Hintergrund

Auftakt des G20-Gipfels Im Schatten der Banken und der Eurokrise

Stand: 03.11.2011 14:01 Uhr

Der G20-Gipfel in Cannes steht im Zeichen der Schuldenkrise und der abflauenden Weltkonjunktur. Ein Aktionsplan soll das Wirtschaftswachstum stärken. Zugleich nehmen die Staats- und Regierungschefs 29 Großbanken und die Schattenbanken ins Visier.

Von David Rose, tagesschau.de

Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) treffen, sind die Erwartungen meist groß. Denn sie stehen für fast 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Angesichts der Schuldenkrise der Eurozone, des geplanten Referendums in Griechenland und der Sorge um die Weltwirtschaft ertönten auch vor dem Gipfel am Donnerstag und Freitag in Cannes Rufe nach entschlossenen Reaktionen.

Wenn die G20-Staaten vereinbaren, die Konjunktur anzukurbeln oder Finanzmärkte wirksamer zu beaufsichtigen, sollte das weitreichende Folgen haben. Aber G20-Gipfel sind informelle Treffen. Niemand kann die Teilnehmer zwingen, ihre Absichtserklärungen umzusetzen. Deshalb stehen beim Gipfel in Cannes abseits der neuesten Entwicklungen erneut Fragen auf der Tagesordnung, die laut Beschlüssen früherer G20-Treffen längst erledigt oder weit vorangetrieben sein sollten.

Rüdiger Paulert, R. Paulert, WDR Washington, 03.11.2011 10:48 Uhr

Schattenbanken im Visier des Gipfels

Ein Beispiel dafür sind Schattenbanken. Dabei handelt es sich etwa um Hedgefonds oder Geldmarktfonds - einfach um alle, die ähnliche Finanzgeschäfte wie Banken abwickeln, ohne selbst eine Bank zu sein. Schon 2008 einigten sich die G20-Staaten auf das Ziel, alle Finanzmärkte, alle Akteure und alle Finanzprodukte zu überwachen und zu regulieren. Der G20-Gipfel 2010 in Seoul beschloss ausdrücklich, die Überwachung und Regulierung von Schattenbanken voranzutreiben. Doch seither geschah kaum etwas. Obwohl Schattenbanken oft besonders große Risiken eingehen und viel Geld bewegen, werden sie bislang kaum kontrolliert. Das soll sich nach dem Treffen in Cannes ändern.

Denn Finanzaufseher warnen bereits seit einiger Zeit davor, dass die Schattenbanken das Finanzsystem ins Wanken bringen könnten. Viele hochriskante Geschäfte wurden von den Banken und Versicherungen, die inzwischen deutlich stärker beaufsichtigt werden, hin zu Schattenbanken verlagert. Deren Kapital stieg laut Schätzungen des Finanzstabilitätsrats (FSB) zwischen 2002 und 2010 von 27 auf 60 Billionen Dollar. Sie stehen damit bereits für 25 bis 30 Prozent des weltweiten Finanzsystems - in den USA sollen sie bereits die Banken überflügelt haben. In diesem Bereich will der G20-Gipfel eine Regulierung auf den Weg bringen, ohne dass dazu konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen. Klar ist nur, dass sich das Augenmerk zunächst auf die Geschäfte zwischen regulären Banken und Schattenbanken richten soll.

Wer sind die G20?
Die "Gruppe der 20" wurde 1999 ins Leben gerufen, um die Kooperation in Fragen des internationalen Finanzsystems zu verbessern. Zunächst trafen sich die G20-Staaten ausschließlich auf Ebene der Finanzminister, erst 2008 kamen erstmals die Staats- und Regierungschefs zu einem Gipfel zusammen.

Der G20 gehören alle Mitglieder der Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) an: USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada. Hinzu kommen Russland und China sowie die großen Schwellenländer Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika; außerdem Argentinien, Australien, Indonesien, Saudi-Arabien, Südkorea, die Türkei und die Europäische Union.

Auflagen für 29 wichtigste Banken

Wesentlich konkretere Beschlüsse streben die Staats- und Regierungschefs bei systemrelevanten Finanzinstituten (SIFIs) an. Gemeint sind damit Großbanken und andere Finanzkonzerne, die ihre Geschäfte über Landesgrenzen hinweg betreiben und so groß sind, dass ihr Zusammenbruch das weltweite Finanzsystem ins Wanken bringen könnte. Auf dem Gipfel soll eine Liste mit 29 dieser systemrelevanten Banken veröffentlicht werden - Versicherungen und Fonds werden später einbezogen.

