Interview

ARD-Korrespondent Krause zur Krise "Halbseidene Kompromisse gehen nicht mehr"

Stand: 08.12.2011 05:15 Uhr

Die Erwartungen an den EU-Gipfel sind hoch: Aber diesmal dürften Kanzlerin Merkel und ihre Kollegen bei der Euro-Rettung keine faulen Deals machen, sagt ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause im Gespräch mit tagesschau.de. Nur wenn sich die Euro-Staaten an klare Regeln hielten, wären sie glaubwürdig - und für Geldgeber attraktiv.

tagesschau.de: Seit Ausbruch der Krise jagt ein Gipfeltreffen das nächste - und jedes Mal währte der Jubel in der Politik und auf den Märkten nur kurz, die Ergebnisse verpufften. Warum soll das diesmal anders sein?

Rolf-Dieter Krause: Das Krisenmanagement der Staats- und Regierungschefs war in der Vergangenheit in der Tat nicht sehr beeindruckend. Sie gaben sich viel zu lange der Illusion hin, mit dem üblichen europäischen Verfahren - und manchmal ziemlich halbseidenen Kompromissen - das Problem lösen zu können. Und das geht jetzt nicht mehr.

In den vergangenen Jahren zerstörten die europäischen Politiker mit ihrem Gezerre gründlich das Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit: Sie haben immer gigantischere Milliardenbeträge etwa in Rettungsfonds oder bilaterale Hilfen für Griechenland gesteckt - ohne wirklichen Erfolg. Aber nun gibt es ein paar Anzeichen dafür, dass sie jetzt in der Realität angekommen sind.

tagesschau.de: Welche sind das?

Krause: Nach allem, was man in Brüssel hört, soll es auf diesem Treffen nicht zu irgendwelchen Deals kommen. Denn hier geht es nicht um ein deutsches, französisches oder italienisches Interesse. Es geht um die Euro-Zone als Ganzes - und das scheint in den Köpfen der Politiker auch anzukommen. Entscheidend sind bei der Bewältigung der Krise nicht ein paar Millionen mehr oder weniger. Das über Jahre verloren gegangene Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik - und damit auch in die Euro-Zone - muss wieder hergestellt werden.

"Signal der Orthodoxie" erforderlich

tagesschau.de: Und wie soll das geschehen?   

Krause: Vor allem muss man der Welt signalisieren: 'Wir in der Euro-Zone wollen zusammen bleiben - und lassen uns nicht auseinandertreiben.' Und zweitens: 'Wir nehmen endlich ernst, was wir selbst beschlossen haben.' Die Regeln, wie hoch Staatsschulden sein dürfen, stehen doch seit 20 Jahren fest. Nur hat man sie nicht eingehalten.  'Wir werden streng, wir werden orthodox' - das ist das Signal, das von diesem Treffen ausgehen muss.

Die Europäer müssen dafür eine gemeinsame Sichtweise finden, auch wenn das nicht leicht wird - und dafür sorgen, dass auch diejenigen mitmachen, bei denen vielleicht die monetäre Kultur eher dafür spricht, mit den Regeln laxer umzugehen. Deswegen drängt die Bundesregierung ja auch auf eine Änderung der EU-Verträge, damit da kein Spielraum mehr bleibt.

Zur Person
Rolf-Dieter Krause leitet seit 2001 das ARD-Fernsehstudio in Brüssel. Bereits 1992 veröffentlichte der gebürtige Lüneburger sein Buch "Europa auf der Kippe: Vierzehn Argumente gegen den Vertrag von Maastricht". 2012 wurde er vom Medium Magazin als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet. Er sei im Schicksalsjahr der Eurokrise zum Erklärer Europas geworden.

tagesschau.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy geben sich nach außen geschlossen: Sie wollen zum Beispiel automatische Strafen für Defizitsünder in die EU-Verträge schreiben. Aber ziehen die beiden hinter den Kulissen tatsächlich an einem Strang?

Krause: Das ist eine der am schwierigsten zu beantwortenden Fragen, weil sie beide - Merkel und Sarkozy - aus verschiedenen monetären Kulturen kommen. Schon das Verständnis der Rolle einer Zentralbank ist sehr unterschiedlich. Wie wichtig Geldwertstabilität ist, wird in Frankreich anders gesehen als in Deutschland.

Ob die beiden es wirklich geschafft haben, sich bei ihrem jüngsten Treffen in Paris zusammenzuraufen, um an einem Strang zu ziehen, wird man sehen. Am Ende zählt, was auf dem Gipfel beschlossen wird - und dass man da dann nicht mehr herum deutelt, sondern zu den Entscheidungen steht und sie umsetzt.

tagesschau.de: Vor allem Merkel musste ihre Positionen im Laufe der Krise immer wieder zurücknehmen. Erst sperrte sie sich gegen Rettungsmaßnahmen, dann stimmte sie zu. Wie bewerten Sie rückblickend diese Politik? 

