Interview

Interview mit HWWI-Konjunkturchef Rasantes Wachstum - aber nicht für alle

Stand: 13.08.2010 09:29 Uhr

Die deutsche Wirtschaft wächst so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung: Das meldet das Statistische Bundesamt. Doch nicht alle profitieren vom Aufschwung, sagt Konjunkturexperte Bräuninger im Interview mit tagesschau.de. Zugleich warnt er vor Risiken für die Konjunkturerholung. Vor allem in den USA sei die Wirtschaft noch sehr von den staatlichen Konjunkturprogrammen abhängig.

tagesschau.de: Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal kräftig gewachsen. Ist Deutschland eine Lokomotive der weltweiten Konjunkturerholung oder wird es eher von Ländern wie China mitgezogen?

Michael Bräuninger: Die deutsche Wirtschaft liegt im Mittelfeld. Es gibt einige Länder, insbesondere die Schwellenländer, die deutlich stärker und schneller wachsen und Deutschland über die Exporte mitziehen. Es gibt aber andererseits viele Industrieländer, die deutlich langsamer wachsen als Deutschland. In diesen Ländern sind neben der Konjunkturkrise auch größere Strukturprobleme zu bewältigen. Hier hat Deutschland in den vergangenen Jahren gute Reformen hingelegt. Diese erlauben jetzt ein relativ robustes Wachstum.

Zur Person
Michael Bräuninger leitet am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) den Bereich "Wirtschaftliche Trends" mit den Schwerpunkten Konjunktur und Wachstumspolitik. Er unterrichtet als Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, wo er mit einer Arbeit zur Rentenversicherung auch habilitierte.

"Exportbranchen wachsen am stärksten"

tagesschau.de: Welche Branchen tragen den aktuellen Aufschwung in Deutschland und welche profitieren kaum vom Wirtschaftswachstum?

Bräuninger: In der Krise sind zunächst alle exportorientierten Branchen besonders stark eingebrochen. Umgekehrt sind jetzt in diesen Branchen die Erholungsprozesse und die Wachstumsraten am stärksten. Das ist insbesondere der Maschinenbau, aber auch die Chemieindustrie und die Automobilindustrie.

tagesschau.de: Die Exporte laufen wieder gut, aber der Privatkonsum hinkt noch hinterher. Sind allein die Exportfirmen die Gewinner des Aufschwungs?

Bräuninger: Die Exportfirmen sind derzeit diejenigen mit den größten Veränderungen. Umgekehrt muss man aber sagen, dass im Dienstleistungsbereich die Einbrüche sehr viel geringer waren - und damit jetzt auch die Wachstumsraten. Das bedeutet aber nicht, dass es den Firmen dort wirklich schlechter geht, sondern sie haben einfach nicht so viel aufzuholen.

tagesschau.de: Die französische Regierung kritisierte kürzlich, dass der Erfolg der deutschen Exportwirtschaft zu Lasten der anderen Staaten in Europa gehe. Gleichzeitig zeigen aber die aktuellen Zahlen zum deutschen Außenhandel, dass auch die Einfuhren aus den EU-Staaten kräftig steigen. Wer leidet unter den Wachstumsraten der deutschen Exporte?

Bräuninger: Die Behauptung, dass darunter die anderen Staaten zu leiden haben, ist nicht plausibel. Deutschland ist international sehr stark vernetzt. Wir exportieren sehr viel, aber wir importieren auch sehr viel. Wir sind spezialisiert im Bereich des Maschinenbaus und der Automobilindustrie. Das sind exportstarke Branchen. Umgekehrt importieren wir Konsumgüter. Insofern ist es nicht richtig, dass andere Staaten darunter stark leiden.

"Erstaunlich wenige Firmenpleiten"

tagesschau.de: Viele Konzerne steuern derzeit auf Rekordergebnisse zu, nachdem es im Krisenjahr 2009 noch eine Pleitewelle bei den Unternehmen gab. Ist der Erfolg der großen Firmen auch ein Ergebnis dieser Entwicklung im vergangenen Jahr?

Bräuninger: Nein, das ist kein Wettbewerb, in dem es um Verdrängung geht. Wir hatten eine schwere Krise, in der viele Unternehmen insolvent geworden sind. Insgesamt hat es aber angesichts des tiefen Einbruchs erstaunlich wenige Firmenpleiten gegeben. Natürlich waren die Firmen betroffen, die strukturell am ehesten Probleme hatten. Firmen, die gut aufgestellt waren, haben die Krise überlebt und können jetzt wieder schnell wachsen.

tagesschau.de: Die Gewerkschaften haben angekündigt, die Lohnzurückhaltung in den anstehenden Tarifrunden aufzugeben. Entwickeln sich die Unternehmensgewinne derzeit so gut, weil die Arbeitnehmer den Preis dafür zahlen?

Bräuninger: In der Krise waren die Lohnverhandlungen sehr moderat und die Löhne stiegen nur gering oder stagnierten. Umgekehrt haben die Unternehmen ihren Beitrag geleistet, indem sie die Beschäftigung trotz des tiefen Einbruchs in der Produktion relativ stabil gehalten haben. In diesem Jahr, in dem wir erst langsam aus der Krise herauskommen, steigen die Löhne weiter nur sehr langsam. Das ist angemessen und richtig, denn andernfalls würde man diese sehr gute Beschäftigungsentwicklung gefährden. Im nächsten Jahr wird es sicherlich etwas höhere Lohnabschlüsse geben. Es ist auch dann noch nicht die Zeit für rasante Lohnabschlüsse, aber es wird in Richtung normaler Tarifabschlüsse gehen, die sich am Produktivitätszuwachs orientieren.

tagesschau.de: Nicht nur in Deutschland laufen zum Jahresende viele der staatlichen Konjunkturprogramme aus. Lässt sich vor diesem Hintergrund schon sagen, dass die Krise überstanden ist?

Bräuninger: Die Krise ist noch nicht überstanden. Wir kommen wieder in normale Wachstumsraten hinein und in etwas, was ein langsamer, selbsttragender Aufschwung wird. Die Wirtschaft ist nicht mehr direkt von den Konjunkturprogrammen abhängig. Insbesondere die Schwellenländer entwickeln sich wieder sehr gut. Der internationale Handel ist wieder in Fahrt gekommen. Umgekehrt gibt es noch große Risiken für die Konjunktur - insbesondere in den USA. Dort hängt die Konjunktur noch sehr stark an den Konjunkturprogrammen. Die Gesamtverschuldung und die Neuverschuldung sind sehr hoch. Es ist noch immer die Frage, wie die USA es verkraften werden, wenn hier eine Korrektur stattfindet und eine Konsolidierungspolitik eingeleitet wird.

Das Interview führte David Rose, tagesschau.de.