Nachfolgesuche an der IWF-Spitze "Strauss-Kahn ist vollkommen ersetzbar"
Wer neuer Chef wird, sei für die Ausrichtung des Internationalen Währungsfonds unwichtig, sagt Wirtschaftsforscher Dreher im Interview mit tagesschau.de. Denn gegen die USA seien ohnehin keine Entscheidungen möglich. Strauss-Kahns Nachfolger werde ein Europäer - als Ergebnis eines Länder-Geschachers.
tagesschau.de: Der IWF betont, er sei voll handlungsfähig. Wie wichtig ist der geschäftsführende Direktor für die Entscheidungen innerhalb des IWF?
Axel Dreher: Strauss-Kahn ist vollkommen ersetzbar. John Lipsky kann als Managing Vice Director problemlos die Geschäfte weiterführen. Die zentralen Entscheidungen werden in den USA in Absprache mit den anderen G7-Ländern getroffen. Von den Stimmrechtsanteilen haben die USA fast 17 Prozent, die G7-Länder insgesamt um die 40 Prozent. Es wird also keine wichtige Entscheidung ohne die Zustimmung der USA getroffen.
"Entscheidend ist die Nationalität des Kandidaten"
tagesschau.de: Im Zusammenhang mit der Schuldenkrise in Euro-Staaten saß der IWF-Chef bei Spitzentreffen der Europäer oft mit am Tisch. Welche Rolle spielt die Person an der Spitze des IWF für solche Entscheidungsprozesse?
Dreher: Ich halte auch das nicht für sehr wichtig. Natürlich ist immer Persönlichkeit dabei. Jeder, der mit am Tisch sitzt, kann mitreden. Dann kommt es darauf an, ob jemand überzeugen kann. Es macht einen Unterschied, ob es ein weltgewandter Staatsmann ist, der seine Ansichten einbringen und glaubhaft wirtschaftliche Expertise vertreten kann. Im Gegensatz zu einem farblosen Karrierebürokraten, der sich in diesen Dingen nicht wirklich auskennt. Aber was die Ausrichtung des IWF und dessen Aktionen angeht, ist es vor allem wichtig, was die USA wollen.
tagesschau.de: Die Europäer wollen die traditionelle Besetzung durch einen Europäer durchsetzen. Welche Kriterien werden bei der Nachfolgesuche im Vordergrund stehen?
Dreher: Die Nationalität. Tatsächlich steht den Europäern dieser Direktorenposten gar nicht zu. Es handelt sich einfach um eine Absprache mit den USA zu Lasten der anderen Länder. So hat es immer wieder Zusicherungen gegeben, dass beim nächsten Mal die Leistung des Kandidaten und die Transparenz bei der Auswahl im Vordergrund stehen sollen. Zuletzt hatten die G20 im Jahr 2009 sehr explizit zugesagt, dass bei der nächsten Besetzung dieser Anspruch der Europäer wegfallen soll. Jedem ist klar, dass es jemand sein sollte, der von der persönlichen Fähigkeit am besten geeignet ist. Stattdessen ist es ein Geschacher zwischen den Ländern. Es ist doch vollkommen irrelevant, ob ein Deutscher an der Spitze steht oder ein Franzose oder ein Südafrikaner. Man sollte transparent und ohne den politischen Proporz den besten Kandidaten auswählen. Aber das wird nicht passieren.
tagesschau.de: Wie gehen die Europäer nun vor?
Dreher: Man wird sehen, wer der durchsetzungsstärkste europäische Staatschef ist. Normalerweise sind die Franzosen hier vorne dabei. Das sieht man auch an der Geschichte: Sie haben mit deutlichem Abstand die meisten Managing Directors gestellt. Die französische Finanzministerin Lagarde ist ja jetzt auch stark im Gespräch. Auf der anderen Seite könnte man denken, dass es der Franzosen zu viele sind und dass ein anderer Europäer ausgewählt werden müsste. Bei den Deutschen sehe ich kaum Kandidaten, die geeignet und politisch gewünscht wären. Man hört aus anderen Ländern Namen wie aus der Türkei Kemal Dervis oder auch Namen aus Mexiko. Aber das glaube ich nicht. Europa wird einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen und der wird dann gewählt.
"Bester Kandidat wäre ein starker US-Politiker"
tagesschau.de: Wenn es allein nach der fachlichen Eignung ginge: Was wären in der aktuellen Situation des IWF die entscheidenden Kriterien? Was müsste der Neue mitbringen?
Dreher: Es gibt keine objektive Beurteilung. Das hängt davon ab, was sie von ihm wollen. Persönlich wünsche ich mir eine unabhängigere Rolle des IWF, einen starken Kandidaten gegenüber Europa. Wenn man auf diesem Standpunkt steht, wäre der beste Kandidat ein Amerikaner, ein starker Politiker, der sich gegen die Unterstützung überschuldeter europäischer Länder ausspricht und eine zu lockere Fiskalpolitik verhindert. Und der mit Hilfe der USA versuchen würde durchzusetzen, dass die Bedingungen, die man beispielsweise an Griechenland gestellt hat, auch durchgesetzt werden. Auf der anderen Seite: Wenn sie einen schwachen Europäer hätten, vielleicht einen von der eigenen Regierung abhängigen Franzosen, wird der Kandidat auch im Wesentlichen diese Interessen verfolgen. Im Zweifelsfall wird er sich fragen, wie die Auswirkungen einer griechischen Umschuldung für Frankreich aussehen. Er wird also die französischen Banken im Blick haben.
tagesschau.de: Aus europäischer Sicht und mit Blick auf die Schuldenkrise in Euro-Staaten: Wer muss die Neubesetzung an der IWF-Spitze fürchten und für wen bedeutet sie eine Chance?
Dreher: Im Wesentlichen ist der IWF eine politisch geführte Organisation. Die USA und die anderen G7-Länder bestimmen den Kurs. Es wird weder einen Managing Director gegen die Interessen dieser Länder geben, noch wird er, wenn er gewählt ist, sich gegen die Interessen dieser Länder wenden können. Es wird um Nuancen gehen, vielleicht um besseres Verhandlungsgeschick und um bessere Durchsetzungsfähigkeit in Details. Aber die grundlegende Ausrichtung der Politik im IWF wird nicht vom Managing Director abhängen. Insofern sehe ich weder große Chancen noch große Risiken für einzelne Länder. Das wäre vielleicht anders, wenn man einen chinesischen Kandidaten vorschlagen und wählen würde oder einen türkischen oder einen mexikanischen. Aber damit rechne ich keinesfalls.
Das Interview führte David Rose, tagesschau.de.
- Der IWF-Stab besteht aus 24 Direktoren, die nach einem bestimmten Schlüssel je nach Kapitalanteilen am IWF von den Mitgliedsstaaten ernannt werden.
- Die Direktoren wählen den Geschäftsführenden Direktor, den IWF-Chef.
- Die USA und Europa haben sich informell darauf verständigt, wichtige Posten untereinander aufzuteilen: Die USA stellen traditionell den Direktor der Weltbank, während der IWF-Chef von einem EU-Mitgliedsland gestellt wird.
- Stimmrechte bemessen sich nach Kapitalanteilen der IWF-Mitgliedsländer. Zentrale Beschlüsse im IWF müssen mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden. Die USA verfügen über einen Stimmanteil von 16,7 Prozent und somit de facto über eine Sperrminorität.