Interview

Interview zum Hilfspaket für die HRE "HRE-Pleite wäre abschreckendes Beispiel gewesen"

Stand: 06.10.2008 18:08 Uhr

Mit einer Milliarden-Bürgschaft hat der Staat die Hypo Real Estate fürs Erste stabilisiert. Der Banken-Experte Otte kritisiert diesen Schritt. Im Gespräch mit tagesschau.de sagt er: Eine Pleite wäre ein abschreckendes Beispiel gewesen und hätte eine Bank getroffen, die Fehler gemacht hat.

Mit einer Milliarden-Bürgschaft hat der Staat die Hypo Real Estate fürs Erste stabilisiert. Einmal mehr hilft der Staat damit einer Bank, die mit einer falschen Geschäftspolitik in Not geraten ist. Ist dies der richtige Weg? Oder wäre es nicht sinnvoller, eine Bank in die Insolvenz gehen zu lassen? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Wirtschaftswissenschaftler und Anlagenberater Max Otte.

tagesschau.de: Wie hoch ist das Risiko, das der Staat mit der Milliarden-Bürgschaft für die HRE eingeht?

Max Otte: Es ist da, denn wir wissen nicht, ob diese normalerweise als sehr sicher eingestuften Staatsschulden wirklich sicher sind. Aber sie haben natürlich eine ganz andere Qualität als die minderwertigen Subprime-Kredite, die ansonsten vergeben wurden. Ich kann mir vorstellen, dass die Bank mit dieser Bürgschaft gerettet wurde, denn sie hatte ja vor allem ein Liquiditätsproblem.

tagesschau.de: Abgesehen von ihrer Informationspolitik: Hat die HRE-Tochter Depfa mit ihrem Geschäftsmodell etwas falsch gemacht?

Otte: Natürlich – wie so viele Banken. Ich darf den Großinvestor und Erzkapitalisten Warren Buffett zitieren: Er hat gesagt, Banken machen ihn nervös, wenn sie vor allem viel Geld verdienen wollen. Er meinte damit: Oberste Pflicht der Banken ist, Risiken einzuschätzen und zu vermeiden. Wenn ihnen das geglückt ist, können sie ans Geldverdienen denken. Das aber haben in den den vergangenen 15, 20 Jahren die Banken oft anders gemacht. Sie haben sich nicht um Risiken gekümmert, sondern die Augen zugemacht und gesagt: Wird schon gut gehen! Das war sträflich leichtsinnig. Wenn für einen Kaufmann die kaufmännische Vorsicht gilt, gilt für einen Bankmanager eine noch schärfere Vorsicht. Das ist reihenweise missachtet worden.

"Goldene Regel missachtet"

tagesschau.de: Dabei gilt doch der Handel mit Pfandbriefen als hochsolide.

Otte: Das hängt davon ab, wie man sich refinanziert. Wenn man in großem Stil langfristige Kredite gibt und sich kurzfristig verschuldet, geht man ein hohes Risiko ein.

tagesschau.de: Nun springt der Staat der HRE mit einem milliardenschweren Paket zur Seite und muss doch nach nur einer Woche ein weiteres Milliardenpaket auflegen. Ist die HRE ein Fass ohne Boden – und ist es gerechtfertigt, so viel Steuergeld zu riskieren?

Otte: Diese Frage wird sich in diesem Fall vielleicht nie eindeutig klären lassen. Man hätte auch die HRE in die Insolvenz gehen lassen und dann die Sekundärfolgen auffangen können. Dann hätten andere Banken durch den Ausfall der HRE ebenfalls riesige Löcher in den Bilanzen bekommen, Banken in der zweiten Reihe wären ins Wackeln geraten – dann hätte man eben diese aufgefangen. Aber es hätte einen getroffen, der riesige Fehler gemacht hat. Das wäre ein abschreckendes Beispiel und deswegen nicht falsch gewesen – so wie es mit Lehman Brothers in den USA war.

tagesschau.de: Hätte dann aber nicht ein Dominoeffekt gedroht, möglicherweise Panik in der Bevölkerung – wäre das den Preis wert gewesen?