Systemrelevante Banken müssen sich den Plänen zufolge bald mehr Geld besorgen, um damit ihre riskanten Geschäfte abzusichern. Die sogenannten Basel-III-Regeln fordern von allen Banken in den nächsten Jahren ohnehin eine Aufstockung ihres Eigenkapitals. Zusätzlich sollen die systemrelevanten Banken zwischen 2016 und 2019 ihre Kernkapitalquote um weitere 1,0 bis 2,5 Prozentpunkte. Dieses Vorgehen zielt darauf ab, dass betroffene Banken Verluste durch riskante Geschäfte besser alleine meistern können, ohne dass Staaten mit Milliardenhilfen einspringen müssen. Zudem soll ein Konzept beschlossen werden, wie sich mögliche Pleiten solcher Großbanken so organisieren lassen, dass die Folgen nicht auf das weltweite Finanzsystem durchschlagen.

Kernthema Weltkonjunktur

Trotz der Pläne zur Finanzmarktregulierung geht es in Cannes vorrangig um das Wachstum der Weltwirtschaft. Gerade erst senkte die OECD ihre Konjunkturprognose für 2012 massiv - vor allem eine Folge der Schuldenkrise in der Eurozone. Die globale Unterstützung der Europäer wird daher den G20-Gipfel beschäftigten. Denn alle Staaten sorgen sich um die eigene Wirtschaft. China, Japan und Russland kündigten bereits an, den Euro-Staaten helfen zu wollen. Auch Südkorea und Indien stellten ein finanzielles Engagement in Aussicht, um damit indirekt die Weltwirtschaft zu stabilisieren.

Ein Aktionsplan soll die globale Konjunktur stützen. Die einzelnen Staaten sollen auf unterschiedliche Weise zu einem nachhaltigen und ausgewogenen Wachstum beitragen. Schon seit dem Gipfel 2010 in Toronto gilt dabei das Ziel, die Haushaltsdefizite bis 2013 zu halbieren. Die Bundesregierung pocht darauf, diese getroffene Vereinbarung einzuhalten. Zugleich sollen Ungleichgewichte im Welthandel reduziert werden. So exportieren Deutschland und China weitaus mehr Waren als sie einführen. In den USA ist es genau umgekehrt. Für einzelne Staaten soll es künftig konkrete Empfehlungen geben, wie sie problematischen Entwicklungen entgegenwirken und welche Reformen sie durchführen sollen. Aber hier gilt in besonderem Maße: Die G20-Beschlüsse haben keinerlei bindende Wirkung - und die einzelnen Staaten sind oft nicht willens, ihre bisherige Politik zu ändern.

Reformpläne für Weltwährungssystem

Auch flexiblere Wechselkurse und eine Reform des internationalen Währungssystems stehen beim G20-Gipfel auf der Tagesordnung. Die Staats- und Regierungschefs wollen den Weg zu einem System ebnen, das die Dominanz der bisherigen Leitwährung US-Dollar verringert. Künftig sollen die Währungen wichtiger Schwellenländer wie China und Brasilien mehr Bedeutung bekommen. Dem Gipfel liegen zudem Vorschläge zur Steuerung der Kapitalströme vor. Wenn Investoren ihr Geld in Schwellenländern anlegen, wird deren Währung aufgewertet, was wiederum die Exporte dieser Staaten erschwert. Gleichzeitig fürchten die Schwellenländer die Situation, dass Spekulanten ihr Geld schlagartig aus dem Staat abziehen. Sie versuchen daher, den Devisenverkehr zu kontrollieren. Die G20-Staaten wollen Regeln vereinbaren, nach denen Eingriffe in den Kapitalverkehr nur das letzte Mittel sein sollen.

Angesichts der vorrangigen anderen Themen spielen Fragen wie die Entwicklungspolitik oder der Kampf gegen hohe Rohstoffpreise nur eine untergeordnete Rolle in Cannes. Deutschland will auch die Finanztransaktionssteuer wieder zur Sprache bringen. Laut Angaben aus Regierungskreisen wird aber angesichts der bekannten Widerstände anderer Staaten nicht mit einem Erfolg des Vorstoßes gerechnet. Wie viele andere Fragen wird dieses Thema auch bei künftigen G20-Gipfel immer wieder auftauchen.