Interview

Interview mit Otmar Issing "IWF-Hilfe ist die einzige Alternative"

Stand: 10.02.2010 21:58 Uhr

Keine EU-Hilfen für Griechenland - das fordert das ehemalige Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, im tagesschau.de-Interview. Griechenland müsse zunächst seine Strukturprobleme lösen, dann könne es Hilfen geben - aber nicht von der EU, sondern vom Internationalen Währungsfonds.

tagesschau.de: Es mehren sich die Anzeichen, dass die EU dem von der Staatspleite bedrohten Griechenland zu Hilfe kommen wird. Was halten Sie von einem solchen Eingreifen der EU?

Otmar Issing: Ich kann den politischen Druck zwar verstehen, halte es allerdings für eine falsche Reaktion. Das bedeutet doch, dass man die im Maastricht-Vertrag festgelegte No-Bail-Out-Klausel verletzt. Diese besagt, dass Mitgliedsstaaten nicht für die Schulden anderer Staaten haften dürfen. Wenn man jetzt Griechenland finanzielle Hilfen gewährt, dann ist das ein Verstoß gegen diese Klausel. Die verträgt aber keinen Kompromiss: Wenn man einmal dagegen verstößt, gibt es kein Halten mehr. Wie kann man heute Griechenland Hilfen geben und sie morgen anderen Staaten verweigern? Es würden damit Schleusen geöffnet. Aus dieser kurzfristig scheinbar einleuchtenden Entscheidung würden schwerwiegende negative Konsequenzen folgen.

tagesschau.de: Warum ist es den EU-Staaten nicht erlaubt, sich finanziell zu helfen und füreinander einzustehen?

Issing: Die Europäische Union ist kein Staat, sondern eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Währung und einer gemeinsamen Notenbank, der Europäischen Zentralbank. Die Mitgliedsstaaten sind aber weiterhin souverän. Die Währungsunion ist auf zwei Pfeilern aufgebaut: auf dem stabilen Euro, garantiert durch eine unabhängige Notenbank, und auf stabilen Staatsfinanzen. Die Union ist kein Bundesstaat, in dem es im Notfall Hilfen der anderen Staaten gibt. Jeder Staat ist für seine Finanzen verantwortlich. Gegen dieses Prinzip darf man nicht verstoßen.

Griechenland hat in der Vergangenheit größten Nutzen aus der Teilnahme an der Währungsunion gezogen. Es hat von der Stabilität des Euro profitiert und hat so für seine Kredite äußerst niedrige Zinsen bezahlt. Die hat es zuvor mit der griechischen Währung nie bekommen. Dieses Land hat über viele, viele Jahre auf Pump gelebt, zum großen Teil finanziert durch Kredite aus dem Ausland. Von der EU ist Griechenland dafür oft genug gewarnt worden. Wenn man einem solchen Land jetzt hilft, dann belohnt man nachträglich vertragswidriges Verhalten.

Zur Person
Otmar Issing, Jahrgang 1936, war acht Jahre lang Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank. Mittlerweile ist er Präsident des Center for Financial Studies an der Goethe Universität Frankfurt.

"Schwerer Schaden für europäische Integration"

tagesschau.de: Lassen wir mal die Hilfe der Staaten untereinander außer Acht – wäre es möglich, dass die EU direkt einspringt?

Issing: Die EU hat im Prinzip kein Geld, das sie verteilen kann. Dieses Geld muss von den Mitgliedsstaaten kommen. Wenn die EU Gelder verteilt, dann landet die Rechnung dafür bei den einzelnen Mitgliedsstaaten. Ich glaube nicht, dass deutsche oder französische Steuerzahler bereit sind, höhere Steuern zu bezahlen, um so Griechenland zu helfen.

Es würde allerorten neue Verärgerung über die EU entstehen. In Griechenland wäre man böse auf Brüssel, weil Hilfen mit Auflagen verbunden sein würden. Und die Länder, die am Ende höhere Steuern bezahlen, um Hilfen zu finanzieren, wären darüber alles andere als glücklich. Gewährt die EU also Hilfen, dann wäre das ein Vorgang, der der weiteren europäischen Integration schweren Schaden zufügen könnte.

tagesschau.de: Wie wäre es denn, wenn die EU die sogenannten Regionalhilfen - also Geld, das Griechenland ohnehin in den kommenden Jahren erhalten wird - stattdessen einfach vorzieht?