Krause: Auch Merkel hat schreckliche Fehler begangen. Es ist erst ein paar Monate her, da bestand sie darauf, dass die privaten Gläubiger immer einbezogen werden und mitzahlen müssen, wenn Staaten ins Schleudern geraten. Aber das hat das Misstrauen der Investoren gigantisch erhöht. Und das ist einer der Gründe der Schwierigkeiten, die Spanien und Italien bei ihrer Finanzierung haben. Denn die Investoren können nicht mehr davon ausgehen, dass alle Staatsanleihen in der Euro-Zone sicher sind. Das war ein fataler Fehler.

Die deutsche Kanzlerin ist da nicht die Lichtgestalt vor einem ansonsten düsteren europäischen Hintergrund, auch wenn das sicherlich manche in Berlin so zeichnen wollen. Man hätte manchmal bei der Krisenbewältigung besser auf kleinere Länder mit mehr Erfahrung - etwa die Benelux-Staaten - gehört.  

tagesschau.de: Von den politischen Akteuren zu den heftig kritisierten Ratingagenturen. Standard & Poor's drohte am Montag Deutschland und 14 weitere Euro-Staaten mit einer Senkung der Bonität. Doch die Börsen reagierten gelassen. Warum hat die Finanzmärkte das so wenig beeindruckt?

Krause: S&P hat nur öffentlich gemacht, was die Märkte längst vorweg genommen hatten - und deswegen gab es keine große Aufregung. Denn in der Vergangenheit ist es immer schwieriger geworden, die Anleihen des Rettungsschirms EFSF zu platzieren. Auch Deutschland zahlt höhere Zinsen als noch vor kurzem. Nichts anderes hat S&P bekanntgegeben.

tagesschau.de: Eine Aussage von S&P lautet auch: Reines Sparen kann den strauchelnden Wirtschaften - vor allem im Süden Europas - nicht helfen. Ist der eingeschlagene Sparkurs, den die Euro-Staaten verfolgen, falsch?

Krause: Sparen und die Wirtschaft in Gang zu bringen, ist kein Widerspruch. In Europa gibt es viele Möglichkeiten, durch den Abbau bürokratischer Hürden auch für Wachstum zu sorgen - ohne dafür die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben. Die Ratingagentur S&P sagt auch, dass sie das Problem vor allem in der Politik sieht, die die falschen Bedingungen geschaffen hat. Bei der Kritik an den Ratingagenturen oder den Finanzmärkten generell wird meistens übersehen, dass die Staaten von diesen Finanzmärkten Geld wollen.

Alleine im kommenden Frühjahr wollen die Euro-Staaten mehrere Hundert Milliarden Euro geliehen bekommen. Aber ob ein Investor einem Staat Geld leiht, bestimmt der Investor - und nicht der Staat. Wenn man so abhängig von Krediten ist, dann regieren die Investoren mit. In diese Lage haben sich die Staaten aber selbst gebracht. Und deswegen ist es so wichtig, die Schulden zurückzufahren, damit man auch aus dieser Abhängigkeit auch wieder herauskommt.

tagesschau.de: In Südeuropa sind nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politischen Auswirkungen der Euro-Krise am drastischsten spürbar: Der griechische Haushalt wird de facto von Brüssel kontrolliert. Sind das Vorboten einer künftigen Entwicklung? Läuft es auf weniger Souveränität der Mitgliedstaaten hinaus?

Krause: Griechenland ist ein Extremfall. Ein Staat, der auf die Hilfe von anderen angewiesen ist, verliert natürlich auch ein Stück weit die Souveränität. Aber das liegt auch in der Sache: Als die europäischen Staaten eine gemeinsame Währung wollten, wollten sie die Vorteile der D-Mark - inklusive niedrigem Zinssatz und größerer Stabilität. Doch man kann den Vorteil einer starken Währung nicht haben, ohne die Politik, die dahinter steckt. Und dies läuft am Ende auf eine stärkere Verzahnung der Wirtschafts- und Finanzpolitik hinaus.

Volker Finthammer, V. Finthammer, DLF, 08.12.2011 08:22 Uhr

Aber dahinter steckt noch ein viel größeres Problem: Ein Großteil der Probleme in der Euro-Zone liegt in der unterschiedlichen Tarifpolitik. Darauf haben die Politiker aber keinen Einfluss. Wenn in einem Land ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Unternehmen Lohnerhöhungen beschlossen werden, dann kann das Land in der Euro-Zone nicht mehr abwerten - und es verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Das kostet den Staat Steuereinnahmen und erhöht seine Sozialausgaben und damit die Verschuldung. Aber in die Tarifautonomie will niemand eingreifen. 

Es liegt an den Gewerkschaften, ihre Tarifpolitik aufeinander abzustimmen. In der Tarifpolitik wird immer noch so getan, als wäre jedes Land für sich alleine. In Deutschland wissen die Gewerkschaften wegen der Mitbestimmung sehr genau, was sie sich an Tariferhöhungen leisten können. In anderen Ländern gibt's diese Transparenz nicht. Dort wurden teilweise massive Lohnerhöhungen durchgesetzt. Doch das ging nur so lange gut, bis der Karren an die Wand gefahren wurde.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.