Was bringt der 315-Milliarden-Euro-Plan? Junckers Alchemie - und ihre Grenzen
Junckers Plan: 315 Milliarden Euro - geschaffen quasi aus dem Nichts. Wie funktioniert das Investitionsprogramm? Und kann es überhaupt funktionieren? tagesschau.de beantwortet wichtige Fragen.
Was will der Juncker-Plan?
Die Eurozone kommt nicht aus der Krise. In Spanien, Portugal und Griechenland wächst die Wirtschaft zwar wieder. Allerdings tut sie das viel zu langsam, um auf absehbare Zeit wieder das Niveau der Vorkrisenjahre zu erreichen. Gleichzeitig lahmt in den drei größten Euroländern, nämlich Deutschland, Frankreich und Italien, die Konjunktur.
Das Kernproblem: Die Unternehmen trauen sich nicht zu investieren, weil sie fürchten, keine Abnehmer für ihre Produkte zu finden. Hier kommt nun EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ins Spiel, der die private Investitionsbereitschaft mit einem öffentlichen Programm stimulieren will. Binnen drei Jahren sollen so Investitionen in Höhe von 315 Milliarden Euro ausgelöst werden.
Woher sollen die 315 Milliarden kommen?
Die 315 Milliarden Euro sollen letzten Endes komplett von privaten Investoren kommen – also zum Beispiel von Banken, Versicherern, Pensionskassen, Beteiligungsgesellschaften oder Investmentfonds.
Allerdings verspricht die EU, für mögliche Verluste teilweise zu haften. Dafür will Juncker einen öffentlichen Fonds im Umfang von 21 Milliarden Euro auflegen. Dieser Fonds soll Risiken in dreifacher Höhe des eigenen Volumens abdecken - also potenzielle Verluste von bis zu 63 Milliarden Euro. Das Kalkül: Wenn die öffentliche Hand bereit ist, die größten Risiken selber zu tragen, sind private Investoren bereit, sich zu beteiligen. So soll der Haftungsfonds von 21 Milliarden Euro letztlich Investitionen in 15-facher Höhe hervorrufen, also 315 Milliarden Euro.
Werden aus 21 Milliarden wirklich 315 Milliarden?
So stellt sich Juncker das vor. Tatsächlich wirft der Plan aber viele Fragen auf. Fangen wir mit den 21 Milliarden Euro an, also mit dem Fundament, auf dem das hochkomplexe Gebilde stehen soll. Sind wenigstens diese 21 Milliarden vorhanden? Nein. Laut Brüssel sollen 16 Milliarden Euro aus EU-Mitteln kommen, fünf Milliarden Euro von der europäischen Förderbank EIB. Tatsächlich geht aus dem Factsheet der EU aber hervor, dass nur acht der 16 Milliarden im EU-Haushalt tatsächlich eingeplant sind. Genau genommen liegt der Sockel also bei nur 13 Milliarden.
Doch selbst wenn man von 21 Milliarden ausgeht, bezweifeln fast alle Experten, dass sich damit private Investitionen in 15-facher Höhe lostreten lassen. "Das grenzt an Finanzalchemie", sagt zum Beispiel Martin Lück, Europa-Chefvolkswirt der UBS. "Das käme einem Wunder gleich", meint auch Carsten Brzeski, Chefökonom der ING Diba. Erfahrungswerte, die eine seriöse Prognose zulassen würden, gibt es kaum. Am ehesten ist der Juncker-Plan wohl mit sogenannten Projektanleihen vergleichbar, die die EIB testweise seit 2012 auflegt. Hier liege der Hebel bei fünf bis maximal sieben, heißt es in einer Analyse der Ratingagentur Moody’s.
Aber wären nicht auch 100 oder 200 Milliarden ein Erfolg?
Auf diesen Standpunkt kann man sich zweifelsohne stellen. Allerdings ist unter Ökonomen nicht nur der Hebel von 15 umstritten – sondern auch die Frage, ob es sich bei dem Juncker-Plan tatsächlich um "frisches", also um zusätzliches Geld handelt.
Schauen wir nur einmal auf jene 13 Milliarden Euro, von denen tatsächlich klar ist, woher sie kommen werden. Die acht Milliarden aus dem EU-Haushalt? Laut EU-Factsheet waren davon bislang 3,3 Milliarden Euro für ein Programm namens "Connecting Europe Facility" vorgesehen (gemeint ist damit vor allem das Breitbandinternet), 2,7 Milliarden für das Innovationsprogramm "Horizon 2020". Da es aber auch im Juncker-Plan um Breitband und im weitesten Sinne Innovationen gehen soll, kann man hier schwerlich von zusätzlichem Geld sprechen. Auch die verbleibenden zwei Milliarden sind nicht wirklich "frische" Mittel. Sie sollen lediglich im EU-Etat freigeschaufelt werden.