Issing: Das Problem ist weiterhin, dass das Geld auch sinnvoll ausgegeben werden muss. Wenn Geld aus Europa kommt und in Griechenland zum Beispiel in die Finanzierung eines großzügigen Pensionssystems fließt, das sich kein anderes Land leistet, dann trägt das Geld nicht dazu bei, dass Griechenland am Ende seine Probleme löst. Das bedeutet lediglich, dass weitere Mittel der Gemeinschaft verschwendet werden.

"IWF-Hilfe ist die einzige Alternative"

tagesschau.de: Was wäre dann die Alternative? Hat die EU überhaupt die Möglichkeit, Griechenland zu helfen?

Issing: Man sollte die Diskussion über die Situation in Griechenland nicht mit Diskussionen um finanzielle Hilfe beginnen. Man sollte zunächst über den griechischen Beitrag sprechen: Es fehlt weiterhin ein umfassendes Reformprogramm und die Unterstützung dafür aus der Bevölkerung. Den Griechen muss erst voll bewusst werden, dass sie sich in einer tiefen Krise befinden. Ihnen muss bewusst werden, dass dies auch eine Chance ist – vielleicht ihre letzte. Jetzt können und müssen die Griechen ihre Wirtschaft auf eine solide Basis stellen. Das erfordert zwar tiefe Einschnitte, aber ohne die wird es nicht gehen.

tagesschau.de: Was würde passieren, wenn Hilfen von der EU ausblieben, sich die griechische Mentalität nicht verändert und alles so weitergeht wie bisher? Könnten die Griechen ihr Land dann tatsächlich an die Wand fahren?

Issing: Darauf liefe es am Ende hinaus. Die griechische Drohung 'Dann verlassen wir eben den Euro' darf man übrigens nicht ernst nehmen. Das ist keine wirkliche Option. Ein solcher Schritt wäre ökonomischer Selbstmord.

tagesschau.de: Würde, bevor es soweit ist, nicht der Internationale Währungsfonds (IWF) Griechenland zur Seite springen?

Issing: Das halte ich unter den gegebenen Umständen für die beste und einzig mögliche Alternative. Der IWF kann seine Hilfen unter sehr strikten Bedingungen vergeben. Das hat er schon sehr oft gemacht und wurde dafür auch kritisiert. Aber der IWF ist für diese Rolle geradezu geschaffen: Er ist nämlich weit weg vom Geschehen. Wenn aber Geld und damit auch Auflagen aus Europa kommen, dann würde das nur den Zorn auf Europa schüren. Schon deswegen ist der Weg zum IWF die weit bessere Lösung.

"Die Spielregeln müssen eingehalten werden"

tagesschau.de: Welche Konsequenzen hat die derzeitige Situation Griechenlands für den Euro?

Issing: Der derzeit schwächere Wechselkurs des Euro wird nicht zuletzt auf die Griechenland-Diskussion zurückgeführt. Wobei es schon kurios ist, dass die, die sich vor kurzem noch über den zu starken Euro beklagt haben, jetzt die Schwächung des Euro als ein Argument für Hilfen für Griechenland nehmen. Das ist eine abwegige Argumentation!

Der Euro wird auf Dauer nur eine stabile Währung bleiben können, wenn die Verhältnisse im Euroraum stabil sind. Das bedeutet, dass die Spielregeln eingehalten werden müssen. Preisstabilität und stabile öffentliche Finanzen sind die Basis. Die aktuellen Währungsschwankungen sind nur vorübergehend. Es ist jetzt wichtig, wie die Weichen für die Zukunft gestellt werden.

tagesschau.de: Was glauben Sie denn, wie diese Weichenstellung aussehen wird?

Issing: Ich habe die Befürchtung, dass Kompromisse geschlossen werden, die der Anfang permanenter Diskussionen, Verhandlungen und Ärgernisse in der Währungsunion sein werden.

Das Interview führte Andreas Wallbillich für tagesschau.de