Otte: Das ist im Moment nicht klar. Möglicherweise wäre es den Preis wert gewesen, denn so ist kein Bankmanager gescheitert. Sie werden alle gerettet - selbst die IKB. Im Rückblick hätte man sie vor die Wand fahren lassen sollen. Es wurde viel Geld für ihre Rettung verbraucht, um sie dann für ein paar hundert Millionen Euro an einen ausländischen Finanzinvestor zu verkaufen. Aber bei der HRE bleibt die Frage offen. Ich denke, dass die HRE erst einmal darauf gesetzt hat, den Staat mit ins Boot zu holen um dann als Salamitaktik zu offenbaren, dass sie noch weitere Löcher in den Bilanzen hat. Es ist konsequent, dass die Bundesregierung sich dagegen gestemmt und die Banken aufgefordert hat, ihre Kreditgarantien aufzustocken. Da haben Merkel und Steinbrück Standhaftigkeit bewiesen und sich nicht vom Bankensystem missbrauchen lassen.

"Auch Schrotthandel kann Gewinne abwerfen"

tagesschau.de: Die CSU fordert bereits einen umfassenden Rettungsplan nach dem Vorbild der USA. Brauchen wir den oder macht sich der Staat damit zum "Schrotthändler"?

Otte: Auch im Schrotthandel kann man Geld verdienen. In den USA kann der Staat möglicherweise mit dem Rettungsplan am Ende einen Gewinn erzielen. Derzeit übernimmt er schlechte Kredite zu geringen Preisen, um wieder einen Markt zu schaffen. Er kann sie liegen lassen und macht vielleicht sogar Gewinne. In Deutschland brauchen wir so etwas nicht. Unsere Bilanzen sind nicht so wackelig. Einige Banken wie die IKB oder sie SachsenLB haben auch die giftigen Subprime-Kredite, aber insgesamt steht unser Bankensystem etwas solider da.

tagesschau.de: Der Bundesfinanzminister deutet an, man müsse über ein bundesweites Sicherungssystem nachdenken. Wie könnte so etwas aussehen?

Otte: Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob man für alle Banken garantieren muss. Vielleicht meint er, dass den Banken per Gesetz ein Kapitalfonds auferlegt wird – zusätzlich zum Einlagenfond. In solch einen Fonds könnten die Banken Kapital einzahlen, um sich gegenseitig beizustehen. Das hielte ich aber für den falschen Weg. Richtig ist es, die Einlagen der Sparer höher oder unbegrenzt zu sichern, was die Bundesregierung ja auch tun will. Dann muss man die Eigenkapital- und Buchhaltungsvorschriften für die Banken verschärfen, damit die Bilanztricks verhindert werden. Und man muss eine schärfere Aufsicht ausüben, damit gewisse Geschäfte nicht mehr gemacht werden. Das wäre der richtige Weg. Natürlich kann man die Finanzjongleure weiter jonglieren lassen und auffangen, was runterfällt. Mir wäre es sympathischer, die Jongliertricks einzugrenzen. Dann muss man auch nicht so viel auffangen.

"Garantie stiftet Vertrauen"

tagesschau.de: Ist das Versprechen der Bundesregierung, die Einlagen aller Sparer zu garantieren, realistisch?

Otte: Im Prinzip kann der Staat Geld in beliebiger Summe drucken. Wenn die Sparer innerhalb kurzer Zeit vielen Banken die Türen einrennen, wären die Banken theoretisch unterfinanziert und der Staat könnte ihnen die Liquidität einfach zur Verfügung stellen. Problematisch wäre das erst, wenn die Leute das Geld tatsächlich ausgeben würden. Das würde die Inflation erheblich anheizen. Aber das werden sie kaum tun. Sie wollen das Geld erst einmal haben und horten. Deswegen ist so eine Garantie genau das Richtige. Sie signalisiert dem Kunden, dass er sein Geld ruhig abheben kann, wenn er es denn will. Das stiftet Vertrauen und trägt zur Stabilität bei.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de