Und was ist mit den fünf Milliarden der Investitionsbank EIB? Diese sollen bereitgestellt werden, ohne dass die Mitgliedsstaaten das Kapital der Bank erhöhen. Heißt mit anderen Worten: Auch dieses Geld kann an anderer Stelle nicht investiert werden. Die Finanzbloggerin Frances Coppola kommentiert: "Zu sagen, das Programm sei mit frischem Kapital der EU ausgestattet, ist falsch. Das Kapitalinvestment der EU in diesem Programm ist 'Null'."
Wo liegen die politischen Grenzen des Plans?
Ob man den EU-Beitrag letztlich mit 21, 13 oder null Milliarden Euro beziffert, ist eine Definitionsfrage. Einig sind sich die meisten Experten aber darin, dass Brüssel in jedem Fall mehr investieren müsste, um den angestrebten Wachstumsimpuls zu erzielen.
Hier allerdings stößt der Juncker-Plan an seine politischen Grenzen. Das EU-Budget ist gemessen an den Staatshaushalten der Mitgliedsländer lächerlich klein. Zudem kann die EU-Kommission - anders als die Regierungen in Berlin, Paris oder Rom - ihre Ausgaben nicht einfach über die Ausgabe von Staatsanleihen in die Höhe schrauben.
"Solange Europa über keine eigenen Geldquellen verfügt, sind solche Wachstumsprogramme zum Scheitern verurteilt“, sagt Ökonom Brzeski. Die Emission von EU-Anleihen aber lehnt insbesondere Deutschland ab, genauso wie eine theoretisch ebenfalls denkbare Finanzierung des Juncker-Plans über EZB-Geld.
Was sind die ökonomischen Grenzen des Plans?
Den Juncker-Plan zu kritisieren ist leicht - "eine Alternative zu benennen allerdings sehr schwer", sagt Harald Zenke, bis 2013 Chef der deutschen Förderbank KFW-Ipex und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Projektfinanzierung.
Das Grundproblem, vor dem Europas Wirtschaftspolitik steht, ist, dass zwar Geld im Übermaß vorhanden ist, aber nur wenige bereit sind, dieses Geld zu investieren - stattdessen parken die potenziellen Investoren es beispielsweise in deutschen Staatsanleihen. "Die Idee, mit öffentlichen Mitteln private Investitionen anzuregen, ist darum völlig plausibel", sagt Zenke. "Und vernünftig ist auch, dies in Bereichen zu tun, die einen öffentlichen Nutzen versprechen, wie etwa der Breitbandausbau, die Verkehrsinfrastruktur oder erneuerbare Energien." Allerdings: "Aus dem Nutzen für die Allgemeinheit eine ausreichende Rendite für den Investor zu machen, ist ungeheuer schwierig", sagt Zenke. "Viele Versicherer zum Beispiel suchen momentan händeringend nach Anlagezielen. Trotzdem kann es sehr gut sein, dass sie von gewissen Anlageklassen des Juncker-Plans die Finger lassen - einfach, weil die zu erwartende Rendite gemessen am Risiko zu gering ist."
Wie geht es weiter mit dem Juncker-Plan?
Es wird erwartet, dass die EU-Mitgliedstaaten den Juncker-Plan heute offiziell verabschieden. In den nächsten Monaten wird es dann darum gehen, Projekte zu identifizieren, die für eine Förderung aus dem Programm infrage kommen.
Medienberichten zufolge reichten die EU-Mitgliedstaaten zuletzt Listen mit fast 2000 Vorschlägen im Umfang von rund 1,3 Billionen Euro in Brüssel ein. Um zu verhindern, dass bei der Auswahl der Förderprojekte die politischen Interessen überwiegen, soll nach dem Willen der EU-Kommission ein unabhängiges Expertengremium den Prozess leiten.
Beim heutigen EU-Gipfel dürfte auch eine mögliche finanzielle Beteiligung der Mitgliedstaaten Thema sein. Dabei geht es vor allem um mögliche Ko-Finanzierungen - das heißt: Wenn Brüssel also ein Projekt für förderwürdig hält, kann sich der jeweilige Mitgliedsstaat mit zusätzlichem Geld beteiligen.
Wann die ersten Finanzierungsvorhaben umgesetzt werden, ist noch unklar. Alles in allem ist der Zeitplan der EU ambitioniert - binnen drei Jahren sollen die 315 Milliarden Euro investiert werden. Ökonom Lück meint: "Bei aller Kritik: Letztlich ist auch die Symbolik wichtig. Wenn vom Juncker-Plan hängen bleibt, dass Europa wieder investieren und die Nachfrage anregen will, dann ist das nicht das schlechteste Signal."