Interview

Chefanalyst kritisiert Ratingagentur "Die Herabstufung Spaniens ist skandalös"

Stand: 14.06.2012 12:45 Uhr

Die Ratingagentur Moody's hat Spanien herabgestuft, weil das Land den Euro-Rettungsschirm in Anspruch nimmt, um seine Banken zu retten. Ein absolut unrealistischer Schritt, meint Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, im Gespräch mit tagesschau.de

tagesschau.de: Spanien wird in der Moody's-Bewertung um gleich drei Stufen auf einmal zurückgesetzt. Ist das realistisch?

Folker Hellmeyer: Ich halte das für absolut unrealistisch. Wir haben in Spanien derzeit eine Staatsverschuldung von 70 Prozent der Wirtschaftsleistung. Deutschland hat 81 Prozent. Und auch mit dem 100 Milliarden Euro-Programm würde die Staatsverschuldung dann auf 80 Prozent ansteigen, das ist kein prekäres Niveau. Wenn wir uns die USA anschauen, sind wir bei 105 Prozent. Gerade diese Maßnahmen, die jetzt zugunsten der Banken getroffen werden, führen dazu, dass die Konjunktur die Grundlage bekommt, stabilisiert zu werden - und diese positiven Effekte werden hier von den Ratingagenturen aggressiv ausgeblendet.

Zur Person
Seit 2002 ist Folker Hellmeyer Chefanalyst der Bremer Landesbank. Davor arbeitete gelernte Bankfachwirt als Händler und Analyst bei der Deutschen Bank und der Landesbank Hessen-Thüringen. Hellmeyer ist Experte für internationale Finanzmärkte.

"Wir brauchen jetzt die Solidarität der Euro-Zone"

tagesschau.de: Geht es Moody's nur darum, Beachtung zu finden, oder steckt mehr dahinter?

Hellmeyer: Ich persönlich sehe sehr viel mehr dahinter. Ich halte es für skandalös, dass hier nicht unterschieden wird zwischen einerseits der Reformpolitik in der Euro-Zone, die mittel- und langfristig das Wachstum in diesen Ländern deutlich erhöht. Wo wir im Grunde genommen in der Neuverschuldung also eine investive Grundqualität erkennen. Auf der anderen Seite sehen wir die USA oder auch Japan, die sehr stabil und positiv bewertet werden - die aber den Begriff Reform noch nicht einmal buchstabieren können und sehr viel höhere Neuverschuldungsraten haben. Was hier passiert, ist auch ein gutes Stück weit Politik, und ich halte das für skandalös.

tagesschau.de: Jetzt dürfte die Geldbeschaffung für Spanien wieder teurer werden. Reichen die Reformschritte dort trotzdem aus, um irgendwann die Wende zu schaffen?

Hellmeyer: Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass wir in Europa, in Spanien, in allen Reformländern diese Dinge auf den Weg bringen. Wir haben jetzt in den meisten Ländern mehr als zwei Jahre Reformpolitik hinter uns, und diese Reformen wirken sich schlussendlich auch aus. Aber wir brauchen dafür die interne Solidarität der Euro-Zone. Denn dass, was wir von außen an Misstrauen aus den Finanzplätzen London und New York entgegengebracht bekommen, ist eine harte Belastungsprobe.

Das Interview führte Gerrit Derkowski, tagesschau24