und die USA.
Die Bundesregierung ist zwar zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums bereit, etwa über eine Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank (EIB) und Strukturreformen. Direkte staatliche Konjunkturhilfen durch die Aufnahme neuer Schulden oder gemeinschaftliche Euro-Bonds zur Entlastung von Krisenländern lehnt sie aber ab.
Die Antwort der USA auf die Wirtschaftskrise im eigenen Land heißt dagegen seit Jahren: Konjunkturpakete schnüren. "Ganz kurzfristig ist der amerikanische Weg der richtige", bestätigt Peter Wahl von WEED. Er gibt aber auch zu bedenken, dass langfristig eine andere Lösung nötig sei und die Einnahmeseite des Staates über eine gerechte Steuerpolitik gestärkt werden müsse. Präsident Barack Obama befindet sich jedoch mitten im Wahlkampf. Eine Anhebung von Steuern oder internationale finanzielle Verpflichtungen wird er in dieser Phase wohl kaum in den Kongress einbringen.